Auf der Berlinale 2002 lief "99euro-films" als Eröffnungsfilm der damals brandneuen Reihe "Perspektive Deutsches Kino". Als Pressemokel war ich dabei und wartete auf den Einlass, wurde aber nur Zeuge, wie Peter Lohmeyer eine Menschenmenge, die eine kleine Silberhochzeit bestücken könnte, einschleuste (Offenbar alles Stabmitglieder seines Beitrags zum Film) und es schließlich aufgrund des unerwartet großen Interesse an dem Film hieß, daß "nicht zahlende Gäste" (including me) die Wiederholungsvorführung besuchen mögen. Zu dem Zeitpunkt hatte ich was besseres zu tun, und als dann irgendwann der Kinostart folgte, hatte ich zuviel Ernüchterndes über den Film gehört, um mein ursprüngliches Interesse wachzuerhalten.
Aeterna (Paris)
Trance Europe Express (Europa)
King of the Dwarfs (Warschau)
Ich hab Musik dabei (Berlin)
Alte Wäsche (Wien)
Story of a Metamorphosis (Antwerpen)
Alleen (Amsterdam)
Children of the Kingdom (London)
Las Olas (Barcelona)
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Das abermals von RP Kahl zusammengehaltene Sequel bringt die Neuerung, daß nunmehr nicht nur deutsche Regisseure (beim ersten Film waren etwa Esther Gronenborn oder Nicolette Krebitz dabei) für 99 Euro Drehbudget mit einer Mini-DV einen Kurzfilm "ohne künstlerische Einengung in Inhalt und Form" drehen durften, sondern man diesmal europäische Regisseure versammelte. Dies bedeutet aber nicht, daß sich Jean-Luc Godard, Lars von Trier und Michael Winterbottom die Klinke in die Hand geben - abgesehen von Benjamin Quabeck war mir nur die niederländische Schauspielerin Ellen ten Damme namentlich bekannt.
Relativ gut gelungen ist der Zusammenhalt mithilfe einer "Klammerstory". Die zwei Kurzfilme am Anfang und Ende (Beiträge aus Frankreich und Spanien) zeichnen sich dadurch aus, besonders essayistisch und fatalistisch geraten zu sein. Man beginnt mit einer Wiedergeburt und endet mit dem Freitod, der Kreis ist also geschlossen. Eine Darstellerin der Paris-Episode "Aeterna", Lea Bosco, reist als Untote quer durch Europa, RP Kahl fängt dabei nicht nur ihre Schönheit ein, sondern auch die ihrer Umgebung: Ein Huskie in Warschau, Trambahngleise in Mitte, eine Pferdedroschke in Antwerpen und sogar einige Rehe auf einer Wiese. Dabei liest sie Photographien auf, die sie in eine Kladde klebt. Und so wie Bilder in einen Album behalten auch die einzelnen Kurzfilme ihre Integrität und Individualität, werden aber auch zum Teil eines Ganzen. Für diese Tat muß man Kahl loben.
Angesichts der Produktionsvorgaben ist man als Kritiker (oder Zuschauer) natürlich geneigt, glimpflicher mit den Resultaten umzugehen als in anderen hochglanzpolierten Episodenfilmen, doch auch wenn keiner der Kurzfilme das Niveau der besten Beiträge von "Ten Minutes Older" oder "11'09''01 - September 11" erreichen kann, fällt es außerordentlich positiv auf, daß selbst die weniger gelungenen Filmchen durchaus besser im Gedächtnis bleiben als einige der teuren Selbstbeweihräucherungen. Bei 99 Euro ist die Fallhöhe einfach ungefährlicher.
Nach "Aeterna" folgt die von Philip K. Dick inspirierte Warschau-Episode "King of the Dwarfs" von Xawery Zulawski, dem Sohn des Andrej. Drei Freunde, deren drei Freundinnen, drei Glatzen und drei Prostituierte werden ins Rennen geschickt (wobei die Frauen zuhause bleiben dürfen), kurze Schnitte und rasante Parallelmontagen entwerfen eine Chronologie des Zufalls, und eine Figur, wie sie aus dem "Herr der Ringe" oder wahrscheinlicher aus einem Terry Gilliam-Film stammen könnte, rettet den Tag.
Benjamin Quabecks Episode dreht sich um eine nächtliche Autofahrt, bei der sich herausstellt, daß der Passagier Anno (Oliver Bröcker) Dinge über Maren (Heike Makatsch) zu wissen vorgibt, die diese gelinde gesagt "verstören". Trotz Starbesetzung (Jessica Schwarz taucht am Rande auch noch auf) wirkt dieser Film besonders filmakademienhaft in seiner Geschichte, und die nächtlichen Bilder strapazieren den Betrachter etwas.
Die Wiener Episode "Alte Wäsche" handelt auch wieder von "Boy meets Girl": Paul (Simon Licht), für einen Tag auf dem Wiener Flughafen gestrandet, sucht seine alte Liebe auf, was zu einigen schönen filmischen Momenten führt. Wahrscheinlich die gelungenste Episode, die Stefan Wagner ("Kubanisch Rauchen") hier präsentiert.
Danach bricht der Rest etwas zusammen. Harry Kümels "Story of a Metamorphosis" erscheint zu minimalistisch, Richard Stanleys "Children of the Kingdom" gelingt es allenfalls, Assoziationen an Londoner Horror á la "28 Days Later", "Neverwhere" oder "American Werewolf" zu evoziieren, und "Las Olas" ("Die Wellen") ästhetisiert in pseudo-poetischer Weise einen Badewannen-Selbstmord, was eigentlich einfach nur eine Riesensauerei ist. Einzig der Beitrag von Ellen ten Damme, einer niederländischen Schauspielerin und Sängerin, die gleich auch Material aus einem ihrer Auftritte in ihren Film geschnitten hat, kann noch durch einen naiven Charme verzaubern. Hier stolpert ein "nackter" Mann über die Amsterdamer Parade auf der Suche nach seinem weiblichen Gegenstück. Er will nicht mehr "Alleen" sein. Auch wenn es abermals eine durch die Form diktierte Lösung gibt, scheint sich diese Episode die meiste Zeit bei der Entwicklung ihrer winzig geratenen Narration zu nehmen.
Das Fazit zum Film kann weder eine Warnung noch eine rückhaltlose Empfehlung sein. Wer Episodenfilme mag, wird auch hier auf seine Kosten kommen, und zwar weit über den vermeintlichen finanziellen Rahmen der einzelnen Episoden hinaus. Das beste an "Europe" ist, daß sich die Episoden niemals so kopflastig, aber nichtssagend anstellen wie etwa der Beitrag von Volker Schlöndorff zu "Ten Minutes Older".