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Leonard Cohen: Buch der Sehnsüchte (aus dem Englischen von Karl Bruckmaier, Ann Cotten, Wolfgang Farkas, Jens Friebe, Thomas Palzer, Sabine Reichel, Nicolai von Schweder-Schreiner, Carl Weissner, Wolf Wondratschek) Blumenbar Verlag, München 2008 geb., 234 S., 19,90 € » amazon
Eine neue Übersetzung von »Beautiful Losers« (aktuell vergriffen) erscheint ebenda im Herbst 2009.
Programmhinweis: Am 26.10. läuft bei byte.fm die Sendung "Was ist Musik" zu Leonard Cohen präsentiert von Klaus Walter.
Was ist Musik: Sonntags 20-23 Uhr Wiederholungen: Dienstags 13-16 Uhr und Mittwochs 8-11 Uhr.
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Melancholie und Dissidenz
Lorca lebt und hadert: Leonard Cohens »Buch der Sehnsüchte« erzählt von Frauen, Zigaretten, Politik und warum es im Kloster keine Zuflucht gibt.
Höchste Zeit, über Melancholie zu reden. Ihr Ruf ist zwiespältig. Arne Zank (Tocotronic) sagt, ihm drehe sich beim M-Wort der Magen um. Nick Cave, einer, der sich gut damit auskennt, hält Melancholie für einen wunderbaren Luxus, Depression für eine unkontrollierbare Krankheit. PeterLichts neues Album heißt gleich »Melancholie und Gesellschaft«. Klaus Walter widmete der schwarzen Galle unlängst eine ganze Sendung auf ByteFM und vor einigen Jahren gab es in Paris und Berlin eine große Ausstellung zum Schwermutsgefühl. Melancholie ist ein ernstes Thema, und Leute, damit das gleich klar ist, sie ist ganz und gar nix für Jammerlappen. Zwar benutzt so gut wie kein Mensch mehr das dämliche Wort Spaßgesellschaft (ein grotesker Widerspruch in sich selbst), trotzdem sei gesagt: Der Melancholiker und die Melancholikerin, sie sind die letzten Dissidenten. Und ihr ungekrönter Zar ist ein über siebzigjähriger Kanadier aus jüdischem Elternhaus. Leonard Cohen heißt er, alle haben ihn schon mal gehört, sich von »Famous Blue Raincoat« trösten lassen, mit »I’m Your Man« der Angebeteten Anträge gemacht oder in den letzten Jahren mehrmals hintereinander »The Future« gehört: »It Is Murder«. Weitaus weniger Leute haben Cohen, der immerhin als Autor debütierte, bevor er endgültig zur Gitarre griff, gelesen. Das kann, sollte, muss jetzt nachgeholt werden.
Wer das »Buch der Sehnsüchte«, Cohens zwölfte Veröffentlichung für den Druck, aufschlägt, wird feststellen: Der melancholische Mensch ist ein Mensch des Details. Über das ganze Buch sind, das ist das Neue an diesem Cohen, kleine Zeichnungen und Skizzen verteilt. Gleich die erste zeigt einen Frauenakt mit wallendem Haar, die zweite dann den kahlgeschorenen Dichter, mit weiten Augenhöhlen und einem bitteren Zug um den Mund. Es folgen Gitarren, Embleme, als roter Faden zwei ineinander verschlungene Herzen, die nicht von ungefähr an einen Davidstern erinnern, mehr schöne Frauen, Äste, Blätterwerk, eine Brille und Cohen auf einer Parkbank. Einige dieser Zeichnungen sind japanisch klar und schlicht. Ein Großteil der Texte, neben verknappten Zeilen stehen lange, beschwörende Gedichte und Stories, ist während eines fünfjährigen Aufenthalts im Mount Baldy Zen Centre bei Claremont (Kalifornien) entstanden, in dem Cohen 1996 zum Mönch ernannt und Jikan, zu deutsch der Stille, genannt wurde. Als Mönch war er nicht die beste Wahl, sagt Cohen. Der Weg zur spirituellen Erleuchtung war dornig. Eigentlich, gibt er zu, wollte er auch nur die Zeit im zweitausend Meter hohen Gebirge mit seinem Zen-Lehrer Kyozan Joshu Sasaki Roshi verbringen, den er schon seit über dreißig Jahren kennt und dem mehrere der Gedichte gewidmet sind. Hinweis auf einen noch anderen Grund ist das siebenzeilige »Der liebeskranke Mönch«: »Hab mir den Schädel rasiert / die Gewänder angezogen / in der Ecke einer Hütte geschlafen / zweitausend Meter hoch in den Bergen / ganz schön abgelegen / das Einzige, was ich hier nicht brauche / ist ein Kamm.«
Natürlich geht es immer wieder um die Liebe. Cohen erinnert sich in dem göttlichen, eher lakonischen als trauergeschwängerten »Schluss mit lustig« daran, wie er, gerade fünfzehnjährig, der Liebe wegen in die Kommunistische Partei Kanadas eintrat. Um zu erfahren, dass man sich um seine aus dem Osten geflüchtete Familie und ihren Reichtum schon kümmern würde. Für ihre Hingabe hat er die Kommunisten bewundert, jedoch das Mädchen natürlich nicht gekriegt. Wer dann aber weiter im »Buch der Sehnsüchte« liest, kann entdecken, dass der melancholische Mensch weiß Gott (den Cohen in jüdischer Tradition als »G-tt« schreibt) nicht nur im Gefühlselend verharren muss. Kostprobe aus »Die untreue Frau (nach einem Gedicht von Lorca)«: »Die Sachen, die sie sagte, waren / Nicht zum Weitersagen / Von mir erfahrt hier heute / nichts / Und nichts an andren Tagen.« Dass Lorca nicht tot, erschossen, ist, sondern in New York lebt und gründlich grantelt, das weiß man an dieser Stelle bereits. Vieles im »Buch der Sehnsüchte« mag im Kloster entstanden sein. Gute Vorsätze verfolgen lassen sich mit ihm aber nicht: »Du rauchst nicht?«, sagte der Meister. »Wofür lebst du?« Cohen geht soweit, Städte danach zu beurteilen, ob sie gute Städte für eine Zigarette seien. Bombay wäre eine davon, Athen eine andere. Wer es wenigstens selbst bis nach Athen geschafft hat, weiß, wie sehr das stimmt. Bevor Leonard Cohen sein Buch schließt, sich Jikan, »geboren, um Menschen zum Lachen zu bringen«, verbeugt und seinen Füller zerbricht, gibt er noch eines mit auf den Weg: »Ihr werdet nicht mögen, / was nach Amerika kommt.« Ein Freund überraschte mich vor Jahren mit der Feststellung, dass Kanadier die besten Amerikaner seien. Auch er hat Recht.
» leonardcohen.com
» bookoflonging.com
» blumenbar.de
Besonderer Dank an Berthold Seliger
für die Überschrift.