The Fall zum Mitmachen
Berlin, Maria am Ostbahnhof, 06. September 2007
(Foto: djbawbag / The Fall Group@Flickr, Manchester 2007)
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Mikrofonständer befinden sich im freien Fall, fliegen längs auf die sturmerprobte Bühne der Maria. Das Mikrofon selbst landet in der Basstrommel. Oder wird zur Handtrommel umfunktioniert. Mark E. Smith, ein älterer Herr, gelegentlich leicht gebeugt, aber aufrechten Sinnes, dreht an Verstärkerknöpfen und stellt zu Anfang unmissverständlich klar: “Good evening, we are The Fall.” Mittlerweile ist es zum festen Termin geworden, das jährliche Konzert in dem sympathischen Klub von Enthusiasten für Enthusiasten. Vieles kommt vertraut vor. Und vieles ist anders an diesem Abend. Anders als der Independent-Mainstream, anders als die umflorte Erinnerung an die Jahre zuvor.
The Fall sind nicht mehr dieselben, die 2006 auf den Brettern standen. Sie sind auch nicht mehr ganz die Crew, die das wunderbare “Reformation! Post-TLC” einspielte. Der amerikanische Zweig von The Fall, Tim Presley, Rob Barbato und Orpheo McCord, hat die Reise nach Berlin nicht angetreten, wurde das letzte Mal Anfang Juni in Barcelona auf der Bühne gesehen. In Klischees Verliebte werden sich ihren Teil denken, vermutet werden dürfen schlicht organisatorische Schwierigkeiten, drei Musiker mit eigenen Projekten von der Westküste auf Dauer im Norden Englands zu binden. Klangen The Fall mit den Amerikanern, den “Kindern Captain Beefhearts”, schon nahezu psychedelisch, so regiert jetzt der Rock: heftigst laut, weniger an Lavalampen denn an einen Lavastrom erinnernd. Elena Poulou, Smiths Ehefrau, sorgt für sphärische Keyboardmomente. Sie begleitet nicht einfach, sondern setzt kräftige Akzente. Pete Greenway spielt eine Gitarre, die das gewaltige Geräusch zu Ehren kommen lässt, Bassist Dave Spurr und Schlagzeuger Keiron Melling bilden die unbestechliche Rhythmusfraktion. The Fall, eigentlich ein Unternehmen der Gegenwart, sind souverän genug, sich einen Rückgriff in die Vergangenheit zu erlauben. Der Klassiker “Wings” erklingt und lässt vergessen, dass er mittlerweile 25 Jahre jung ist. “Mr. Pharmacist”, der Song, den The Other Half 1968 dem ungesunden Leben widmeten und seit 1986 fester Bestandteil des Fall-Repertoires, wird wieder gespielt. Fast musste befürchtet werden, Smith hätte ihn mittlerweile unter den Tisch fallen lassen. Weit gefehlt. Der größte Teil des Konzerts besteht dann aber doch aus dem jüngeren Material. Und dem jüngstem: “Alton Towers”, am ehesten als grandioser Talking Blues zu beschreiben, ist funkelnagelneu. Smith singt ihn auf einer Aluminiumkiste am hinteren Bühnenrand sitzend. “I’ve Been Duped”, intoniert von Poulou, ist Pop im besten Sinne und in Höchstgeschwindigkeit, “Strange Town”, ein Stück der britischen Bluesband The Groundhogs, ein Bergmassiv von Song und Sound.
Das Publikum dankt es mit Ekstase und Exzess. Hamburger Bier in Berlin, an diesem Abend geht es in Ordnung, wird in pazifischen Mengen aus kleinen braunen Flaschen konsumiert. Nirgendwo steht geschrieben, dass es nur getrunken werden muss. In der Tat sollte angesichts der aktuellen Wasserpreise über die feste Einrichtung der Bierdusche nachgedacht werden. Die Meute feiert sich den Teufel aus dem Leib. Sie wagt das Unglaubliche. So schnell, wie ein Wodkarausch einsetzt, stehen drei Enthemmte, zwei männlich, eine weiblich, auf der Bühne. Tanzen à la Rumpelstilzchen, einer verbeugt sich vor Smith. Der macht einfach weiter, reagiert mit Grandezza (schon immer wollte ich das Wort im Zusammenhang mit The Fall benutzen). Als einer der Wagemutigen gar Poulou ins Keyboard greift, quittiert sie es mit einem Lächeln. Danach müssen die plötzlichen Gäste aber wirklich von der Bühne. Das alles bei The Fall, wo üblicherweise hinter der Absperrung strikte Tabuzone ist. Die Gruppe, für die alle Vergleiche überflüssig sind, verabschiedet sich mit zwei Zugaben. Die Spree neben der Maria fließt wild und frei.
satt.org dankt wie immer:
The Fall: Official Website
The Fall: Unofficial Website
The Fall Fanzine: The Pseud Mag
The Fall: Live Gig Repository