Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Juni 2006
Robert Mießner
für satt.org


Quasi:
When The Going Gets Dark

Domino, Rough Trade 2006

Albumcover
   » amazon

Quasi:
When The Going
Gets Dark

Musik in Zeiten des Krieges


Quasi mit Hund



Quasi
Fotos: Quasi

In drei Jahren ist die Operation Iraqi Freedom im Zweistromland wie an der amerikanischen Heimatfront zum andauernden Schrecken geworden. 30.000 Tote, tägliche Geiselnahmen und ein unmöglich gewordener Alltag im Irak; in God’s Own Country ein Staat, der sich schrittweise aus allen öffentlichen Aufgaben verabschiedet, es sei denn der Überwachung seiner Bürger, und an seinen Schulen Intelligent Design predigen lässt. Was hat das an dieser Stelle zu suchen? Eine ganze Menge, denn wir zitieren hier nicht das Flugblatt einer Politsekte, sondern die Website von Quasi aus Portland, Oregon. Jahrelang als Geheimtipp gehandelt, sollte sich das mit ihrem siebten Album endlich ändern. When The Going Gets Dark greift die Tradition der amerikanischen Creative Outlaws im Jahr 2006 wieder auf. In unserer Rezension des gleichnamigen Samplers haben wir Anfang des Jahres den musikalischen Widerstand von Künstlern wie The Fugs, MC 5, Moondog und Jimi Hendrix beschrieben. Und darauf hingewiesen, wie in den Jahren des Vietnamkriegs ein Erbe entstanden ist, das bis heute als Vorlage für Subversion und Resistenz dient.

Die genannten Namen lassen sich mit großer Sicherheit in Janet L. Weiss’ und Sam Coomes’ Plattenregal vermuten. Zusätzlich wahrscheinlich Sonic Youth, das White Album der Beatles, The Who, Jerry Lee Lewis und Cecil Taylor. Auf When The Going Gets Dark mixen sie Psychedelic, Garage, Independent, Jazz und Blues, ohne in die Falle Referenzpop zu tappen. Weiss (40), Schlagzeug, Gesang und Sam Coomes (42), Piano, Gesang und alles, was sonst noch klingen kann, sind dazu bereits zu lange unterwegs. Weiss ist als jüngstes von drei Schwestern in Hollywood aufgewachsen. Als oberflächlich, und nicht etwa sonnig und glamourös, so hat sie ihre Heimatstadt in Erinnerung: “Als Kind habe ich mir den ganzen Tag über vorgestellt, von da abzuhauen. Der Tag ist zum Glück gekommen.“ 1989, nach einem Studium an der San Francisco State University und ersten Auftritten als Drummerin, entschließt sich Weiss, mit ihren Katzen in den Nordwesten des Landes zu ziehen. In Portland gelingt es ihr, aus der Liebe zur Musik einen Beruf zu machen. Sie trifft auf Coomes. Der gebürtige Texaner ist wie sie in Kalifornien aufgewachsen. Ende der achtziger hat er in der Folk-Revival-Band The Donner Party Violine und Banjo gespielt. Die beiden werden ein Paar, heiraten und gründen 1993 Quasi. Weiss musiziert zusätzlich seit sechs Jahren mit Corin Tucker und Carrie Brownstein bei Sleater-Kinney, Coomes hat ein Soloalbum unter dem Titel Blues Goblins veröffentlicht.


Diskografie
Early Recordings (1995)
R&B Transmogrification (1997)
Featuring “Birds” (1998)
Field Studies (1999)
Sword Of God (2001)
Hot Shit (2001)
When The Going Gets Dark (2006)

Drei harte Jahre haben Quasi an ihrem neuen Werk gearbeitet. Weiss über die näheren Umstände: “Unsere letzten beiden Platten haben wir buchstäblich im Wohnzimmer aufgenommen. Diesmal wollten wir den Stress vermeiden, gleichzeitig Musiker und Produzenten zu sein und haben ein Studio in Portland gemietet. In der Hoffnung, genug Freiheit für die Musik selbst zu haben. Das hat auch funktioniert – die ersten Stücke, die entstanden, waren die kraftvollsten und einzigartigsten in unserer ganzen bisherigen Arbeit. Bis wir zu dem Punkt gelangt sind, an dem wir alleine im Studio nicht mehr weiter wussten und die Aufnahmen erst mal auf Eis gelegt haben.“ Dass das Album dennoch fertig wurde, verdankt sich einem spontanen Einfall Weiss’: “Ich habe dann Dave Fridmann angerufen, das Genie, das Sleater-Kinneys ’The Woods’ produziert hat. Er willigte ein, die Bänder mit in sein Studio nach New York zu nehmen – und das kam einem Lotteriegewinn gleich. Dave hat das wunderbare Chaos, das wir eingespielt hatten, verstanden. Ich schwöre, er hat Engelsstaub über unsere Bänder gestreut.

Dabei klingt When The Going Gets Dark nicht vordergründig sphärisch. Weiss und Coomes ist ein durch und durch irdisches Album gelungen. Es ist eine bittere Ironie, aber Titel wie I Don’t Know You Anymore, Peace And Love und Death Culture Blues verdanken ihren vielschichtigen Charakter sowohl den politischen Zumutungen der Gegenwart wie privaten Komplikationen der beiden – ihre Ehe ist mittlerweile geschieden worden. Dass sie sich trotzdem entschlossen haben, weiter zusammen zu arbeiten und keinen Schlusspunkt setzen, ist unser Glück als Hörer. Platten wie diese waren und sind selten. Für Quasi hoffen wir, dass ihnen Geduld und Ausdauer erhalten bleiben. Und auf andere Nachrichten als Inspiration.