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Ein noch warmer Spätsommerabend in Berlin, Prenzlauer Berg, ideal zum Draußensitzen. Anläßlich der bevorstehenden Veröffentlichung seines dritten Albums “Das mit dem Auto ist egal Hauptsache Dir ist nichts passiert” bin ich mit Jens Friebe in einem Lokal verabredet, das es nicht gibt. Jedenfalls nicht dort, wo ich hinkommen soll: an der vereinbarten Straßenecke befindet sich statt des angekündigten “Spaniers” der “Thüringer Hof”. Ich bin irritiert, muß ich zuerst ein Rätsel lösen, das mich zur geheimen Party führen wird? Doch das Mißverständnis klärt sich schnell auf, die Koordinaten werden telefonisch neu ausgetauscht und schon finden wir uns im richtigen Planquadrat. Der studentisch-verschlunzte Kellner bedient uns lange Zeit nicht, während wir warten, amüsieren wir uns über die groteske Poesie der Weinkarte, die mit “langen Vanillenasen” und “eleganten Abgängen” brilliert. Dabei kommt Jens auf den Fernsehkoch Alfons Schuhbeck zu sprechen. “Du guckst Kochsendungen?” frage ich. “Ich gucke alles – jedenfalls alles ohne Musikuntermalung, ich spiele beim Fernsehen immer Gitarre.” Leider vergesse ich zu fragen, ob und welche Songs der neuen Platte beim Improvisieren zu welchen Sendungen entstanden sind. Jens Friebe war sehr beschäftigt in den letzten zwei Jahren und hat einiges gemacht, das über den reinen Musikkontext hinausreicht: seine Blog-Kolumne “52 Wochenenden” erschien als Buch, auf dem Hörbuch zu Kerstin Grethers Roman “Zuckerbabys” spricht er die Rolle des Rockstars Johnny. Daneben spielt er Schlagzeug bei Liveauftritten von Britta, spielt Keyboard bei Justine Electra und Bass bei Doktorella, der Band der Grether-Schwestern. Bei all diesen Aktivitäten blieb Jens noch Zeit, ein eigenes Album aufzunehmen, dessen elf Songs ihn erneut als Meister des intelligenten UND glamourösen deutschen Popsongs ausweisen.
Beim ersten Hören von „Das mit dem Auto …“ fällt sofort der durchgängig satte Sound auf, als wären alle beteiligten Musiker und Geräte mit einer Extraportion Energie versorgt worden; auch Jens' Stimme klingt rougher und selbstbewußter. Elektropop, Wave und Disco gehen innige Verbindungen ein, dazu wird voluminös gerockt. Die von Berend Intelmann und Moses Schneider produzierte Platte funkelt in ästhetisch vollendeter Pracht, Friebes virtuose Textvolten scheinen so lässig hingeworfen wie ein zufälliger Blick über die Schulter, der dennoch alles entscheiden kann. Der Opener “Du freust dich ja gar nicht” verwirrt, ohne dass man es zunächst so wahrnimmt. Die Melodie verbreitet überschwänglich-fröhlichen Drive, der Text läuft diametral dagegen: es geht um die Enttäuschung auf beiden Seiten, wenn ein gutgemeintes Geschenk das Gegenteil von gut’ bewirkt. „Frau Baron“, für viele schon jetzt der Hit des Albums, ist eine eingängige Pop-Perle, in der Standesgrenzen mittels körperlicher Zuwendungen überwunden werden und entstand wie „Kennedy“ von „In Hypnose“ als Auftragsarbeit für einen Bunny-Lectures-Abend. Jens covert “Nothing Matters When We're Dancing” der von ihm verehrten Magnetic Fields, das er lässig mit “Alles macht nichts, wenn wir tanzen” übersetzt. Bilde ich mir das ein, oder ist in diesem Lied ein kleiner Schwenk zu Reinhard Meys “Über den Wolken” versteckt? Jens stutzt, “ich habe an der Melodie nichts verändert, wenn, dann ist es in Steve Merritts Komposition schon so …. (singt), aber stimmt, ab hier könnte es tatsächlich mit 'schillernd wie ein Regenbogen' weitergehen!” Der Titelsong ist eine an Phil Spector geschulte Teenage-Opera inklusive Autounfall und unerklärlichen “lynchigen” Momenten, doch bei aller Dramatik wird bei Jens Friebe kein jugendlicher Delinquent geopfert: “es war nur Stahl, es war nur Stahl, und das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert” - ob diesen Satz ein Elternteil, ein Freund oder die erleichterte Geliebte sagt, wird nicht aufgelöst. Das (Verwirr-)Spiel mit uneindeutigen Zeichen und Vexierbildern ist ohnehin ein Lieblingsthema Friebes, vieles spielt sich in mentalen Ausnahmezuständen zwischen Euphorie und Ennui ab: „Hellwach und in Ohnmacht“, wie es in „Über den Weg“ heißt, das von einem Mandolinensolo Herman Herrmanns geziert wird. “Erschreckend aktuell” vermischt zwei Ebenen, privates Unglück korrespondiert (wie zufällig) mit Zeitungsmeldungen - selten wurde der Egozentrismus Liebesleidender schlüssiger dargestellt. Das verstörende „Was es will“ kündet vom Ausgeliefertsein an etwas Dunkles, Unheimliches – sich selbst? Wenn man sich, aus welchen Gründen auch immer, selbst loswerden muß, benötigt man ein “Neues Gesicht” - dieser Song spielt mit B-Movie-Bildern und kreist um Geheimnisse, die besser nicht ans Tageslicht gelangen sollten. An dieser Stelle steigen wir direkt ein ins Interview:
CM: Blixa Bargeld bekennt freimütig, in Interviews nur das zu antworten, was er sowieso erzählen wollte, ganz egal, wie die Frage lautet. Wie siehst du das? JF: Ich sehe es genau anders: bei einem guten Interview kommt idealerweise auch der Interviewte auf neue Ideen. Vor kurzem hatte ich als Interviewender ein frustrierendes Erlebnis mit einem Künstler, der die Blixa-Strategie fuhr. Ich sprach mit Rufus Wainwright, den ich ja sehr bewundere, und merkte schon beim Gespräch, dass die Antworten nur so ungefähr zu den Fragen passten. Als ich die anderen Interviews las, merkte ich, dass er einfach immer dasselbe erzählt hat. Da stellt man sich dann schon die Frage, was das alles überhaupt soll. CM: Der Albumtitel “Das mit dem Auto ist egal Hauptsache Dir ist nichts passiert” klingt so geheimnisvoll und poetisch … JF: Den Satz hatte ich schon ganz lange im Kopf und wollte seit Jahren einen Song oder eine Platte so nennen. Geklappt hat es komischerweise erst jetzt – aber zuerst gab es nur diese eine Zeile. CM: Als ich den Titelsong zum ersten Mal hörte, fiel mir ein Freund ein, der nach einem Autounfall, bei dem wie durch ein Wunder nichts schlimmes passiert war, sagte, 'auf einmal wechselten die Schilder die Straßenseite!' JF: Das ist interessant. Ein gutes Motiv, würde ich sagen, wenn es nicht tatsächlich passiert wäre. Straßenschilder sind ja so eine seltsame Mischung. Einerseits sind sie von Menschen gebaut.Andererseits verhalten sie sich in bezug auf den Verkehr, der um sie herumfließt, wie etwas natürliches, ewiges, auch wie eine ehern wachende Gottheit. Ein Straßenschild, das die Seite wechselt, ist wirklich ein gutes Bild für etwas, das wirklich absolut verkehrt läuft. CM: Ist das Cover mit dem rosa Blütenzweig eine bewusste Reminiszenz an Brittas Album “Das schöne Leben”? JF: Der Kirschblütenzweig war nicht meine Idee, sondern die der Designerin Tina Hennefarth. Ich habe die Verbindung aber natürlich bemerkt und gerne zugelassen … CM: Apropos Britta*: Gibt es inzwischen so etwas wie ein Netzwerk aus Musikern um Dich herum? Du bist zum Beispiel auf der neuen Platte von Brockdorff Klanglabor zu hören …
JF: Es gibt sehr viele Verbindungen, für die ich natürlich dankbar bin, zu Leuten wie Justine Electra, Kerstin und Sandra Grether, Herman Herrmann, Britta natürlich, der Gruppe „Ja, Panik“ aus Wien und so weiter. Es gibt auch Querverbindungen, vor allem Herman hat mit vielen der genannten auch anderweitig schon zu tun gehabt. Aber das alles gruppiert sich nicht in dem Sinne „um mich herum“, Leute wie Chris (Imler) und Justine spielen längst in Szenen eine Rolle, die mit mir gar nichts zu tun haben. CM: …obwohl dich die “Süddeutsche Zeitung” zu den sogenannten “Superberlinern” zählt? JF: Davon hab ich schon gehört, aber ich hab's mir noch nicht angeschaut. Wer ist denn da noch dabei? CM: Ungefähr zehn Leute, dein Bruder natürlich und die halbe ZIA. Du bist der einzige Musiker, glaube ich. Seit dein Buch “52 Wochenenden” veröffentlicht wurde, machst du auch Lesungen. Was machst du lieber – lesen oder Konzerte geben? JF: Lesungen sind ja erstmal für den Vortragenden eine ganz bequeme Sache: man kommt irgendwo hin, hat nur sein Buch unterm Arm, muß nichts aufbauen und keinen Soundcheck machen. Man bekommt ein Glas Wasser hingestellt, klappt sein Buch auf und liest, die Leute hören zu, im besten Fall stellen sie ein paar Fragen, das war's. Man steht auf und geht wieder. Es gibt natürlich auch Lesungen, bei denen es nicht besonders gut läuft. Als ich beim “9to5-Wir nennen es Arbeit”-Festival gelesen habe, war es schon 1.00 Uhr, es waren ganz wenige Leute da und die wirkten dazu noch total abwesend. Zuerst war es zu dunkel im Raum und dann viel zu hell – insgesamt eine Situation, in der man lieber nach Hause möchte. Das völlige Gegenteil war kürzlich eine Lesung bei Eins Live/Klubbing, bei der ganz viele Leute waren, das hat Spass gemacht. Aber bei Konzerten ist eben mehr los, die Leute bewegen sich … das ist natürlich etwas aufregender als eine Lesung. CM: In “Hass, Hass, Hass”, deinem Mitten-aus-dem-Leben-Punkrocksong singst du, “in diesem Irrenhaus, in diesem Schweinestall, wenn du es hier schaffst, schaffst du es überall.” Wo trittst du am liebsten auf? JF: Frankfurt ist immer ein sehr gutes Pflaster für uns, auch Hamburg, Berlin und Leipzig, Köln hingegen nicht so. CM: Du hast seit einiger Zeit auch eine myspace-Seite, bringt die dir was? JF: Vor allem macht myspace mehr Arbeit. Der Traffic verlagert sich von der eigentlichen Homepage hin zu myspace. Auch baut es bei den Benutzern Hemmungen ab. Neulich habe ich tatsächlich an meine normale Mailadresse eine Spammail von irgendeiner Band bekommen mit deren Livedaten. Ich werde sie mir garantiert nicht anschauen. CM: Du bist ja nicht der einzige Musiker, der auch schreibt. Manche deiner Kollegen leiden darunter, dass sie mit ihren Büchern erfolgreicher sind als mit ihrer Musik … JF: Darüber nachzudenken oder mich gar zu beschweren, ob ich fürs Gitarrespielen oder fürs Bücherschreiben mehr bewundert werde, halte ich für vermessen. Das ist wirklich ein Luxusproblem. So was wie “52 Wochenenden” könnte ich aber kein zweites Mal machen, ich muss mir also gut überlegen, ob ich wieder ein Buch schreiben will und wie das aussehen könnte. Kürzlich sollte ich einen Text zu einem bestimmten Thema schreiben, das ist mir richtig schwer gefallen. CM: “Das mit dem Auto” ist dein drittes Album in drei Jahren – schaust du mittlerweile zurück, gibt es Songs von “früher”, die du jetzt nicht mehr machen würdest? JF: Also, “Lied ohne Botschaft” vom ersten Album würde ich so nicht mehr machen und “Deutsches Kino” wahrscheinlich auch nicht. Damals hatte ich ein sehr konkretes Anliegen, weil ich viele deutsche Filme einfach wahnsinnig schlecht fand. Das hat sich mittlerweile geändert, aber vielleicht ist das deutsche Kino ja auch gar nicht mehr so schlimm … CM: Das neue Album klingt insgesamt rockiger und druckvoller – war das Absicht? JF: Dass es rockiger und stringenter klingt, liegt hauptsächlich am Drumming von Chris Imler, der durchgängig auf der Platte zu hören ist. Aber mein 'Wunschsound' oder regelrechte Absicht ist es nicht – ich wollte nur ein bisschen Schmutz unter den lieblichen Melodien haben. Vielleicht wird die nächste Platte wieder ein reines Elektropopalbum. Das hängt auch davon ab, wer dann im Studio mit dabei sein wird.
CM: Bist du sehr perfektionistisch? Könntest du die Instrumente auch allein einspielen? JF: Im Prinzip schon, aber das würde ich gar nicht wollen, weil mir die Meinung der anderen wirklich etwas bedeutet. Und am Schlagzeug bin ich überhaupt nicht gut genug. CM: Nach wie vor sind deine Musik, dein Stil schwer einzuordnen und steht recht unverbunden in der deutschen Poplandschaft … JF: Wegen meiner Texte werde ich oft mit Tocotronic, Bernd Begemann und Funny van Dannen verglichen, auch wenn es nicht so direkt paßt. Diese solitäre Stellung macht mir schon was aus, mir wäre es lieber, ich stünde nicht so alleine da. Ich würde mich freuen, wenn es mehr vergleichbare Acts gäbe - so muß man immer viel erklären und erreicht von vornherein weniger Leute. Zum Beispiel werden wir selten zu Festivals eingeladen – wobei ich zugeben muss, dass ich gar nicht gern auf Festivals spiele, aber man hat eben gleich ein größeres Publikum. CM: Apropos konservativ, bitte ein kleiner Exkurs: satt.org wird ein kleines Special zum 30. Geburtstag von “Never Mind the Bollocks” machen und dafür fragen wir die Leute nach ihren Lieblings-Punkplatten – welche sind deine? JF: Auf jeden Fall “Spiral Scratch” von den Buzzcocks! Die vereint auf einmalige Weise Melodiösität und Aggressivität. Und The Clash mochte ich auch immer sehr, aber nicht die erste Platte oder “London Calling”, die alle immer nennen, sondern “Combat Rock”. Oder “Sandinista!”, weil The Clash darauf so viel ausprobieren und zum Teil ja auch grandios scheitern – aber das ist für mich eher Punk als so ein glattes Rockalbum wie “London Calling”, das in erster Linie für das prägnante Cover berühmt ist. Also “Spiral Scratch” und “Combat Rock”, obwohl “Never Mind the Bollocks” wahrscheinlich schon die geilste Punkplatte war. Da stimmte einfach alles, angefangen beim Cover über die Texte und den Sound … Von diesem Exkurs zurück zum eigentlichen Thema, Jens' neuer Platte zu finden, fällt mir nicht ganz leicht. Ausser mittels der banalen Behauptung, dass auch bei „Das mit dem Auto ist egal Hauptsache dir ist nichts passiert“ alles stimmt, angefangen beim Cover über die Texte und den Sound ….Und auch wenn er es nicht gerne hören mag: Jens Friebe steht ganz schön alleine da in der deutschen Poplandschaft, glammy und souverän. » jens-friebe.de |
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