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17. April 2011
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Felix Giesa
für satt.org |
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Die Jugend und die LiebeJenseits der Diskussion, ob Comics denn nun Kinderkram oder vielleicht etwas anderes sind, sind Comics tatsächlich vielmehr jugendlich. Sprich sie sind häufig ungestüm, überbordend mit neuen Ideen, hoffnungslos romantisch, verträumt, haben einen Hang zur Musik und Erwachsene können oft nichts mit ihnen anfangen. Das mag nur ein Teil der Wahrheit sein, aber für einen Einstieg reicht es. Denn es ist doch tatsächlich so, dass die jungen, nun so erfolgreichen Comiczeichner bis zu einem gewissen Grad mit Comics sozialisiert wurden und in ihrem Schaffen jetzt den Sturm und Drang ihrer Lebensphase in dieser Kunstform so trefflich abbilden. Und während sie also fröhlich und gebrochenen Herzens von der Jugend erzählen, entsteht ein Spiel mit den Möglichkeiten des Comics, in dem bereits das Innovationspotential für kommende Zeichnergenerationen angelegt ist.
So etwa in Bastien Vivès’ In meinen Augen, dessen Geschichte fast beliebig erscheint: Mädchen und Junge treffen sich, verstehen sich gut, verstehen sich besser, es klappt doch nicht, Schluss. So gesehen gilt das natürlich für Legionen von Geschichten, will eine herausstechen, muss die Art der Erzählung besonders sein. Bei Vivès ist dies in der Form der visuellen Vermittlung der Fall, denn uns wird das Geschehen nur durch die Augen des jungen Mannes mitgeteilt. Dabei versucht der Zeichner erst gar nicht, das reale Gesichtsfeld zu imitieren. Früh setzte man sich schon in der Kunst mit solchen Darstellungsprinzipien auseinander, die uns heute eher mit dem Begriff der Ego-Shooter-Perspektive geläufig sind. Scott McCloud hat von dieser Perspektive zwar einmal gefordert, dass sie die einzig akzeptable für einen autobiographischen Comic sei, aber Versuche, einen Comic durchgängig so zu erzählen, wirken arg ungelenk und anstrengend. Vivès orientiert sich viel mehr an binokular angelegten Doppelbildern mittelalterlicher Darstellungen. Wie auch in den Illustrationen der Bible moralisée dieser Zeit finden sich auf der Seite Reihen zu je zwei runden bis querovalen Einzelbildern (man scheut sich, von Panels zu sprechen). In den Bibelhandschriften diente diese Darstellung gerne der des Schöpfungsberichts, bei Vivès wird sie zum Bericht jeder einzelnen Seite, also jedes kleinen Schritts der Beziehung zwischen Mädchen und Junge. Schon in seiner hierzulande ersten publizierten Geschichte Der Geschmack von Chlor setzte Vivès auf das Experiment in der graphischen Erzählung. Die Freude daran und die Breite der künstlerischen Mittel zeigen sich auch hier wieder, etwa in den Buntstiftzeichnungen, deren grobe Struktur der Fläche immer auch daran erinnern, dass man dem Gezeigten durchaus nicht vollends trauen darf, auch und gerade, weil wir die Sicht der wahrnehmenden Figur teilen. Streng genommen aber nicht nur seine, denn In meinen Augen’ gilt auch für das Gegenüber, doch bleibt dies genauso unergründbar, wie der Junge selbst; als Leser können wir über sie nur vermuten.
Auch bei Daniel Clowes ist die adoleszente Sinnsuche, auch die Sinnsuche in einer Beziehung, ein immer wiederkehrendes Thema seiner Comics. Bereits in Ghost World, das spätestens seit seiner Verfilmung Kultstatus erlangt hat, litten die beiden Hauptfiguren an der Krise des Übergangs in das Erwachsenenleben. Wie auch Ghost World wurde David Boring, das nun erstmals auf Deutsch vorliegt, bereits vor mehr als zehn Jahren in Clowes legendärer Eightball-Reihe serialisiert (ebenso wie Like a Velvet Glove Cast in Iron, das demnächst ebenfalls in einer Neuauflage bei Reprodukt erscheinen wird). Die Handlung um den jungen David Boring gleicht in ihrer verwirrten Struktur Erzählungen der so genannten Generation X, auch wenn David zu Beginn der Handlung gerade einmal neunzehn Jahre alt ist, also eine Generation jünger ist. Dass man dennoch David Boring sogar mit Holden Caulfield verglichen hat, zeigt nur, wie indifferent diese Typen bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen, aber auch, dass ihre Probleme generationenunabhängig sind. Davon abgesehen, liegt in David Boring eine Fin de siècle-Stimmung vor, eine schwelende Millenniums-Paranoia, die das gesamte Figurenensemble durchzieht. Clowes erzählt seine Geschichte als klassisches Drama in drei Akten, die jeweils an einem anderen Haupthandlungsort gebunden sind. Davids Obsession mit Sex, seiner Suche nach einer Verflossenen, die Auseinandersetzung mit dem Vater und letztlich das Scheitern im Alltagsleben sind hier auf das bizarrste verzehrte Krisen des jugendlichen Lebens. Die Unmöglichkeit, Einblicke über die Zukunft zu erlangen, wird im Comic symbolisch durch die drohende Apokalypse abgebildet. Wir haben es also mit einem dramatisierten Thriller zu tun, der uns anhand jugend-soziologischer Themen ein gesellschaftskritisches Bild zur Lage der us-amerikanischen Nation kurz vor 2000 liefert. Nicht gerade wenig für einen einzelnen Comic (und ursprünglich erschien er ja auch in drei Eightball-Teilen). Im direkten Vergleich beider Comic fällt besonders der zuletzt betonte zeitliche Aspekt schwer ins Gewicht. Erzählt Vivès mit einer gewissen Leichtigkeit eines neuen Jahrtausends, das zwar nicht frei von Problemen und Gefahren ist, drückt Clowes mit seiner Weltuntergangsstimmung schwer aufs Gemüt. Beide sind dadurch natürlich auch Zeitdokumente, sowohl für die Zeit als auch für den Comic als solchen. Zwei Titel, die zu Beginn und am Ende gut einer Dekade stehen, zeigen sie die Entwicklungsmöglichkeiten und spannen einen gelungenen Bogen des Comics. Dabei bleiben sie immer erfrischend juvenil.
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