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Januar 2005 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
BirthSchwarze Leinwand. Die Stimme eines Mannes, dessen Namen Sean wir erst später erfahren werden, erzählt uns, was dieser von Mumpitz wie Seelenwanderung und Reinkarnation hält. Er witzelt darüber, wie es wohl sein würde, wenn seine Frau Anna plötzlich als Vogel an seine Fensterscheibe klopfen würde … New York, Central Park. Die Kamera verfolgt einen Jogger, der einen Tunnel durchquert. In einem zweiten Tunnel stibt der Jogger, dessen Gesicht wir nicht zu Gesicht bekommen, an Herzversagen. Die Leinwand wird wieder schwarz, in eleganter Schreibschrift sehen wir den Filmtitel Birth, bevor Bilder eines neugeborenen Jungen bereits früh eine Verbindung schaffen, die durch den symbolträchtigen Tunnel nur noch gefestigt wird (und zwar nicht im Sinne von Hitchcocks North by Northwest, sondern wie beim sprichwörtlichen "Licht am Ende des Tunnel", das angeblich sowohl Sterbende als auch Neugeborene sehen sollen). Jonathan Glazer ist einer von drei Regisseuren, die in den letzten paar Jahren sämtliche Vorurteile gegen Werbe- und Videoclip-Filmer ins Gegenteil verkehrt haben, und wie seine Kollegen Spike Jonze und Michel Gondry legt er nun nach Sexy Beast seinen zweiten Spielfilm vor, hochkarätig besetzt mit Nicole Kidman als Anna. Zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes Sean lässt sich Anna von ihrem Dauerverehrer Joseph (Danny Huston) doch noch dazu überreden, ein zweites Mal den Bund der Ehe zu schließen. Doch da taucht plötzlich und unerwartet der zehnjährige Sean (Cameron Bright) auf, der behauptet, ihr wiedergeborener Gatte zu sein. Natürlich weist Anna den Knaben ab, und als er sich als hartnäckig erweist, kontaktiert sie auch dessen Erziehungsberechtigten, die weitere Belästigungen unterbinden sollen. Doch als Sean bei einer Befragung ein profundes Wissen über intime Details aus dem Leben des verstorbenen Sean beweisen kann, gerät Anna langsam in den Bann des Jungen, der ihr rät, die Heirat mit Joseph abzusagen. Daß einer erneuten Vereinigung mit Sean der Altersunterschied im Wege steht (immerhin ist der Bub noch nicht einmal in der Pubertät), scheint für die beiden nur ein geringes Hindernis, in den Staaten soll die Szene eines gemeinsamen Wannenbades mal wieder die Gemüter erhitzt haben … Doch in Birth geht es nicht um Pädophilie, sondern um das Übersinnliche und Überirdische. Einer der drei Drehbuchautoren, Jean-Claude Carrière (Bunuels Le charme dicret de la bourgeosie, Schlöndorffs Die Blechtrommel und vieles mehr) hat sogar mal gemeinsam mit dem Dalai Lama ein Buch namens La Force du Bouddhisme verfasst - man nimmt das Thema also ernst, erinnert aber gleichzeitig mit der Atmosphäre des Films an bestimmte Horrorfilme. Nicole Kidman hat für den Film eine Kurzhaarfrisur bekommen, die manchen Rezensenten an Jean Seberg erinnert, mich aber vor allem an Mia Farrow in Rosemary’s Baby. Auch das gediegen ausgestattete Haus, in dem Anna wohnt, scheint ähnlich unheilvoll wie das Bramford-Haus in Polanskis Film oder das Overlook Hotel in The Shining. Der Portier Jimmy (Milo Addica, ein weiterer Drehbuchautor) hat sich wie der Koch Hallorann mit dem Jungen angefreundet, auch die sehr mobile Kamera von Harris Savides (Elephant) erinnert an die Tretrollerfahrten des jungen Danny Torrance, bis er dann Blutstürzen aus dem Fahrstuhl, zerhackten Zwillingsmädchen oder ähnlichem entgegentreten muß. Lange Zeit weiß man nicht, ob der junge Sean der Täter oder das Opfer in diesem Film ist - und wenn es am Ende einen ähnlichen Twist wie in The Exorcist oder The Omen gegeben hätte, hätte es mich auch nicht verwundert. Doch das Unheimliche in diesem Film ist das Unbegreifliche, das Unvorstellbare, das Anna schließlich dazu bewegt, sämtlichen gesunden Menschenverstand hinter sich zu lassen, und ganz auf ihr Herz zu hören, auch wenn Sean erstmal volljährig werden soll, bevor man voreilige Schritte unternimmt. Die Filmemacher ließen sich unter anderem von Märchen inspirieren. Das Wechselbalg Sean bedroht die Familieneinheit, wie eine böse Königin schirmt Eleanor (Lauren Bacall) ihre Tochter ab, um die Heirat mit dem guthabenden Joseph zu retten, sogar der Central Park wirkt wie ein Zauberwald, der Geheimnisse offenbart, in dem man aber auch wie Sean I verloren gehen kann … Die Prämisse des Films ist faszinierend, und was Jonathan Glazer aus diesem Stoff macht, kann stellenweise tatsächlich Vergleichen mit Kubrick oder Polanski standhalten. Doch ausgerechnet Nicole Kidman, die einem im Vorfeld wie das Rückgrat des Filmes erschien, kann diesmal nicht überzeugen. Zwar stimmt die Chemie mit ihrem jungen Gegenüber, doch die emotionale Tiefe, die ihrer Figur möglich wäre, wird nicht erreicht - oftmals lächelt sie uns zwar fotogen, aber unangebracht an, und ungeachtet von hervorragenden Leistungen in den letzten Jahren (Dogville, The Hours) bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich soviel besser als Julia Roberts ist … Nichtsdestotrotz ist Birth ein definitiv sehenswerter Film, der ungeachtet dessen, daß Glazer Sexy Beast hiermit nicht überflügeln kann, erneut beweist, daß wir es hier mit einem bemerkenswerten Regisseur zu tun haben, der furchtlos und risikobereit mal etwas andere Geschichten erzählen will - und als Zuschauer kann man sich dafür nur bedanken. |
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