Es ist eine gute Zeit für gute Comics. Nach dem ersten Teil von Marjane Satrapis meisterhafter und auch in Erlangen ausgezeichneter Autobiographie "
Persepolis" und der gewaltigen, herausfordernden Comic-Reportage
"Palästina" von Joe Sacco erschien in diesem Jahr anläßlich des 11. Internationalen Comic-Salons eine Vielzahl hervorragender deutscher Veröffentlichungen. Der
Avant-Verlag zum Beispiel wagte den Start zweier außergewöhnlicher Comicserien ("
Die Katze des Rabbiners" und "Professor Bell") des am Samstag zum besten internationalen Szenaristen gekürten Joann Sfar, der Egmont Verlag brüstete sich mit dem Prestigeobjekt "Wüstensöhne" des deutschen Zeichners Horus, und daneben gab es eine Reihe kleiner, häufig selbstverlegter Kostbarkeiten – beispielsweise von
Minou Zaribaf,
Fil oder
Stephan Lomp – zu entdecken. Die schönste Neuerscheinung aber war sicherlich die zärtlich bezaubernde Liebesromanze "Blankets" des US-Amerikaners Craig Thompson, der zum Salon angereist war und dem Publikum am Samstag Rede und Antwort stand.
Auch die Verleihung des Max-und-Moritz-Preises am Samstagabend entsprach dem erfreulichen Trend. Als beste deutschsprachige Comicpublikation wurden verdientermaßen zwei äußerst eigenständige Werke prämiert: Die in Frankreich veröffentlichte Comicparabel "Leviathan" von Jens Harder und die raffiniert erzählte, für deutsche Verhältnisse bahnbrechende Bildgeschichte "Held" von Felix Görmann alias Flix. Ebenfalls nominiert war das Album "Wir können ja Freunde bleiben" von Mawil, das den ICOM Indepent Comicpreis als bester Funny-Comicbeitrag gewann. In seiner Dankesrede betonte der Berliner Zeichner Jens Harder den Umstand, daß alle drei Werke Abschlußarbeiten von Kunsthochschulen sind, und wies auf die Bedeutung hin, die solche Institutionen für die Entwicklung und Etablierung des Mediums hierzulande haben. Der für den in dieser Zeitung erscheinenden Tagesstrip "Strizz" ausgezeichnete Comicmacher Volker Reiche brach in seiner beredten Danksagung eine Lanze für den Zeitungsstrip, denn auch er leiste für die Verbreitung und Akzeptanz des Mediums in Deutschland wichtige Arbeit. Daß die generellen Vorbehalte gegenüber Comics in Deutschland immer noch gewaltig sind, hörte man auf dem Festival allerorten. Und es wird gewiß noch eine Generation dauern, bis diese größtenteils abgebaut sind – insofern ist der Manga-Trend, der viele junge Leser und insbesondere auch Frauen zur Comiclektüre verleitet, durchaus ein Glücksfall.
Mit welchen Unwägbarkeiten allerdings die Branchenriesen, die kaum auf den Fach-, sondern vor allem auf den Buch- und Zeitschriftenhandel angewiesen sind, zu kämpfen haben, brachte die sogenannte "Elefantenrunde" am Freitag zu Tage. Die Vertreter der drei großen Comicverlage präsentierten sich zurückhaltend und innovationsscheu. Geplant sind der Ausbau der Manga-Schiene und die Erschließung neuer Absatzorte wie beispielsweise Spielzeugläden. Alle drei aber schauen mit bangen Blicken Richtung Herbst, wenn der neue Anbieter Tokyopop auf den immer noch sehr lukrativen hiesigen Mangamarkt drängt. Denn die Erinnerungen an die durch Marktüberschwemmung verursachten Zusammenbrüche des Comicalben- und später des Heftchenmarktes in den letzten Jahren sind noch allzu präsent.
Als ein Warnzeichen kann man so auch das üppige Angebot an billigen und billigsten Comicremittenden auf der Messe deuten, unter denen sich zahlreiche aktuelle Titel befanden. Ja, hier wäre es ein leichtes gewesen, für hundert Euro eine umfangreiche, repräsentative und zeitgemäße Comicsammlung zusammenzustellen, die gehaltvoller und unterhaltsamer als die der meisten deutschen Stadtbibliotheken ist.
Die Aufgabe, die Leserschaft mit anspruchsvollen Comictiteln zu versorgen, wird derzeit größtenteils von kleinen und kleinsten Verlagen wahrgenommen, hinter denen meist Menschen stecken, die eher fürs als vom Comicverlegen leben. Insbesondere für sie ist das Erlanger Festival von zentraler Bedeutung. Nicht nur als Branchentreffen, sondern vor allen Dingen, um der Öffentlichkeit ihre Erzeugnisse vorzustellen – eine Funktion, die früher die Comicfachläden erfüllten, der sie heute aber viel zu selten nachkommen.
Auch die Durchführung des alle zwei Jahre abgehaltenen Salons, der von der Stadt Erlangen finanziell abgesichert wird, stand diesmal zeitweise in Frage – und die Zukunft des kostspieligen Festivals gilt angesichts leerer Haushaltskassen keinesfalls als sicher. Immerhin konnte die angepeilte Zahl von 25.000 Besuchern erreicht werden. Publikumswirksam war auch die diesmal bereits im Vorfeld bekanntgegebene Verleihung des Max-und-Moritz-Sonderpreises für ein Lebenswerk an den Asterix-Zeichner Albert Uderzo, dessen Anwesenheit zahlreiche Medienvertreter und Fans anlockte.
Das Messeteam unter neuer Leitung hat in der Tat gute Arbeit geleistet und ein abwechslungsreiches und buntes Begleitprogramm zusammengestellt. Ein hilfreicher Katalog und ein eigener, wenig genutzter Shuttle-Bus führten zu den zahlreichen, über das Stadtzentrum verteilten Veranstaltungen und Ausstellungen, von denen die Dave-McKean-Schau im Kunstmuseum Erlangen, vor allem aufgrund der selten zu sehenden Videoarbeiten des amerikanischen Künstlers, zu den interessantesten zählt. Und so stimmten die vier Tage trotz manch düsterer Prognosen die meisten Anwesenden durchaus hoffnungsfroh.
(Erstveröffentlichung in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 15. Juni 2004)
Zusätze:
- Die Tage von Erlangen und insbesondere das am Donnerstag stattfindende sogenannte "Comic Quartett" mit Lutz Göllner, Frank Neubauer, Andreas Platthaus und Eckart Sackmann zeigten, daß über Comics fast nur inhaltlich geredet und gestritten wird. Die vom Quartett anläßlich von vier Comicneuerscheinungen erörterten Fragen lauteten: Was ist die Aufgabe eines Reporters? Ist Banalität ein Kauf- und Lektürekriterium? Ist Unterhaltung ein Kauf- und Lektürekriterium? Muß jeder Comic das Medium neu erfinden? Es hatte den Anschein, als ob ein Opernkritiker, ein Operettenkritiker, ein Jazzkritiker und ein Popmusikkritiker über ihre Lieblingsplatten debattierten. Das war stellenweise recht komisch, aber leider wenig substantiell.
- Insgesamt positiv wurde der Umzug vieler kleiner Verlage (Berlin Comix, Das Sortiment, Zwerchfell u.a.) auf die andere Geschoßebene bewertet, da die Aussteller dort mehr Aufmerksamkeit erhalten. Und man sollte auch die abseits gelegene Fanzine-Ecke (u.a. Plop) nach oben transferieren, obwohl damit unten die Enklave der Ruhe und Unaufgeregtheit verschwindet.
- Zu einer der interessantesten Veranstaltungen hat sich die analog zur "Elefantenrunde" genannte "Mäuserunde" (Torsten Franz) mit den Vertretern der Indepentverlage entwickelt, gerade auch deshalb, weil der "Mainstream derzeit von den Indie-Verlagen verwaltet wird" (Stefan Dinter). Hier sprach sich David Basler von der Edition Moderne für Selbstbescheidung und die Vorteile eines eigenen Lizenzgeschäftes aus, ein Ziel, das natürlich langfristige Anstrengungen bedarf. Alle Vertreter betonten auch diesbezüglich noch einmal die Bedeutung des Erlanger Comic-Salons. Dirk Rehm von Reprodukt wies zudem auf die immense Bedeutung des Feuilletons und der Comickritik für die langfristige Etablierung des Mediums hin (& hofft auf die nachrückende Generation von Redakteuren) – ein Punkt, der von vielen Fans erstaunlicherweise anders gesehen wird (Intellektuellengeschwätz). Das Festival zeigte auch, wie viele Vorbehalte es unter den Comicfans gibt (gegen intellektuelle und unterhaltsame Lektüren, gegen Mangas und Kunstcomics, gegen Großverlage und Kleinigkeiten …). Diese äußerst interessante und diskussionsfreudige, wie alle anderen Podien ausschließlich Männern vorbehaltene Gesprächsrunde litt allerdings unter der konzeptlosen und konfusen Moderation. Vielleicht sollte sich Bert Dahlmann lieber auf die Rolle als Edition Panel-Vertreter beschränken.
- Eine Sache, die die Max-und-Moritz-Preisgala unerträglich in die Länge zieht, ist die doppelte Rede der Laudatoren: Zunächst auf deutsch und dann noch einmal auf englisch. Eine sinnvolle und preiswerte Alternative bestünde darin, die Übersetzung während der Rede per Videobeamer an die Wand zu projizieren.
Max und Moritz-Preis 2004
Die Preisträger
Bester Comicstrip, deutschsprachig oder international:
"Strizz" von Volker Reiche
Bester deutschsprachiger Comic-Künstler:
Ulf K.
Beste deutschsprachige Comic-Publikation (Eigenpublikation):
"Held" von Flix - Carlsen Comics
"Leviathan" von Jens Harder - éditions de l'AN 2
Beste deutschsprachige Comic-Publikation (Import):
"Persepolis" von Marjane Satrapi, Edition Moderne
Beste deutschsprachige Comic-Publikation für Kinder und Jugendliche:
"W.I.T.C.H" Egmont vgs/Egmont Ehapa
Bester internationaler Szenarist:
Joann Sfar
Spezialpreis der Jury:
"36 Ansichten des Eiffelturms" - Salleck Publications
Sonderpreis für ein Lebenswerk:
Albert Uderzo
Die Jury im Jahr 2004:
Bodo Birk, Leiter des Internationalen Comic-Salons Erlangen
Andrea Fiala de Ayerbe, Frankfurter Buchmesse
Lutz Göllner, Journalist, Berlin
Harald Havas, Comic-Experte und Journalist, Wien
Herbert Heinzelmann, Journalist und Medienwissenschaftler, Nürnberg
Andreas Platthaus, Journalist, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Suzanne Beck, Beisitzerin, Bulls Press, Frankfurt a.M.