Beschwingt und beseelt
Von Agonie keine Spur:
Nick Cave & The Bad Seeds veröffentlichen ihr
14. Studioalbum: »Dig, Lazarus, Dig!!!«
Es muss am Bart liegen. Seit Nick Cave einen verwegenen Zapata-Schnäuzer spazieren trägt, hat seine Musik einen plötzlichen Schwenk ins Aufgekratzte und Unverzagte genommen. Journalisten trafen kürzlich einen vergnügten Teetrinker, nicht mal Zigaretten wurden entzündet. Fans der alten Schule können trotzdem beruhigt sein: Natürlich ringt der Mann auf »Dig, Lazarus, Dig!!!« mit Geschlecht und Mythos, schickt Homer und Freud aufs Parkett, wühlt sich durch die Bibel und die Beatniks, während die Bad Seeds den Soundtrack spielen, der Tarantino in Verzücken geraten ließe. Nur, dass das alles hochgradig ausgelassen, groovy und sexy daherkommt. Es ist wahr: Nick Cave & The Bad Seeds sorgen 2008 für streckenweise ordentlichen Lärm. Sie stellen im Studio höchst seltsame Dinge an, ohne, warum auch sollten sie, ein zweites »From Her To Eternity« (1984) aufzunehmen. Diesmal haben sie hörbar Spaß am Experiment. Wer weiß, vielleicht liegt es auch an der Brightoner Meeresluft. Cave lebt seit längerem mit Frau und Kindern in dem morbid-mondänem Seebad. Er wurde auch schon am Strand gesichtet.
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Für »Dig, Lazarus, Dig!!!« war eine ganze Woche Studiozeit gebucht. Am fünften Tag hatten Nick Cave, Mick Harvey, Warren Ellis, Martyn Casey, Jim Sclavunos, Thomas Wydler, James Johnston und Conway Savage die Platte im Kasten. Zur Erinnerung, allein für »Slowly Goes The Night«, eine eher karge Ballade auf »Tender Prey« (1988), brauchte Cave mehrere Tage Zeit. Die neue zügige Arbeitsweise lässt allen Beteiligten gehörigen Freiraum: »Mehr als zuvor hat jeder bei den Bad Seeds die Möglichkeit, zu spielen, was immer er will. Und wir werden dabei schnell fertig«. Cave spricht von glücklicher und leichter Atmosphäre, wenn er sich an die Aufnahmen erinnert: »In dem Moment, in dem wir das Studio betreten, ist die Arbeit eigentlich schon getan. Das wirklich harte Stück Weg, das Schreiben der Songs, ist absolviert. Sie dann aufzunehmen, das macht Spaß. Es ist unglaublich aufregend, wenn jeder im Rahmen des Songs soviel Rabatz macht, wie er kann.« Wie sieht der harte Teil der Arbeit aus? Die Texte zu schreiben, habe viel Zeit gefressen, meint Cave. Geister aus der Vergangenheit mussten vertrieben werden: »Es brauchte einen Monat, sich von Grinderman, alten Bad-Seeds-Einflüssen oder denen alter Nick-Cave-Songs, zu verabschieden und sich stattdessen an etwas Neuem zu versuchen. Über Nacht kann ich das nicht.« Nächtens im Übrigen auch nicht, Cave verlässt von Montag bis Samstag die Familie, setzt sich um neun Uhr morgens in sein Büro, zwischen zwei Pianos und Gitarre, Ledersofas und Büchern, an den Wänden ein Christusbild und Louis Wains berühmte Katzenportraits, surrealistisch bevor es das Wort gab. Eine Leidenschaft, die er mit David Tibet teilt. Um siebzehn Uhr ist Schichtende, Zeit, nach Hause zu gehen. Wer sich in die kreativen Heerscharen einreiht, weil einfach keine bessere Ausrede für Faulheit zur Hand war, sollte Nick Cave wohl lieber nicht treffen.
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Befürchte nun niemand, »Dig, Lazarus, Dig!!!« klingt, als wäre das Album am Reißbrett entstanden. Es gibt sanfte Flöten- und wilde Orgeltöne, letztere ausgiebig auf »Today’s Lesson«, von Cave und James Johnston in bester Gallon-Drunk-Manier mit einem Schuss östlich anmutender Melodik gespielt. Das Piano hat hingegen öfters Pause. Dreimal kommt die Viola zum Einsatz. »Albert Goes West« lädt zum Mitsingen ein und bringt Warren Ellis, begeisterten Instrumentensammler, an der zwölfsaitigen Laute. »Midnight Man«, der Song, der das ganze Album in fünf Minuten bündelt, eine schlingernde Angelegenheit aus Ellis’ Loops, sich in ein irrsinniges Zusammenspiel von Mick Harvey, Jim Sclavunos, Martyn Casey und Thomas Wydler verdichtend, sollte, bei der Grünen Fee, die nächste Single werden. Oder vielleicht doch eher »Lie Down Here (& Be My Girl)«, in Caves Worten an English Folk, die alte Geschichte vom Troubador und seiner Braut angelehnt und dabei doch sehr 21. Jahrhundert. Das dritte Mal überhaupt in auch schon fast zweieinhalb Jahrzehnten Bad Seeds kommt der Beat, man höre und staune, aus der Maschine. Allerdings so, dass er kaum auffällt, in dem Garage-Stakkato von »We Call Upon The Author«, einer sehr amüsanten und belesenen Schimpforgie, die das kleine Unheil und das große, grundsätzliche Missvergnügen zur Sprache bringt, dabei ganz nebenbei noch eine literarische Fehde stiftet. Der zur Rechenschaft bestellte Autor ist niemand anders als der alte Herr im Himmel persönlich. Und Nick Cave selbst. Der Mann hat Selbstironie, ein rares Gut.
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»Dig, Lazarus, Dig!!!«, nicht zuletzt die gleichnamige erste Single, hat Funk, ist rhythmisch und perkussiv, zielt auf Hirn und Hüften gleichermaßen. Das Album entstand im Londoner State of the Ark-Studio, es gehört Terry Britton, dem Mann hinter Tina Turners »What’s Love Got To Do With It?« (1984). Unaufhörlich rasselt und poltert es auf der Platte. Zum Einsatz kommen Bongos, Congas, Cuíca (eine unserem Brummtopf ähnliche brasilianische Reibetrommel), Fingerbecken, Handtrommeln, Maracas, Schlittenglocken, Shaker, Tamburin, Toms und Vibraslap (vor allem auf Kuba gebräuchlich). Haben die Bad Seeds einen Perkussions-Workshop veranstaltet? Cave erzählt, wie die Instrumente einfach zur Hand waren, während sie das Album einspielten. Irgendwann hätten sie sich die Sachen einfach geschnappt, zum Teil ohne zu wissen, wie sie bedient würden oder für welche Klänge sie genau bestimmt wären: »Wir sind dahinter gestiegen, während wir noch spielten. Es war, als würde ein Kind Krach machen, und es klingt verdammt gut.« Dabei haben die Bad Seeds den Groove nicht erst gestern entdeckt. Auf »The Good Son« (1990), dem zum Klassiker gewordenen Album, das bei Erscheinen irritierte, findet sich der göttliche »Witness Song«. Wer will, darf jetzt ausgiebig mit den Fingern schnippen, in selbstverständlich geputzten Schuhen mit den Füßen wippen und den Drink oder frisch gebrühten Tee über Hemd und Kleid verschütten.
v.l.n.r.: Jim Sclavunos, Nick Cave, Thomas Wydler, Warren Ellis
Wo sind die Balladen geblieben, fragt eine bange Stimme unter dem Tisch. Es gibt sie immer noch. »Night Of The Lotus Eaters« ist ein langsam kriechender Song, die Rasselwerkzeuge kommen zum Einsatz, nur diesmal unbehaglich, bedrohlich gar. Eine Ballade der etwas anderen Art. Es wird aber auch noch klassisch, fast traditionell. »Hold On To Yourself« und »Jesus Of The Moon« sind die Art von fragenden und wissenden Songs, die nur schreibt, wer viel gesehen hat, ohne sich davon zerbrechen zu lassen. Im strengeren Sinne keine Ballade, sondern eher Midtempo, ist »Moonland«. Niemand sei so recht froh darüber gewesen, als der Song sein Leben als langsame, traurige Bluesvariante begonnen habe, bis sich Warren Ellis der verfahrenen Angelegenheit annahm und »Moonland« eine Extraladung Perkussion verpasst bekam. Jetzt ist Cave richtig froh über den Song, erwähnt ihn ausdrücklich auf die Frage nach einem möglichen Lieblingsstück auf der Platte. Normalerweise finde er es eher schwierig, sich selber ein Bad-Seeds-Album anzuhören. Viel zu viel Persönliches sei darauf: »Das ist das Letzte, was ich hören möchte. Es ist, als würde man in einen Spiegel schauen, was auch nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört. Aber einige dieser Stücke, Moonland zum Beispiel, kann ich als überraschende und schöne Musik hören. Und ich liebe es, das tun zu dürfen.« Sagt Nick Cave, Mann mit schillernder und lange ungesunder Vergangenheit, von dem es einmal hieß, er könne in Dantes Inferno die Hausband leiten. Vor Künstlern, die sich neu erfinden, sei gewarnt. »Dig, Lazarus, Dig!!!« ist immer noch ein Nick-Cave-Album. Nur ist es kein Brocken Schwermut, sondern eine geballte Ladung Trotz und Witz. Wenn es nicht am Bart und nicht an der Seeluft liegt, dann am Leben selbst, in der Jugend meistens eine Zumutung und später dann Erfahrung.
»Dig, Lazarus, Dig!!!«
erscheint am 29. Februar 2007.
Hörproben unter:
» myspace.com/nickcaveandthebadseeds
» nickcaveandthebadseeds.com
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