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Februar 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Wenn Träume fliegen lernen
Finding Neverland

USA / GB 2004

Filmplakat

Regie:
Marc Forster

Buch:
David Magee

Lit. Vorlage:
Allan Knee

Kamera:
Roberto Schaefer

Schnitt:
Matt Chessé

Musik:
Jan A. P. Kaczmarek

Darsteller:
Johnny Depp (James M. Barrie), Kate Winslet (Sylvia Daniels), Julie Christie (Mrs. Emma du Marier), Radha Mitchell (Mary Ansell Barrie), Dustin Hoffman (Charles Frohman), Freddie Highmore (Peter), Joe Prospero (Jack)

106 Min.

Kinostart:
10. Februar 2005

Wenn Träume fliegen lernen
Finding Neverland


Bei Pressevorführungen gibt es öfters subtile Versuche der Manipulation der Journalisten, die ja manchmal am Erfolg oder Nichterfolg eines Films nicht unschuldig sind. Eine Komödie, die wie Voll auf die Nüsse an die niederen Instinkte appeliert, wird schon mal mit einem Hot Dog- und Freibier-Angebot gekoppelt, während man bei "romantischeren" Filmen wie 50 First Dates oder Vom Suchen und Finden der Liebe ausnahmsweise auch mal eine Begleitung mitbringen darf.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Finding Neverland erzählt unter anderem davon, wie eine der häufigsten (und nettesten) Manipulationen des Publikums von James M. Barrie erfunden wurde.

Barries Peter Pan ist momentan im Kino präsent wie nie zuvor. Nach dem Sequel zum Disney-Zeichentrickfilm und P. J. Hogans gelungener Real-Neuverfilmung folgt nun die filmische Adaption des Theaterstücks The Man who was Peter Pan von Allan Knee, das sich (in bewährt dramatisierter Weise) mit der Entstehung des Stücks befasst.

In Erhard Dahls Nachwort der Reclam-Ausgabe von Peter Pan wird die Entstehungsgeschichte wie folgt zusammengefasst:

"Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begegnete der Schriftsteller James M. Barrie drei Jungen. George, Jack und das Baby Peter waren Söhne Arthur und Sylvia L. Davies‘. Barrie war so von ihnen angetan, daß er sich bald darauf den Eltern vorstellte. Bei seinen häufigen Besuchen im Haus Nr. 31 Kensington Park Gardens erzählte Barrie den drei Kindern die phantasievollsten Geschichten. Dann kam er auf die Idee, diese Geschichten zu veröffentlichen. So erschien im Jahre 1902 The Little White Bird, und zwar als ein Buch für Erwachsene. Barrie hatte den kleinen Peter Davies als Peter Pan zu einer Figur einiger dieser Geschichten gemacht; er war, wie Barrie das von allen Babys glaubte, einst ein Vogel gewesen und konnte somit noch fliegen."

Wenn Barrie (Johnny Depp) im Film Sylvia Daniels kennenlernt, ist sie eine schwerkranke, aber attraktive Witwe (Kate Winslet), und er nicht besonders glücklich verheiratet, was natürlich gerade für das weibliche Publikum interessanter ist als die wahre Geschichte, wo die Familie Daniels in den nächsten Jahren noch zweimal Familienzuwachs bekommt - und mir ist nicht bekannt, daß Barrie als Vater in Verdacht stand.

Doch wo anders als in einem Film über Peter Pan ist es unangebrachter, die Fiktion mit der Realität 1:1 zu vergleichen?

Johnny Depp, der im Film um einiges lebhafter wirkt als auf den langweiligen Plakaten zum Film, wirkt als Barrie natürlich selbst wie eine Art Peter Pan, ein Junge, der nicht erwachsen werden will, der lieber mit einer Rasselbande von Kindern tobt als gesellschaftlichen Verpflichtungen des viktorianischen Zeitalters nachzukommen. Während seine Ehe gerade an diesem Kontrast zu zerbrechen droht, wird er für die vaterlose Familie Daniels natürlich zum idealen Ersatz, ungeachtet der Interventionen der Großmutter der Kinder (Julie Christie), die irreparable Schäden für das Ansehen der Familie und die Erziehung der Kinder befürchtet.

Aus dem Spiel mit den Kindern entwickelt sich die Idee für Barries nächstes Theaterstück, sein Produzent und Mentor Frohman (Dustin Hoffman, bei Spielberg noch als Hook besetzt) ist trotz früherer Flops guter Dinge und schließlich steht die Uraufführung bevor - mit einer Vielzahl extra eingeladener Waisenkinder, die zwischen den steifen Erwachsenen in Abendgarderobe mit ihrem ansteckenden Gelächter für die bekannte Erfolgsgeschichte des Stückes sorgen.

Wie bereits angedeutet, knistert es natürlich auch zwischen Barrie und der todkranken Witwe, doch insbesondere, wie der Film diese potentiell tragische Geschichte zu Ende führt, ist - und dieses Wort ist wohl ein großes Kompliment - "märchenhaft".

Der aus der Schweiz stammende Marc Forster, dessen Monster‘s Ball kaum weiter von diesem Film entfernt sein könnte, bedient zwar einerseits das Mainstreampublikum und liefert einen Film, der ähnlich wie Shakespeare in Love den schöpferischen Akt eines Schriftstellers seltsam verklärt und trivialisiert, doch jeder, der sich nur halbwegs so gut wie Johnny Depp in seine Kindheit zurückversetzen kann statt an Äußerlichkeiten herumzumäkeln, wird an diesem Film sein Vergnügen haben.

Die Pressevorführung des Films war übrigens nicht als Familienvostellung konzipiert - und es gab auch sonst keine Sonderwürste - die hat Finding Neverland auch nicht nötig.