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Januar 2005
Kathi Hetzinger
und Thomas Vorwerk
für satt.org

2046
Hong Kong / Frankreich 2004

Filmplakat

Buch
und Regie:
Wong Kar-Wai

Kamera:
Christopher Doyle, Lai Yiu Fai, Kwan Pun Leung

Schnitt:
William Chang Suk Ping

Musik:
Peer Raben, Shigeru Umebayashi

Darsteller:
Tony Leung Chiu Wai (Chow Mo Wan), Gong Li (Su Li Zhen), Faye Wong (Wang Jing Wen), Zhang Ziyi (Bai Ling), Carina Lau Ka Ling (Lulu / Mimi), Kimura Takuya (Tak), Siu Ping Lam (Ah Ping), Wang Sum (Hotelbesitzer Wang / Zugführer), Maggie Cheung Man Yuk (Su Li Zhen), Dong Jie (Wang Jie Wen), Thongchai McIntyre ("Vogel ohne Füße"), Chang Chen

127 Min.

Kinostart:
13. Januar 2005

2046


In Wong Kar-Wais letztem Film In The Mood For Love (2000) erlebten wir den Schriftsteller Chow (Tony Leung Chiu Wai) und die Sekretärin Mrs. Chan -Mädchenname Su Li Zhen - (Maggie Cheung Man Yuk), die auf die Affäre ihrer Ehepartner reagierten und sich mehrfach in einem Hotelzimmer mit der Nummer 2046 trafen. Wie In The Mood For Love schon eine Fortführung von Wongs früherem Film Days Of Being Wild war, folgt nun ein weiteres Sequel, bei dem der Titel 2046 sowohl für ein anderes Zimmer in einem anderen Hotel steht als auch für einen Science-Fiction-Roman, der in diesem Jahr spielt. Obwohl der Film thematisch und stilistisch direkt an seinen Vorgänger anschließt, betritt Wong hier auch ganz neues Terrain.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Die eigentliche Handlung vollzieht sich größtenteils wieder im Hong Kong der 1960er Jahre. Mr. Chow verarbeitet in seinem Roman 2046 und dessen Sequel 2047 seine Erfahrungen mit verschiedenen Frauen, in Hotelzimmern mit diesen Nummern. Im Roman befindet sich Chows Alter Ego auf einer immerwährenden Zugfahrt. Beim Passieren einer mysteriösen Kalten Zone 1224-1225 wird den Fahrgästen geraten, sich gegenseitig zu wärmen. Der Schriftsteller und Off-Erzähler Chow lässt den Zuschauer wissen, dass diese Zone für ihn Weihnachten verkörpert, und diese "Zone" verleiht dem Film einen Teil seiner Struktur:

Am Heiligen Abend 1966 trifft Chow zufällig auf die Tänzerin Lulu (Carina Lau, unter anderem bekannt aus Infernal Affairs II und Wongs Days Of Being Wild), die er aus seiner Zeit im Exil in Singapur kennt. Sie allerdings kann sich (vermeintlich) nicht mehr an Chow erinnern, obwohl er und seine Freunde ihr Ticket nach Hong Kong finanziert hatten. Am nächsten Tag findet man ihre Leiche. Für den Täter hält man den "Vogel ohne Füße", ein Musiker und Lulus große Liebe, an den Chow sie erinnert.

1967 leisten Chow und Bai Ling (Zhang Ziyi, von Zhang Yimou für Heimweg und Hero entdeckt), eine junge Prostituierte aus dem Nebenzimmer, sich Gesellschaft, um gemeinsam ihre Einsamkeit bei einer weihnachtlichen Kneipentour zu ertränken. Trotz ihrer anfänglichen Vorsicht und Skepsis, lässt Bai Ling es zu, dass sich eine leidenschaftliche Beziehung entwickelt, die jedoch darunter leidet, dass die beiden ihre, zunächst spielerischen, Macht- und Abhängigkeitspositionen stets beibehalten.

1968 verbringt Chow mit Jing Wen (Faye Wong aus Chungking Express oder Chinese Odyssey 2002), der älteren Tochter des Hotelbesitzers. Sie lernt bereits zu Beginn des Films für ihren japanischen Freund dessen Sprache, obwohl ihr Vater gegen diese Verbindung ist. Für einen Großteil des Films verschwindet sie in einem euphemistisch als "Krankenhaus" bezeichneten Limbus jenseits der Filmerzählung. Nach ihrer Rückkehr unterstützt Chow die ungebrochene junge Liebe, indem er ihr anbietet, die Briefe aus Japan an ihrem Vater vorbei zu schmuggeln. Nachdem er ihr schriftstellerisches Können entdeckt, arbeiten die beiden zusammen (vgl. In The Mood For Love), wobei u.a. offensichtlich wird, dass es ihr leichter als ihm fällt, die fiktiven Figuren auseinander zu halten ("Eiserner Abakus - der ist doch schon tot!"). Und obwohl, oder gerade weil, Chow für sie wohl die größte Zuneigung empfindet, lässt er sie ihr Glück in Japan finden.

Umschlossen wird die Zeit in Hong Kong mit den genannten Damen von Chows Begegnung mit der Spielerin Su Li Zhen (Gong Li) in Singapur, die ihm durch ihr Geschick beim Kartenspielen hilft, sein verlorenes Geld zurück zu gewinnen. Sie trägt stets einen schwarzen Handschuh, Symbol ihrer geheimnisvollen Vergangenheit. Sie erinnert ihn an eine frühere Bekannte - eben jene Su Li Zhen aus In The Mood For Love. Auch Maggie Cheung ist an zwei Stellen im Film für jeweils einen Augenblick zu sehen - als Gedankenbild in Chows Erinnerung, die von seinen aktuellen Erlebnissen geweckt wird.

In der verschachtelten, zyklischen Struktur des Films vermischen sich Realität und Fiktion, imaginiertes bzw. erinnertes Bild und tatsächlicher Netzhauteindruck. In der SF-Welt des Romans 2046 werden aus den Frauen zwei Androiden, deren Reaktionszeit sich verzögert. Chow selbst wird zu einem Japaner, der sich in einen der Androiden (Faye Wong) verliebt. Der Roman bietet den beiden so eine Matrix, ihre Gefühle füreinander auszuleben. Aber Chows Beziehungen zu den vier sehr unterschiedlichen Frauen, die dennoch vieles miteinander verbindet, verlieren im Verlauf des Films ihre Grenzen. Sind sie alle womöglich nur Variationen der ursprünglichen Su Li Zhen, der sie allesamt in ihrem Stil, ihrem Erscheinungsbild gleichen? Wo sind die Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, findet man sie auch in den von Chow angewandten literarischen Genres Kung Fu, Porno und SF oder gar den Frauen aus Zimmer 2046 wieder?

So wie Chow verliert sich auch der Zuschauer in diesem traumhaften Gewebe von Erinnerungen. Der Film imitiert den psychischen Prozess des Traums, auch über die filmischen Mittel, wie das manipulierte Zeitempfinden, die unwirklichen, stilisierten Bilder, Spiegelungen, Rahmungen, Verdopplungen, Wiederholungen … Verschiebung und Verdichtung passiert auch über den Soundtrack, der einen weiteren Kreis aus Vergangenheit und Zukunft durch die musikalischen Motive schließt.

Führte die minimalistische Erzählweise in In The Mood For Love zu einer Steigerung der Emotion, lässt sich hier jedoch der gegenläufige Effekt beobachten: das intendierte Mehr, das auch in der vierjährigen Entstehungszeit des Films offensichtlich wird, bedeutet leider ein Weniger im Empfinden des Zuschauers. Die Hauptfigur schillert in den unterschiedlichen Episoden so facettenhaft, dass sich kein Gesamtbild daraus ergeben kann, das zur Identifikation einlüde. Die Unmöglichkeit der Figuren in 2046, ein gemeinsames Hier und Jetzt zu finden, überträgt sich auch auf den Zuschauer, so dass man sich am Ende, ebenso wie Chow, außer Stande sieht, ein Happy End niederzuschreiben.