Lieber vom Mars als authentisch
Interview mit Knarf Rellöm
Knarf Rellöm ist im November mit seiner alten Band Huah! unterwegs – Anlaß war die Wiederveröffentlichung der CD “Scheiss Kapitalismus!” Ausserdem wollten Huah! (derzeitige Besetzung: Bernadette La Hengst, Nixe aka Diana Diamond, Knarf Rellöm, Sven Elsner/Tigerbeat und Christine Schulz/Parole Trixie) laut Presseinfo “Spass haben”, was man den Musikern auf der Bühne sofort glaubt. Ziemlich zeitgleich ist aber auch die neue Knarf Rellöm Trinity-Platte erschienen, sie heißt “Move Your Ass & Your Mind Will Follow”. Der Titel ist Programm: es gibt – wie üblich bei Knarf Rellöm – sehr viel Text, gleichzeitig ist die Platte ein Funkmonster wie auch schon “Einbildung ist auch 'ne Bildung” von 2004. Damals nannten sich Knarf und seine bewährten Kollaborateure DJ Patex und Viktor Marek noch Knarf Rellöm with the ShiShaShellöm, doch das Universum hält so viele Worte bereit, dass es dumm wäre, einen Namen für immer und ewig zu behalten. Apropos Universum: das ist viel zu klein für das Ideen- und Themenfeuerwerk, das sich auf “Move Your Ass” Bahn bricht. Zwischen Hörspiel und House, Monologen und Monsterbeats treten auf: der Jazzvisionär Sun Ra (mehrfach), King Fehler (der tanken will), Mäusemenschen, Ausserirdische, deren Raumschiffe aussehen wie italienische Kaffeemaschinen (wie die auf dem Cover abgebildete), Hampfhunde mit Kerrchen, Sexualdemokratie, die ausserplanetarische Opposition und viele viele mehr. Doch Knarf Rellöm Trinity sind keine spacige Spasskapelle, sondern funky und politisch bis ins Mark. Sie finden den durch die WM erstarkten “positiven Patriotismus” weder lustig noch normal und nennen ihre Musik “No-Deutschland-Sound”. Auf der Platte ist eine Coverversion von “Like A Rolling Stone”, die Knarf gemeinsam mit Bernadette La Hengst singt und die Buddies von Saalschutz erzählen einen Witz (“Hey! Achilles”). Themen und Fragen genug, um sich mal mit Knarf Rellöm in echt zu unterhalten. Das folgende Gespräch fand nach dem Auftritt von Huah! beim 2. Internationalen Frankfurter Filmfestival statt.
Trotz neuer Platte mit Knarf Rellöm Trinity bist Du mit Huah! am 9.11. in Frankfurt im Rahmen des Internationalen Filmfestivals aufgetreten. Warum?
KR: Tatsächlich ist das Timing nicht besonders passend. Das liegt daran, dass Lado mit der Wiederveröffentlichung von “Scheiß Kapitalismus” ziemlich langsam, Alfred Hilsberg und ZickZack mit der Veröffentlichung von “Move Your Ass” sehr schnell waren. Außerdem war die Gage beim Filmfestival sehr gut, da konnten wir nicht nein sagen!
Wie war das, im Kinofoyer zu spielen?
KR: Es hilft schon sehr, dass wir zu fünft unterwegs sind und uns gut leiden können – Erobique aka Carsten Meyer hat ein paar Tage vor uns hier gespielt und fand es ziemlich furchtbar. Aber er steht ja auch allein auf der Bühne.
Man merkt Euch (Huah!) an, daß es sich nicht um ein halbherziges Revival handelt, sondern daß Ihr immer musikalisch aktiv wart …
KR: Ja, das stimmt. Aber damit Huah! weitermachen, braucht es jetzt noch den Anstoß von außen. Wir wollen motiviert werden, denn wir haben auch ohne Huah! alle genug zu tun!
Du spielst nicht nur mit Bernadette La Hengst wieder zusammen bei Huah!, Ihr singt auch zusammen eine Coverversion von “Like A Rolling Stone” auf dem Knarf-Rellöm-Trinity-Album. Es scheint, viele Parallelen zwischen Deiner und ihrer Karriere zu geben.
KR: Genau – wir haben beide irgendwann elektronische Musik entdeckt. Wir sind beide sowohl mit Bands als auch solo unterwegs und sind während unserer Laufbahn politischer geworden. Außerdem haben wir mal eine Vereinbarung getroffen: ich bin immer bei ihren Platten mit dabei und sie bei meinen (für mindestens einen Song).
Der Titel der neuen Platte “Move Your Ass & Your Mind Will Follow” ist ein Wortspiel mit Funkadelic's “Free Your Mind and Your Ass Will Follow” …
KR: Das Spiel mit Worten und Namen ist immer ganz wichtig bei mir! Tendenziell habe ich immer zu viele Ideen für Titel … wenn du dir das Tracklisting der neuen Platte anschaust, gibt es zwei Stücke, die nicht drauf sind, weil es sie noch gar nicht gibt – aber ich fand die Titel schon mal gut (Nr. 14 + 15, “It's an Electronic Band, Stupid!” und “Mittelstandsproblemcamp”). Wir heißen auch immer anders (Knarf Rellöm Ism, Knarf Rellöm with the Shi-Sha-Shellöm, Knarf Rellöm Trinity), weil mir ein Name allein zu langweilig wäre. Ich finde es öde, wenn eine Platte so heißt wie die Band, also zum Beispiel “Fotos”/”Fotos”. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, so viele Wörter!
Und der Titel unserer neuen Platte dreht den altlinken Ansatz um, dass man zuerst seinen Kopf befreien muß, um sich “bewegen” zu können. Das ist Dialektik, bei uns bewegt sich zuerst der Hintern, erstmal losgehen, der Kopf kommt dann hinterher. Das Spiel “These/Antithese” sollte allerdings nicht in Beliebigkeit ausarten. Ironie ist zum Beispiel ein Stilmittel, das zur Zeit jeder Depp im - ich nenne es mal “Oliver-Pocher-TV”- verwendet. Ironie ist eigentlich okay, wird aber durch den allgegenwärtigen Gebrauch stumpf und beliebig.
Im Song “AKD” (= Arme Kleine Deutsche) wirst du sehr explizit antideutsch, bezeichnest deine Musik als “No-Deutschland-Sound” in Anlehnung an die No-New-York-Bewegung von Anfang der achtziger Jahre. In Knarf-Rellöm-Texten sind die Strophen meist auf Deutsch, die Refrains meist in Englisch …
KR: Nation und Sprache sind ja nicht das Gleiche. Am Englischen liebe ich das kaugummiartige, ungenaue, das ist manchmal genau das richtige. Deutsch ist eine klare Sprache, ein Beispiel: “Ich liebe dich” kann man nicht nur so dahinsagen, das muß man schon ernst meinen. “I Love You” dagegen kann man mal so sagen, ohne daß es ganz ernst gemeint sein muß. Ich habe allerdings eine Refrainkrise, was die deutsche Sprache angeht*, weil der Text immer so expressiv wirkt. Einen englischen Refrain kann man viel leichter laufen lassen.
* (eindrucksvoll dargestellt in Knarfs vertontem Selbstgespräch “Talkin' Techno”, in dem er erklärt, wie schwierig es ist, wenn man einen guten zweiten Refrainteil hat, der aber nicht so richtig gut zum ersten Teil paßt)
|
War früher alles besser? Betrachtet man das Cover von “Move Your Ass”, das die Buchgestaltung des linken März-Verlags zitiert, könnte man das vermuten …
KR: Um einen ganz banalen Satz zu sagen: Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit! Christoph Schlingensief hat mal gesagt, “ich habe '68 nicht miterlebt, deswegen mache ich das heute.” Unser Cover transportiert die März-Gestaltung ins Heute, schon allein dadurch, dass es sich um ein CD-Cover handelt. Wir sind sehr zukunftsorientiert, seit '68 hat es ganz klar politische Rückschritte gegeben, deshalb sehne ich mich natürlich nicht in die sechziger Jahre zurück.
Sun Ra, den wir auf der neuen Platte öfters zitieren, ist zwar tot, aber er ist bis heute zukunftsweisend. Er hat zum Beispiel gesagt, daß Musik Treibstoff für Raumschiffe ist - und das ist genau der Grund, weshalb wir Musik machen! Dieser eine Satz von Sun Ra war der zündende Ideenfunke für diese Platte: auf einmal ergab alles einen Sinn! Das Bild von Musik als Treibstoff oder “Benzinkanister” habe ich vor kurzem in einem Interview in der Groove mit einer jungen HipHop-Band gelesen, deren Namen ich leider vergessen habe. Keine Ahnung, ob die wissen, wer Sun Ra ist, aber seine Einflüsse wirken bis in den heutigen HipHop hinein. Das erste Stück auf “Move Your Ass” handelt davon, dass DJ Patex und Viktor an ihrer Tankstelle auf Kunden warten – als dann King Fehler kommt und volltanken will, bietet Patex ihm zuerst James Blunt oder Jack Johnson an. Die will er aber nicht, The Streets und Outkast gefallen ihm schon besser, aber auf Knarf Rellöm Trinity als Treibstoff können sie sich dann schließlich einigen! Ich wollte zuerst Anastacia anstatt Blunt oder Johnson nehmen, weil ich ihre Stimme so schrecklich finde. Aber DJ Patex hat gesagt, daß nicht immer ich alles aussuchen soll und sie findet eben Blunt und Johnson so furchtbar langweilig.
Klaus Walter hat letztens im Radio über dich gesagt, du würdest “das Recht auf schlechte Laune” einfordern.
KR: Also, ich meckere gern, das stimmt! Ich bin oft mit den Verhältnissen nicht einverstanden und sage das dann auch. Und manchmal habe ich sicherlich divenhafte Anfälle – aber ich bin kein notorisch schlechtgelaunter Typ wie Mark E. Smith! Ich bin ja Klaus-Walter-Fan – mit dem Satz hat er vielleicht nicht ganz recht, aber er klingt gut!
Du hast in Zürich gelebt, auf der letzten und auch auf der neuen Platte gibt es immer wieder Schweiz-Verbindungen – was magst du an der Schweiz?
KR: Wir sprechen die gleiche Sprache, aber Deutschland und die Schweiz sind kulturell total unterschiedlich. Ich konnte mir das Leben in Zürich leider nicht leisten, deshalb bin ich dort wieder weggezogen. Armut versteckt sich in der Schweiz – und die Bürokratie ist dort noch stärker als in Deutschland, was das Leben als Sozialhilfeempfänger wirklich schwierig macht.
Apropos Geld: Die Krise der Musikbranche trifft ja jetzt auch die Kleinen – es ist also nicht mehr so, dass die kleinen Independentlabels als Gewinner des Zusammenbruchs dastehen. Und wir können von unserer Musik nicht leben – als Konsequenz daraus entsteht neue schlechte Laune. Ich bin dafür, dass kleine Musikacts die Eintrittspreise für Konzerte erhöhen sollten. Aber das wäre in der Szene, in der ich oft spiele (Jugendzentren, Antifa-Veranstaltungen) nicht durchsetzbar. Es ist wirklich vertrackt, denn ich will ja auch, daß jeder zu Knarf-Rellöm-Konzerten gehen kann!
Du bist aus Zürich wieder nach Hamburg gezogen – war Berlin je eine Option für Dich?
KR: Als wir aus Zürich kamen, hätte ich auch nichts gegen Berlin gehabt – aber DJ Patex ist ja so ein Landei (sie kommt aus Würzburg), ihr war Berlin zu groß und sie wollte lieber wieder nach Hamburg. Hamburg ist eine prima Spielwiese für uns, zum Beispiel veranstalten DJ Patex und ich jeden ersten Mittwoch im Monat im Pudel Club “Fürst Mittwoch”. Wir laden Künstler ein, die noch nicht so richtig berühmt sind wie zum Beispiel Pastor Leumund, auf den ich sowohl in Zürich im Club Voltaire und in Berlin gestoßen bin. Leumund ist ein durchgeknallter Künstler und Aktivist, der durchaus ernst gemeinte Techno-Gottesdienste abhält. Aber wir hatten auch schon Eric D. Clark und Melissa Logan als Gaststars bei Fürst Mittwoch!
“LCD Is Playing at my House” als Schlüsselsong der neuen Platte: Ihr zählt Bands auf, die Ihr mögt (Sonic Youth, Peaches, Funkadelic, Von Spar, FSK …), aber Black Eyes Peas und Indie-Rock schickt Ihr vor die Tür.
KR: Die Black Eyes Peas waren mal eine tolle Band mit einem Supergroove, bevor sie so bekannt wurden. Jetzt klingen sie so glattgebügelt. Fergie finde ich einfach schrecklich – schon dieser Name! Der Begriff “Indierock” steht für mich für diese weinerliche, langweilige, unpolitische, geistig rückständige Ich-Bezogenheit, wie sie ja leider zur Zeit total beliebt ist. Das ist ähnlich wie in den siebziger Jahren, als alle Leute mit einer Gitarre in der Hand auf einmal “Bluesrock” spielten. Heute machen alle “irgendwie Indierock”.
Meinst du die überall angepriesene Ehrlichkeit und Authentizität?
KR: Das hasse ich ja noch viel mehr, wenn ich das schon höre, “Authentizität”! Ich finde es stattdessen viel interessanter, “ich komme vom Mars” zu sagen, anstatt “ich bin aus Brooklyn und deswegen wahnsinnig authentisch”. Es ist gut, wenn der Künstler hinter seinem Werk zurücksteht, es interessiert mich nicht, wie Künstler privat so sind. Andererseits: als ich 16 war, fand ich auch so bodenständige, hemdsärmelige Bands gut, die sich für die Bühne nicht extra zurechtmachten wie zum Beispiel Status Quo. Authentizität ist wichtig für Teenager, aber seitdem ich selbst als Künstler unterwegs bin, gefällt mir Nicht-Authentizität besser.
Die Bravo ist kürzlich 50 geworden, das Heft hat ja gerade die Homestory in den Vordergrund gestellt …
KR: Ich drehe das Spiel um: Lieber der Außerirdische, der uns sein Raumschiff zeigt, anstatt des Künstlers, der seine Wohnung präsentiert. Wir hatten kürzlich die Idee zu einem Video, das “Die Unwahrheit und nichts als die Unwahrheit über Knarf Rellöm” zeigen wird! Kürzlich hörte ich, daß eine Frau über mich gesagt haben soll, ich müsse ja bestimmt Heroin nehmen, weil ich immer so fertig aussehe – das gefällt mir! Falsche Gerüchte sind gut!
Sind die ehrlichen, redlichen Künstler in Deutschland beliebter als die nicht-authentischen?
KR: Ha, gute Frage - immerhin gibt es auch in Deutschland schon 50 Jahre Popkultur – und auf Platz eins in den Charts ist ein Mann, der sein Gesicht hinter einer silbernen Totenmaske versteckt (Sido mit “Straßenjunge”), der sagt, ich bin ein Straßenjunge und kein Gangsta … wobei, das ist auch widersprüchlich, wenn er das so runterbricht …womit wir wieder bei der Dialektik wären!