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3. August 2010
Dominik Irtenkauf
für satt.org

Anvil! - Die Geschichte einer Freundschaft

Dildo und Teufelsgruß

Der Klub ist ausverkauft. Eine Abendkasse gibt es nicht. Das Münsteraner Gleis 22, ein Independent-Klub, in dem vor einigen Monaten Wolves In The Throne Room auftraten, beherbergt an diesem Juliabend Anvil. Anders als ihre Kollegen Metallica und Megadeth erlebten die Speed-Metal-Pioniere nie den Durchbruch. Ein Roadie einer ihrer ersten UK-Touren ging später ins Filmgeschäft und schlug 2005 seinen Idolen eine Dokumentation vor. Der Film erschien 2008 auf dem angloamerikanischen Markt und kam 2009 in die deutschen Kinos. Sacha Gervasi, der bereits erfolgreich Drehbücher für Steven Spielberg schrieb, bewies ein geschicktes Händchen beim Abdrehen einer Story, deren Protagonisten vom Erfolg und Glück verlassen zu sein scheinen. Statt in den großen Arenen der Welt zu spielen, tingeln Anvil durch kleinste Absteigen. Die Liebe zur Musik, oder besser noch zum Heavy Metal, läßt sie nie aufgeben. Steve Kudlow mit Spitznamen Lips und Robb Reiner schmeißen sich immer wieder zusammen, um ihre Vision des Speed Metal umzusetzen. Lips trägt seinen Namen zurecht, denn im Film entpuppt er sich als sehr gesprächiger Sympathieträger. An diesem Abend in Münster sieht man die üblichen Verdächtigen: Langhaarige eben, aber auch Fans älteren Semesters: Anvil sind auch nicht mehr ganz die jüngsten, wie der Film zeigt.

Als Support Act waren Girl School aus England angekündigt. Leider spielen sie nicht. Wieder einmal fehlen die Frauen im Metal-Kontext. Die All-Female-Band hat längst Kultstatus im Metal und Punk erreicht. Sie hätten diesen Abend sicher bereichert. Doch auch ohne Girlschool erhält der geneigte Hörer mit Anvil eine Dosis Metal verabreicht, der sich zur klassischen Tradition bekennt. Mit moderner harter Slam- und Moshparts verarbeitender Mucke haben Anvil nichts am Hut. Die Kanadier gehen ohne Lightshow, Schminke und Firlefanz auf die Bühne. Die Besetzung als Trio erinnert an so manche Rock’n’Roll-Band. In der Tat sind manche der langsamen und epischen Anvil-Titel überhaupt nicht dem Speed Metal zuzuordnen. »This Is Thirteen« weist eindeutige Referenzen zum Doom Metal auf. Andere Stücke, besonders die aus den Achtzigern, fokussieren sich auf Blues-Rhythmen und sind lupenreiner Hardrock. Kein Wunder, daß zu jener Zeit Anvil auf einem Festival in Japan mit Whitesnake, Bon Jovi und den Scorpions gespielt haben. Warum der Erfolg ausblieb, fragt man sich erstaunt in Münster.

 

Lips gewinnt von Beginn an das Publikum. Jedes Stück, das sie auf der Bühne spielen, begleitet eine persönliche Geschichte. Entsprechend leitet er jeden Song mit einer langen Rede ein. Dabei leuchten seine Augen. Die Band spielt Stücke ihrer langen Bandgeschichte: Klassiker vom Debüt »Hard’n’Heavy« (1981) oder von »Metal On Metal« (1982). Lips ist für seine verrückten Gitarrenexperimente auf der Bühne bekannt. Also packt er einen schwarzen Dildo aus, der längst abgenutzt zu sein scheint, ähnelt er doch mehr einem Kantholz. Mit diesem bedient er sein Gitarrenbrett und lockt die schrillsten Töne heraus. Schön auch, daß Robb Reiner ein Solo an seinem Schlagzeug spielen darf. Lips und Reiner sind sichtlich glücklich, auch der wesentlich jüngere Bassist Glenn Gyorffy (G5 genannt) freut sich über die guten Reaktionen des Abends. Die Leute im Publikum gehen begeistert mit. Bald schon recken sie die Arme mit dem obligatorischen Teufelsgruß hoch, schreien abwechselnd im Kanon »Anvil« in Stereo. An diesem Abend gedenken Anvil all der Qualitäten traditionellen metallischen Musizierens. Das mag erklären, warum auch Zuschauer mit T-Shirts weit extremerer Metalbands gesehen werden. Hier zelebriert sich ein Musikstil, nicht so sehr eine Szene. Anvil sind eine Band, die die verschiedensten Geschmäcker vor der Bühne versammelt, um den Rock’n’Roll-Spirit zu feiern. Den Song »Thumb Hang« widmen sie Ronnie James Dio, der ein unschatzbärer Einfluß für Lips und die Band gewesen ist.

Der bereits erwähnte Film, der nun bei Rapid Eye Movies als DVD erscheint, beeinflußte das Bild der kanadischen Band in der Öffentlichkeit wesentlich. Anvil haben ihre Metal-Unschuld verloren, das heißt sie erhalten späte Aufmerksamkeit über die engen Grenzen der Metalszene hinaus. Bei Songtiteln wie »666«, »School Love«, »Mad Dog« und »Forged In Fire« sollte man nicht lange überlegen müssen, welche Art von Musik geboten wird. Das Schöne bei dem Anvil-Konzert ist, daß ganz unabhängig von dem Film die Band ihre Liebe zur Musik Tag für Tag auf dieser Europatournee beweist. Die Gitarre spricht hier eine deutliche Sprache. Konsequenterweise benutzt Lips vor manchen Songs den Tonabnehmer seiner Gitarre als Mikro. Eine Sprache, die direkt in die Beine geht.


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