Das 12. F.S.K.-Album klingt so frisch und unternehmungslustig, dass man sich erstaunt die Augen reibt, um die genannte Zahl im Presseinfo nochmal genau zu lesen: seit 27 Jahren existiert die Band F.S.K., stammt also aus einer Zeit, in der deutschsprachige Bands unter dem bald ungeliebten Begriff „Neue deutsche Welle“ zusammengefasst wurden. F.S.K. passten von Anfang an zu keiner Welle und in keine Genreschublade, die Musiker bezeichneten sich selbst als „für die Hippies zu jung und für Punk zu alt“ und schufen mit der Band eine Experimentierplattform, auf der bisher Glampop Roxy-Music'scher Prägung ebenso Platz fand wie Countryexkurse, Jodeln und Detroit-Techno.
Wenn auch Michaela Melián und Thomas Meinecke durch ihre Arbeit neben F.S.K. inzwischen zu festen Größen des Feuilletons geworden sind (Melián als Bildende Künstlerin und Solomusikerin; Meinecke als Romanautor und Teil des Popdiskurs-Trios Walter/Witzel/Meinecke, „Plattenspieler“), hat Personen- oder Starkult im F.S.K.-Gefüge keinen Platz. F.S.K. propagieren Anti-Authentizität, Anti-Stardom, Anti-Rockism und sind doch keine „Antiband“ – im Gegenteil, enthusiastisches Ausprobieren von noch-nicht-ausprobiertem ist bestimmendes Element neben der intellektuell-diskursiven Rezeption, Aneignung und Verarbeitung verschiedenster stilistischer Strömungen.
Foto: Katja Ruge
FSK sind: Justin Hoffmann (Synthesizer, Glockenspiel, Gesang), Michaela Melián (Bass, Gesang), Thomas Meinecke (Elektronisches Schlagzeug, Gitarre, Trompete, Kuhglocke, Gesang), Carl Oesterhelt (Schlagzeug), Wilfried Petzi (Gitarre, Mandoline, Posaune, Gesang) |
CM: Euer neues Album heißt so wie die Band, auf dem Cover ist nichts zu sehen außer dem Schriftzug. Warum diese Schlichtheit?
TM: Aber ein Bandfoto ist dabei! (Auf dem Back- und Innencover, Anm. cm) Davor haben wir uns früher immer gescheut, weil F.S.K. ja keine Selbstdarstellerband ist, aber dieses Mal hatten wir Lust dazu. Auch darauf, den Begriff „Freiwillige Selbstkontrolle“ mal auszuschreiben: Weil unsere Platten auch in England und den USA veröffentlicht wurden, haben wir früher nur die Abkürzung verwendet. John Peel konnte „Freiwillige Selbstkontrolle“ zwar aussprechen und war stolz darauf, aber andere hatten damit eher Schwierigkeiten.
Unser Bandname entstammt einem Postpunkkonzept und sollte eine gewisse Gefasstheit ausdrücken, im Gegensatz zu dem hippiemäßigen Verströmen und Auskotzen, das andere Bands auf der Bühne performten.
Bei F.S.K. hat jetzt ein cut stattgefunden, der man der Musik auch gewiss anhört: die Bandgeschichte setzt neu an. F.S.K. existiert weiter im Sinne einer Appropriation von Musik, aber diese entwickelt sich nicht unbedingt aus der letzten LP weiter (von „First Take, Then Shake“, dem disko-b-Album von 2004, Anm. cm). Und das neue Album erscheint wieder auf einem Hamburger Label, so wie unser erstes. Ich habe das Gefühl, dass sich momentan viele Kreise schliessen; junge Bands wie CSS berufen sich auf Musik, auf die sich F.S.K. am Anfang ihrer Geschichte auch bezogen haben: auf No-New-York-Sachen, die Contortions, Punk- und Disco-Schnittstellen. Ich finde es interessant, auf diese Anfänge zurückzugreifen und zum Beispiel House als Weiterentwicklung im Gepäck zu haben. Und dann die neue Platte so zu nennen, als wäre es die erste!
CM: Was ist für Dich der Unterschied zwischen „Kreise schliessen sich“ und Retro?
TM: Glücksgefühle im Pop sind immer auch mit Déja-vus, mit Rückgriffen verbunden. Bei Disco zum Beispiel: Disco hat Rückgriffe auf Swing unternommen und daraus Hymnen sexueller Dissidenz gemacht. Da wurde an den Sounds, zu denen die Eltern schon zum Tanztee gingen, ein bisschen an der Schraube gedreht und schon passte es für den Dancefloor – das gefällt mir gut.
In letzter Zeit haben sich viele junge Bands auf Gang of Four bezogen; Radio 4 machen das eher langweilig. Und Gang of Four selbst sind langweilig geworden, sie haben ihre alten Stücke wieder eingespielt, dieses Mal mit dem sogenannten „richtigen“ Schlagzeugsound, worauf sie sehr stolz sind. Dabei war es genau dieser künstliche, knackige, crispy-unmännliche Schlagzeugsound, den ich so toll fand. Jetzt verwenden sie so einen Machodrumsound, also macho und matschig – man hat immer die Möglichkeit, alles gut und alles falsch zu machen, Gang of Four haben, als sich ihr Kreis schloß, alles falsch gemacht. The Rapture hingegen gefallen mir sehr gut! Es gibt ja inzwischen eine mindestens 15 – 20 Jahre lange Dance-, Club-, Bass- und Rhythmuskultur, die sich in Hörgewohnheiten eingespielt hat, die Leute können mit repetitiven Beats umgehen. Bei unserer neuen Platte hat sich auch mein persönliches Spiel verändert: ich spiele bei sieben der neun Stücke elektronische Drumpads – wir alle hören viel modernen R'n'B und HipHop mit diesen gebrochenen, komischen Stolperfallen-Funkbeats, die mitunter auch auf den glatten, kommerziellen Charttracks drauf sind. Wir wollten wissen, was passiert, wenn wir uns als Band all diesem aussetzen – und ich bin sozusagen Carls (Oesterhelt, der Drummer, Anm. cm) dritter und vierter Arm. Wir mochten Funk schon immer, wobei die Gefahr gross ist, dass man in die „Funkfalle“ gerät, schnell ins Gedaddel kommt und das wollten wir vermeiden.
CM: Wie wichtig ist Dir als Nichttänzer die Tanzbarkeit Eurer Songs?
TM: „Nichttänzer“ ist ein bisschen übertrieben, neulich hab ich zum Beispiel mal getanzt! Alle, die dabei waren, haben gesagt, 'DJs tanzen doch nicht'! Wobei ich mich dann gefragt habe, ob ich das denn wirklich bin, ein 'DJ'... Ich kenne das durchaus, das Nicht-Stillhalten-Können beim Auflegen, das ist ja eine körperliche Reaktion. Aber dieses Nicht-Tanzen-Wollen ist vielleicht auch eine Unsicherheit, wer weiss.
Wir haben dieses Mal keine „Klicks“ auf dem Album, das Zeug atmet wieder mehr, wird mal schneller, mal langsamer; wir wollten wissen, was die Sounds von uns wollen. Man hört Michaelas fetten Höfner-Bass, wir wollten viel Bass – und als Hauptextra kam die Danceculture seit den Achtzigern dazu, die es vorher nicht gab. Disco mochte ich schon immer; ich war zum Beispiel sehr glücklich mit Malcolm McLarens Sex Pistols-Discomedley auf der „Who Killed Bambi“-Platte...
CM: ...Ja, das mochte ich auch sehr gerne – und McLarens „Double Dutch“, weil er die Pole Disco und Punk zusammenbrachte, was für den Punkfan vom Lande in den frühen Achtzigern so gut wie undenkbar war...
TM: ... jetzt, being older, verstehe ich auch, dass Disco durchaus subversiv und queer war. Damals wusste ich noch nichts vom schwulen Underground und seiner hedonistischen Dissidenz. Und denk doch mal an die Macher dieser Musik: Sylvester und andere verschiedenen Grades transidentitäre Personen wie Grace Jones und Amanda Lear. Die gaben Signale, eine Message, wie sie auch vom Punk ausging: hier ist nichts for real! Punk mochte ich dann am liebsten, wenn er eine glamouröse Seite hatte, das fand ich viel interessanter. Punks trugen immer ihre Plastikexistenz vor sich her, im Gegensatz zu Rock, der ja Authentizität transportieren wollte.
CM: Aber war Disco nicht eher elitär? Bei Punk konnte jeder mitmachen, der 50 Pfennig für eine Dose Bier hatte. Fürs Disco-Clubbing brauchte man doch richtig Geld....
TM: Ja, aber „Saturday Night Fever“ - das zeigt eine proletarische Kultur, man hat auf die zwei Getränke in der Disco und den Anzug gespart! Im Frankfurter Cocoon-Club kann man das auch heute beobachten: man kann dort diese exklusiven Boxen für hunderte von Euro mieten, und in dem Laden sind doch die ganzen Rödelheimer Moses Pelham-Typen... das hat schon was sehr Rührendes, it's a Saturday Night... die Demokratie in der Disco ist natürlich suspendiert und birgt andere Hierarchisierungsmöglichkeiten, die ich nicht verklären will – aber es hat etwas Sozialrealistisches. Sowas wie das Cocoon gibt's nicht woanders, das gibt es nur in Frankfurt, wo es mir ohnehin gefällt. Hinter den tollen Hochhäusern beginnen sofort die Backalleys, Frankfurt ist viel härter und gleichzeitig lieblicher als Berlin, wo alle hinrennen und in ihrem Künstlerghetto landen.
Ich komme ursprünglich aus Hamburg und bin in den späten siebziger Jahren nach München gezogen – München galt damals als Discometropole, man konnte manchmal Bands wie die Sparks in den Clubs rumstehen sehen.
CM: Als du satt.org vor drei Jahren ein Interview gegeben hast, warst du gerade sehr begeistert von Outkast und André3000. Wen findest du heute interessant?
TM: André3000 finde ich immer noch sehr interessant. Dieses Album damals („Speakerboxx – The Love Below“) war zwar ein Höhepunkt für Outkast, aber auch nicht deren erstes. Ich finde ihren Atlanta-P-Funkartigen, basslastigen Zugang zu HipHop sehr gut, von den Typen kann man noch viel erwarten! Und heute: ich finde immer viel mehr toll, als ich scannen kann – Dubstep zum Beispiel finde ich auch als Radio-DJ (Sendung Zündfunk auf Bayern 2/Anm. cm) als etwas so-noch-nicht-Gekanntes sehr interessant: Dubstep lässt sich auf Jungle zurückführen oder als Reggae-Exegese verstehen, durch Remixe von Villalobos und anderen werden Links zu House gelegt, sehr spannend. Ich mag auch gerne Geballer aus Baltimore, aus dem Diplo/Spankrock-Umfeld mit seinen HipHouse-Denkungen – House findet eher in geschlossenen Räumen statt und hat ganz andere Codes als HipHop, der mehr auf der Strasse zu Hause ist. Bei Outkast zum Beispiel kommt dazu noch das musicalhafte Element...
Ansonsten geht Begeisterung bei mir schnell in den Alltag über, ich fand die ersten Alben von CocoRosie und Beirut irre, die zweiten dann schon nicht mehr so toll.
CM: Laufen sich Sachen schneller tot, die besonders originell sind?
TM: Genau - House bringt zum Beispiel tolle Künstler hervor, die keiner kennt wie Dennis Ferrer. Ganz aktuell gerade Leute aus New York, die deepe, nicht verdaddelte Minimalhouse-Sachen machen.
Ich mag LCD Soundsystem, das ist nicht sensationell, aber toll in dem, von dem ich schon dachte, dass es gehen muss: Bandmusik mit Tanzboden im Kopf... Hot Chip finde ich auch ganz schön toll, ich freue mich sehr auf das neue Album! Die machen auch keine wirklich neue Musik, haben aber einen angenehm-unmännlichen Ansatz. Oder Babyshambles: deren Musik rekurriert so schön auf früher, auf Bands wie Adam & the Ants, Richard Hell und solche Leute. Aber die Schlagzeilen in den Klatschzeitungen stehen ihnen im Weg, überall liest man nur, wo Pete Doherty wieder abgestürzt ist, aber kaum jemand kennt wirklich die Musik.
Jens Friebes neue Platte finde ich wahnsinnig schön, vor allem das Titellied ist grossartig. Wiederentdeckt habe ich Arthur Russell: in den 80ern war ich nicht wirklich bereit für das Uferlose, Trackartige, Verströmende seiner Musik. Die Dancesachen wie „Is it all over my face“ fand ich schon immer gut, aber die Tracks mit Echo, Cello, Stimme – die höre ich jetzt, als sei es was völlig neues. So gibt es immer wieder Entdeckungen, die gar nicht unbedingt neu sein müssen. Ich bin Fan von vielen Dingen und kaufe auch viel.
CM: Deine Tochter ist jetzt 18 – was mag sie so? Und ist sie von Dir und Michaela beeinflusst?
TM: Sie bekommt durch uns natürlich sehr viel mit, und lernt auch viele Leute als physisch bei uns zu Hause aufkreuzende Figuren kennen: Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun und andere. Eine merkwürdige Entwicklung ihrerseits hätte mich nicht gewundert, aber es scheint nicht die Art von Generationswechsel zu geben, wie ihn uns die 68er als für von nun an verbindlich haben glauben machen wollen. Die heutige Elterngeneration ist ja mit Pop aufgewachsen, von daher ist es für die Jüngeren sicher schwerer, sich von den Eltern abzugrenzen. Für die Jugendlichen heisst das, dass es schon klar sein muss, dass es den Alten nicht zu gut gefällt: Sachen müssen neu erklärt, neu geklärt werden. Herausforderung muss immer ein Aspekt sein – aber ich bin in dieser Hinsicht nicht pessimistisch, es wird nur keinen grossen Urknall mehr geben. Ich lerne zum Beispiel auch viel von meiner Tochter: letztens tönte der französische Act Noze aus ihrem Zimmer, den ich noch nicht kannte. Sie geht viel in Clubs, ausgegangen wird definitiv zu elektronischer Musik. In München gibt es zum Glück eine sehr gute Clubkultur mit der Roten Sonne oder der Registratur. Und es gibt Überschneidungen: wir mögen alle Theo Parrish, Hot Chip, Tocotronic, amerikanische Singer/Songwriter... und durch meine Tochter lerne ich vielversprechende junge Bands aus ihrem Freundeskreis kennen. Es gibt keinen Generationskonflikt – wir hören zuhause zusammen Musik und ich lerne durch sie die Gruppe der 17 – 20jährigen kennen, mit der ich sonst nicht in Kontakt käme. Klar, mit 13 fand sie die Sportfreunde Stiller gut, aber ich wäre der letzte gewesen, der ihr empfohlen hätte, etwas anderes zu hören. Und diese Gefahr ist bei Leuten wie mir ja groß! Sie hätte nur mit Heavy Metal und Operette die Chance gehabt, etwas komplett anderes zu hören als wir... Heavy Metal wäre meine grosse Angst gewesen, aber es ist nicht passiert. Und Operette – wer weiß! Ich bin sehr begeistert von Rufus Wainwrights Judy Garland-Interpretation, so ein tolles Konzept!
CM: Ist F.S.K eine Spurenleger-Band, stellt Ihr dem Publikum Aufgaben? Auf dem neuen Album geht es zum Beispiel um die relativ unbekannte Schauspielerin Maria Montez und den Discosänger Sylvester – sollen die Leute auf die Suche nach diesen Personen gehen, wenn sie sie nicht kennen?
TM: Es ist nicht so, dass ich die Themen stelle, sie liegen meistens in der Luft. Maria Montez ist eine Schwulenikone der Clique um Andy Warhols Factory gewesen. An sie wurde geglaubt, tatsächlich im Sinne einer Heiligkeit: sie stammt aus einer afrokaribischen Familie und schwirrt durch das Werk des Undergroundfilmers Jack Smith. Und gerade hat mir Justus Köhncke erzählt, dass er sich auf dem Cover seiner neuen Platte als dieser Jack Smith inszeniert – der in Bohemia ziemlich around ist, Maria Montez nicht so sehr. Sie wird in meinem kommenden Roman eine Rolle spielen, der sich unter anderem mit dem Katholizismus befassen wird. Meine Romanthemen färben auf die Songlyrics von F.S.K. ab, die Themen flackern hin und her. Zum Beispiel schwule Issues wie in „Feldforschung“ (Auftragswerk im Rahmen einer Ausstellung... /Suhrkamp-TB/Anm. cm). Die schwule Seite schätzt meine Bücher, aber für Leute wie mich gibt es kein Modell – ich habe mich selbst mal als „männliche Fag-Hag“ bezeichnet und wusste gar nicht, dass eine Fag-Hag immer weiblich sein muss. Klaus Walter zum Beispiel ist jemand, der ähnlich denkt, aber es ist kein subkultureller Common Sense – ich frage mich immer, warum das so ist.
Ich habe Lust, Verweise zu setzen, ich finde es wahnsinnig interessant, wenn die Themen so herum-echoen, aber das hat keinen Aufklärungscharakter. Die Namen, die in unseren Texten vorkommen, kann man kennen, muss man aber nicht. Wobei es immer einen diskursiven Ansatz, eine Message gibt. Es steckt immer ein politisch korrekter Gedanke dahinter.
CM: Du verweist selbst gern auf Deinen Gebrauch des Reclam-Reimlexikons, stellst die Klarheit der F.S.K.-Texte heraus. Dennoch kann ich mir einen nicht-intellektuellen Zugang zu F.S.K. nicht vorstellen. Können Leute zu F.S.K. finden, die kein popistisches Wissen haben?
TM: Vergleichbares gibt es auch in der Musik: als wir das Album mit Shake Shakir gemacht haben („First Take, Then Shake“), sind viele Leute quer zu uns rübergestiegen. Leute, die aus dem Technoumfeld kamen, fanden es interessant, dass Nastassja Kinski und Quincy Jones ein Kind zusammen haben (*„Kinski Jones“). Oder dass Kraftwerk als Authentizitätsfaktor für schwarzen Techno gilt, und eben nicht der Blues und der sprichwörtliche Dreck an den Schuhen. Das wollte die Musik miterzählen! Ich empfinde das Image der Intellektuellenband schon als Klotz am Bein. Früher war das aber noch schlimmer, damals hatten unsere Konzerte regelrechten Vorlesungscharakter. Die Leute standen mit verschränkten Armen vor der Bühne und haben ganz aufmerksam zugehört. Deswegen haben wir mit Jodeln, Country, Schlager oder Polka die Codierung bewusst in Richtung low vorgenommen, wir wollten eine ästhetische Ausweichbewegung machen. Es ist schon toll, wenn nicht nur die Gymnasiasten tanzen!
Wenn ich Thelonious Monk höre, denke ich: seine Musik klingt irre intellektuell, aber vielleicht war er es selber gar nicht. Seine Musik ist dekonstruktivistisch – mit all diesen
-ismen. Das ist eine ambivalente Sache: Ich unterhalte mich schon gern mit klugen Leuten, aber das darf nicht zum Ghetto werden. Die rhythmische Seite ist bei F.S.K. sehr wichtig, mittlerweile gehen die Leute im Publikum richtig ab, und das soll auch so sein.
CM: In einer Deiner ZEIT-Kolumnen zitierst Du Kraftwerk: „Es wird immer weitergehen / Musik als Träger von Ideen“. Gerade bei deutschsprachigen Bands wird hierzulande die Musik oft vergessen, man wirft sich auf den Text – aber was sagt die Musik? Den ersten Track auf Eurem Album, „Nokturn“ finde ich zum Beispiel ganz rätselhaft: die Musik treibt an, geht nach vorne, der Text sagt aber etwas ganz anderes, der Sänger will gar nicht mehr ausgehen...
TM: Das würde mich auch interessieren – was ist das überhaupt für eine Musik bei „Nokturn“? Ich weiss es nicht. Musik ist da und stellt Fragen, Forderungen und dann kommt noch der Text dazu – den einzelnen F.S.K.-Mitgliedern ist am Anfang gar nicht klar, was für ein kleines Monster man an seiner Brust nährt... Ist „Nokturn“ ein Rockstück? Unterschwellig ja, mit knarzenden, nasty Synthiespuren. Wir improvisieren im Proberaum, dann gehe ich nach Hause und schreibe einen Text. Bei „Nokturn“ konterkarieren sich Text und Musik, das Stück hat viel von den frühen F.S.K., es ist Rollenprosa. Bei F.S.K. ist jeder mal für irgendwas zuständig – ich war früher schon für die merkwürdigen, aufgewühlten, hysterischen Stimmungen zuständig, (ältere Songs wie „Was kostet die Welt“, „Viel zu viel“). Bei „Nokturn“ kommt noch dieses Anti-Gitarrensolo von Wilfried dazu, das sich durchaus auf Sachen von früher bezieht, auf freies Lärmzeug. Es war nicht unbedingt gedacht, dass das Album mit diesem Song beginnt; Spex wollte es für die Heft-CD haben, und auf einmal war „Nokturn“ zur kleinen Galionsfigur des Albums geworden. Was witzig ist, denn es ist ja eigentlich ein Verweigerungsstück, die Party ist vorbei. Dass das Album mit der Zeile „Geh du schon mal vor“ („A Taste of Honey“) aufhört, ist weniger Konzept als Zufall. Die Songs sind wie Mikadostäbe an ihre Plätze gefallen.
CM: Auf dem neuen Album sind (nur) neun Stücke – ich schätze es sehr, wenn ein Album konzentriert und kompakt ist...
TM: 40 Minuten ist tatsächlich eine gute Länge. Bei Buback wird auch die Vinylplatte erscheinen, man muss also nach genau 20 Minuten die Platte rumdrehen. Eine Dreiviertelstunde scheint die gefühlte „normale“ Länge für ein Album zu sein. Gerade bei vielen HipHop-Alben werden die Peaks durch die Länge begraben, was sehr schade ist.
CM: Deine Texte stecken voller Verweise und ,coolem’ Wissen - bist du ein Nerd?
TM: Ich habe ja nicht alles im Kopf, vieles ist im prozessualen Schreiben niedergelegt. Meine Bücher wissen mehr als ich, wissen das, was sich sonst verflüchtigen würde. Das mag ich am Bücherschreiben: diese Konzentration, die man sonst im Alltag nicht hat. Dieses „Wissen“, das mir eigentlich unsympathisch ist, ist bei mir kein richtiges Wissen, sondern eine Art Aneignungs- und Durchgangsprozess. Da ist es natürlich, dieses Nerdhafte... ich klage mich ständig selber dafür an. Ich sehe mich als Jungen, der alles wissen will. Ich bekämpfe das Nerdtum und merke dann, dass ich letzten Endes gar nicht anders kann.
In puncto Musik bin ich ein typischer Nerd, ich will immer wissen, woher eine Platte stammt, wer sie produziert hat und ob die Pressmaschine dieser bestimmten Technoplatte auch wirklich in Südchicago steht... ich kann das Nerdinteresse nicht ausschalten und entwickle ein sadomasochistisches Lustempfinden, dass mir die Clubkultur genau dieses Wissen verweigert. Ich spüre den Widerspruch in mir, dieses Jungsding einerseits doof zu finden, und mich andererseits ständig in der Verweishölle der Popkultur zu befinden. Wissen, das man nicht unbedingt braucht, aber trotzdem ist es toll, bescheid zu wissen. Wobei dieses Wissen mein Privatvergnügen und kein Herrschaftsmodell ist. Ja, ich bin ein Nerd, obwohl ich es ablehne.
CM: Mich hat besonders die Stelle in „Plattenspieler“ beeindruckt, wo du sagst, dass man erstmal 500 Stunden House hören muss, um gewisse Unterschiede erkennen zu können...
TM: Oh Gott ja, Frank Witzel hat mir vorgeworfen, ich würde mich anhören wie sein Vater. Dabei meine ich das gar nicht akademisch oder belehrend: es geht darum, dass dir etwas gefällt, ohne dass du weisst, warum. Du verstehst möglicherweise erst viel später, warum dir ein bestimmter Sound gefällt. Und wenn man eine Menge Musik gehört hat, bemerkt man die Unterschiede. Am Anfang kann man eventuell Underground Resistance nicht von Scooter unterscheiden....
CM: Sonja Eismann hat mir in einem Gespräch gesagt, dass sie sich fragt, ob es denn nichts wichtigeres als das Schreiben über Pop gäbe. Sie glaubt, dass Frauen/Mädchen eher zum „Vernünftigsein“ erzogen werden und deshalb ihr Interesse an Pop irgendwann verlieren – im Gegensatz zu Jungs/Männern, denen solche „Unvernünftigkeiten“ wie die Liebe zu Popmusik erlaubt werden...
TM: Das finde ich komisch, denn sie ist ja wie ich über Bikini Kill und andere Riot Grrl-Bands auf das Gender-Thema gekommen und fing an, sich für Theoretikerinnen wie Judith Butler zu interessieren und deren Bücher zu lesen...
In Bezug auf ein „bestimmtes Alter“, ab dem man sich angeblich nicht mehr für Pop interessiert, hat bei mir offenbar enzymtechnisch irgendwas nicht stattgefunden.
Diedrich Diederichsen hat sinngemäss gesagt: „...dann also doch Avantgarde“ - das hat für mich etwas von einem Verabschiedungsritual. Ich finde, dass das eine (also Erwachsensein) das andere (also Interesse an Pop) nicht ausschliesst, sondern sich gegenseitig beflügeln sollte. Neugier ist wichtig! Es stimmt schon, bei vielen geht es ab den frühen Dreissigern in eine andere Richtung, deswegen höre ich ja jetzt mit den Freunden meiner Tochter Musik. John Peel, der leider viel zu früh gestorben ist, war ein Beispiel dafür, dass mit dem Älterwerden nicht das Interesse an neuer Musik, neuen Entwicklungen verloren gehen muss. Er sagte mal, dass man die eigene Generation beim Roy-Orbison-Konzert trifft... aber frag mich nicht warum. Das hab ich bis heute nicht begriffen. Für Filme scheint das alles nicht zu gelten, für Filme interessieren sich die Leute in jedem Alter. Vielleicht weil Popmusik ein so starkes identifikatorisches Angebot liefert, empfindet man später das als Schnickschnack, was man als Jugendlicher so intensiv empfunden hat.
CM: Knarf Rellöm sagt, der Wunsch nach Authentizität, beziehungsweise nach „authentischen, ehrlichen“ Rockbands wäre was für 16jährige...
TM: Das kann schon sein - ich bezeichne zum Beispiel Bands, die mir gefallen, als „Pop“. Für mich ist auch immer eine politische Denke mit Pop verbunden, bei Rock hingegen nicht.
CM: Wie wichtig ist Amerika für F.S.K.?
TM: Sehr wichtig. Das wird mir auch oft vorgeworfen, man pflegt ja mittlerweile einen Antiamerikanismus, der keine Unterscheidungen mehr vornimmt: Pop und Politik werden auf komische Weise nicht mehr getrennt, so dass man unfreiwillig als Bush-Supporter verstanden wird, wenn man Theo Parrish-Platten kauft. All das geht häufig mit einem diffusen Antisemitismus und diffusen Antiglobalisierungstendenzen einher... das Antideutsche als Affekt kann ich hingegen gut nachempfinden, schlussendlich ist auch Jens Friebe nicht wirklich „deutsch“.
Für mich war immer die Musik wichtig, natürlich auch alles, was aus UK kam; mit F.S.K. waren wir jährlich für unsere Peel-Sessions in England. Ich würde nie die amerikanische Kultur verallgemeinern wollen, aber es gibt immer wieder grossartiges Einzelzeug. Aus den USA kommen Sachen, die mich gedanklich auf Trab bringen, ich habe einfach ein Faible für amerikanische Popkultur, sei es Andy Warhol und die Factory, Velvet Underground, die Contortions, die Filme von Jack Smith, Disco, House, Vogueing, aber auch kulturelle Phänomene wie Gender Studies. Ich halte es nicht für unbedingt notwendig, jedes Jahr in die USA zu reisen – ich war schon 33, als ich zum ersten Mal dort war und zwischen 2002 und 2006 war ich überhaupt nicht drüben. Aber jetzt bin ich zu einer Germanistentagung in Texas eingeladen worden.
CM: Siehst Du Dich (als Autor) und F.S.K. als Institutionen? Du wirst oft interviewt, andere Leute/Schreiber beziehen sich auf Dich, du bist eine öffentliche Stimme...
TM: Das ist für mich ganz ambivalent! Kürzlich musste ich mich für Sachen rechtfertigen, die ich so nicht gesagt hatte, die aber so gedruckt wurden; meine Äusserungen wurden missverständlich zusammengefasst. Ich musste mir dann selber praktisch vorwerfen, dass ich nicht so ein Controlfreak bin, der sich alles vorlegen lässt. Meistens passiert das, wenn Interviewer mitschreiben, nicht richtig zuhören und mir dann eine komische Sprache in den Mund legen, die nicht meine ist.
Es ist natürlich schon toll, wenn man viel gefragt wird. Es macht Spass, sich beim Auskunftgeben darüber klar zu werden, was man eigentlich so macht. Es soll aber nicht inflationär werden, ich will nicht der Typ sein, der zu allem was zu sagen hat. Ich sage auch sehr oft Sachen ab. Zum Beispiel rufen mich oft Radiosender/aktuelle Magazine an und ich soll zu Themen wie neuer Papst, neuer amerikanischer Präsident, etc. etwas sagen. Die Sender wollen immer von den Schriftstellern einen Kommentar...
CM: Die kontaktieren Dich dann also als Suhrkamp-Autor, nicht als F.S.K.-Meinecke?
TM: Ja, ich glaube schon. Jedenfalls sollen immer die Schriftsteller etwas sagen und erklären; manchmal nutze ich das gerne. Ich habe mal gesagt, dass im Jugoslawienkrieg deutsche Hegemonialinteressen eine Rolle spielten, das hat sonst fast nur Handke gemacht. Aber manchmal wird man auch so blöd überhöht: es ist Scheisse, wenn man nicht bescheid weiss und trotzdem etwas sagen soll. Bei mir persönlich ist es so, dass ich viel interviewt werde, was vielleicht an meiner breit gefächerten Neugier liegt, die von Disco bis Diskurs reicht. Toll ist, dass ich oft von Unis eingeladen werde und in Kolloquien mit Studierenden und TheoretikerInnen zusammen sitze, die über dasselbe forschen und arbeiten wie ich. Die machen das wissenschaftlich, ich künstlerisch, Gender studies zum Beispiel. Ich kann meinen approach mit Leuten zusammen bringen, die gewohnt sind, straight zu denken und zu kommunizieren. Ich mag es, in diesem Mischbereich aufzukreuzen, wenn sich Uni und Event kreuzen. Eins meiner schönsten Erlebnisse war, als ich mal auf einem Plakat mit Judith Butler stand.
Meine Medienpräsenz sehe ich wirklich ambivalent, aber es wäre kokett von mir, zu behaupten, ich würde zu oft irgendwo auftauchen. Man kommt im Gespräch, Interview, Dialog ja auch immer selbst auf neue Gedanken. Ich gehe zum Beispiel gern auf Lesetour, weil ich so meine LeserInnen kennenlerne – die mir dann wiederum Lesetipps geben, die ich auch aufnehme. Es gibt eine Grenze zwischen Sich-Rar-machen und Arroganz, ich finde, dass man das Auskunftgeben schuldig ist. Überhaupt wird alles sehr gut dadurch relativiert, wenn man überlegt, wie wenig Bücher dann am Ende verkauft werden. Ich muss on the road gehen, selbstausbeuterisch sein, auch noch auflegen bis morgens früh um fünf (wobei mir das natürlich mehr Spass macht, als in irgendeinem Hotelzimmer zu sitzen), aber: nur allein mit der Substanz der Bücher ginge es nicht. Man ist ja nicht wirklich populär, es ist nur ein kleiner bohemistischer inner circle, der meine Bücher kennt.