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21. Juli 2008
Robert Mießner
für satt.org

Songs wie Literatur

Australische Beatniks: Seit zwei Jahren wird der Backkatalog der Triffids neu veröffentlicht. Deluxe, versteht sich.

  The Triffids
The Triffids, im Uhrzeigersinn: Alsy MacDonald, David McComb, Martin Casey, Graham Lee, Robert McComb und Jill Birt. Copyright: The Triffids

Diese Musik ist zu schön, um gleich mit Granteln zu beginnen. Es muss aber sein. 1990, The Triffids hatten ein Jahr zuvor ihr letztes Konzert gegeben, versammelte sich im Burswood Casino, Perth, Australien ein Großaufgebot Krawatten, Anzüge, blankpolierte Schuhe, kurz die Spitzen der West Australian Music Industry Association. Die Triffids waren für einen Preis nominiert worden. Hoffentlich haben die Herren, vielleicht auch die Damen, wenigstens etwas verwundert aus der teuren Wäsche geschaut, als die Frau, die ihnen die Getränke servierte, kurz mal ihr Tablett zur Seite legte, in ihrer Kellnerinnenuniform zur Bühne ging, die Trophäe entgegennahm, sich nervös bedankte und danach einfach weiter arbeitete. Die Frau war Jill Birt, Keyboarderin der Triffids. Mehr muss zum Verhältnis von Kunst und Kapital, Kreativität und Verwertung nicht gesagt werden.

Dabei waren The Triffids noch wenige Jahre vorher auf dem Cover des britischen NME, der 1985 zum »The Year Of The Triffids« deklarierte. Die Wahlengländer hatten im Vorprogramm von Echo & The Bunnymen gespielt, waren in Glastonbury aufgetreten, fanden wie The Birthday Party, The Moodists und The Go-Betweens Anerkennung zuerst in Europa und dann auch in ihrer australischen Heimat. Ja, bald bestritten sie Großveranstaltungen mit Iggy Pop, The Fall und Anthrax (!). Dass es mal soweit kommen würde, daran hatten Alsy MacDonald, Spielzeugtrommel und David McComb, Akustikklampfe, nun sicher nicht in ihren kühnsten Träumen gedacht, als sie im November 1976 in Perth unter dem Namen Dalsy ein Tape aufnahmen. Etliche sollten folgen, und sie trugen herrlich versponnene Titel. Der herrlichste davon ist vielleicht »People Are Strange Dalsy Are Stranger«. Auch nicht verkehrt ist »Domestic Cosmos«, und das darf man gerne wörtlich nehmen. Noch lange nach 1978, als aus Dalsy The Triffids wurden, vertrieben sie ihre Musik auf in den eigenen vier Wänden aufgenommenen Kassetten, handgefertigte Cover inklusive. Bis zur ersten Single musste es 1981 werden. The Triffids spielten auf Parties, in Schulen und in kleinen Clubs. Nicht selten vor Skinheads, die sich für Punks hielten und auf die Musik, die mehr mit Television und den Talking Heads als mit schlecht gespieltem Metal zu tun hatte, leider als Skinheads reagierten. Augen- und Ohrenzeugen zufolge war Perth nicht die beste Stadt für eine Band, deren Initialzündung zwar ein Fernsehauftritt der Sex Pistols gewesen war, deren Sänger aber literarische Ambitionen hatte.

Denn das war es, was die Triffids aus ihrer Szene herausstechen ließ. David McComb und seine Band klangen zuweilen sehr amerikanisch und waren dabei australische Beatniks. Auf ihren Platten vermaßen sie das äußere und innere Australien, vertonten Weite, Isolation und Melancholie. McComb schrieb und sang Songs, die an sich Literatur, Minidramen und kurze Epen waren. Hätte er seine Songs von jemandem gecovert sehen wollen, dann wäre es Leonard Cohen gewesen. Die Verehrung für den Kanadier und die Liebe zur Literatur teilte McComb mit seinem Landsmann Nick Cave aus Melbourne, 3000 Kilometer von Perth entfernt. Die Triffids traten die Ochsentour in den Osten sehr oft an, spielten in Melbourne und Sydney als Vorband für The Reels, The Sunnyboys, The Church, Hunters and Collectors und The Uncanny X-men. 1983 erschien »Treeless Plain«, ihr erstes Album. Im August und September in zwölf Sessions aufgenommen, zwischen Mitternacht und frühem Morgen absolviert, ist es eines der ganz großen Debüts, von der Art, dass die Formel nur noch verfeinert, aber nicht mehr wesentlich verändert werden musste. Das Line-up hatte sich mit David McComb (Gesang, Gitarre, Piano), seinem Bruder Robert McComb (Violine, Gitarre, Säge, Keyboards und Gesang), Alsy MacDonald (Schlagzeug, Gesang, Perkussion), Martyn Casey (Bass und Gesang) und Jill Birt (Orgel) verfestigt. Eins wird deutlich: The Triffids waren Traditionalisten. Von dem unheiligen Getöse, das Nick Cave im selben Herbst, nach dem Ende seiner Birthday Party, mit Mick Harvey, Blixa Bargeld, Barry Adamson und Jim G. Thirlwell in London veranstaltete und woraus die Bad Seeds wurden, ist »Treeless Plain« doch sehr entfernt. Statt abgründigem und verlangsamten Blues regieren auf »Treeless Plain« Country und nachdenkliche Leichtigkeit. Bob Dylan’s »I’m A Lonesome Hobo« wird gecovert. »Red Pony«, »My Baby Think’s She’s A Train«, »Place In The Sun«, »Hanging Shed« und »Hell Of A Summer« muten wie Grüße aus der Zeit an, als Popmusik noch Tiefgang haben durfte.

  The Triffids
Fotos: Graham Lee
The Triffids
The Triffids

Jetzt endlich gibt es das, und reichlich dazu, auf sehr luxuriös gestalteten Reissues. Seit 2006 erscheint der Backkatalog der Triffids neu. Graham Lee, Steel-Gitarrist der Triffids, seit sie ihn »And The Band Played Waltzing Matilda« spielen hörten, John Dyer, Betreiber von Domino Records und Fergus Linehan, Direktor des Sydney Festivals, beides bekennende Fans, haben sich des umfangreichen Materials angenommen und veröffentlichen es mit ordentlichen Linernotes und Bonustracks. Und was es da nicht alles zu hören gibt! »Treeless Plain« kommt mit einem Interview und Konzertmitschnitt von Live At The Wireless, einer auf Livemusik spezialisierten Reihe des Senders Triple J aus Sydney. Vorbei die Tage, da man das komplett nur auf Bootleg hören konnte. Dann »Beautiful Waste And Other Songs«: David McComb war ein verschwenderischer Songschreiber. Nur, dass damals 45 und nicht 80 Minuten zur Verfügung standen, so dass vieles auf gesuchten Singles, EPs und Minialben erschien. »Beautiful Waste« versammelt »Raining Pleasure« (1984), »Lawson Square Infirmary« aus dem selben Jahr, die erste Platte mit Graham Lee übrigens, das bis dato unveröffentlichte »Native Bride« und mit »Dear Miss Lonely Hearts« und »Beautiful Waste« zwei Singletracks von 1986 und 1984. Vorher kommt aber noch »Field Of Glass« (1985), in den Maida Vale Studios der BBC aufgenommen. Die EP nun zeigt die Triffids von einer ganz anderen, regelrecht aggressiven Seite. Mit Countryseligkeit hat das wenig zu tun.

Natürlich nicht fehlen darf der Triffids-Klassiker »Born Sandy Devotional« (1985), ihr mit Streichern und Vibraphon reich instrumentiertes zweites Vollzeitalbum, darauf »Wide Open Road«. Und »The Seabirds«, ein Song, der David McComb schlaflose Nächte bereitete. Sie sollten immer öfter seine Begleitung werden. Dann die Dylansche Verknappung von »In The Pines« (1986). Alle diese Platten erschienen in Australien auf Hot Records. Bis die Triffids im November 1986 einen Schritt gingen, der ihnen sofort den Vorwurf des Ausverkaufs einbrachte: Sie unterschrieben bei Island Records. Reine Independent-Lehre hin und her, jetzt mussten sie ihre Platten nicht mehr selber finanzieren, statt dessen konnten sie über Produzenten und Studios diskutieren und Videos drehen lassen. Konkret für »Bury Me Deep In Love« und »Trick Of The Light« auf »Calenture« (1987), ihrem Mayor-Debüt, dessen Reissue gleich mit einer ganzen Bonusdisc vorliegt. The Triffids wollten Erfolg und wurden von der BBC für würdig befunden, auf »Sgt Pepper Knew My Father« (1988), einem Coveralbum des kompletten Beatles-Klassikers, »Good Morning Good Morning« einzuspielen. Auf drei Alben war ihr Vertrag bei Island angelegt. Das letzte sollte »Stockholm« (1990), ein 1989 in der schwedischen Hauptstadt aufgenommenes Livealbum, werden. Der letzte Song darauf ist das wunderbare »How Could I Help But Love You?« aus der Feder Allen Toussaints. Noch wunderbarer ist, dass man das jetzt in einer Studiofassung hören kann. Auf dem wiederveröffentlichten, für ebenfalls zwei CDs gründlichst überarbeiteten »The Black Swan« (1989). Der als Produzent angeheuerte Stephen Street bemerkte, dass der Schwanengesang der Triffids besser sei als jedes Smiths-Album, an dem er mitgearbeitet hätte. Die Triffids ergänzen bescheiden, dass sie Street schwerstens betrunken gemacht hätten. Bloß dass »The Black Swan«, ursprünglich als Doppelalbum geplant, für viele Fans viel zu eklektizistisch war, die Mischung aus Pop, Barjazz, Chanson, Flamenco, Rap und noch einigen anderen Stilen mehr eher ratlos machte. Zwanzig Jahre später klingt das absolut modern. David McComb, er arbeitete nach dem Ende der Triffids mit Graham Lee bei den Blackeyed Susans, wird diese Version seines »White Albums« nicht mehr hören können. Er hatte sich zuviel zugemutet, musste sich 1996 einer Herztransplantation unterziehen und starb 1999 nach einem Autounfall in Melbourne. Martyn Casey spielt seit den frühen Neunzigern bei Nick Cave & The Bad Seeds und ist Mitglied von Grinderman. Robert McComb arbeitet als Hochschullehrer, Alsy MacDonald als Anwalt. Er ist auch wahrscheinlich einer der wenigen, dem Jill Birt, mittlerweile Architektin, noch einen Drink reichen würde. Die beiden sind verheiratet und haben drei Kinder.



» www.thetriffids.com
» myspace.com/thetriffids