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Juli 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
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PoseidonSeit Wolle Mitte der Sechziger mal ein zweiwöchiges Praktikum als Assistent des Schwimmmeisters im Freibad Quickborn absolviert hatte, wurde er immer wieder für ähnliche Jobs ausgewählt. So sollte er in Eimsbüttel den Whirlpool eines Nobelbordells reparieren, in Harburg das kleine Becken einer Sauna neu verfliesen und schließlich - als Höhepunkt der Karriere - einen Springbrunnen für die Hamburger Innenstadt entwerfen.
Doch widmen wir uns einem Namensvetter dieses selten besungenen Helden der norddeutschen chlorverarbeitenden Unterhaltungsindustrie. Der größte Erfolg des seinerzeit noch ausschließlich im deutschsprachigen Raum tätigen Filmregisseurs Wolfgang Petersen war die Buchheim-Verfilmung Das Boot, die auch in Amerika erfolgreich war, selbst wenn es dort noch immer Unbelehrbare gibt, die glauben, man spreche dieses deutsche Wort ähnlich aus wie die amerikanische Bezeichnung für einen Stiefel. Nach unzähligen teils sehr teuren Produktionen in Deutschland und später auch den Vereinigten Staaten (sein letzter guter Film war In the Line of Fire, sein bisheriges Karrieretief die peinliche Patriotismus-Pleite Air Force One) wird Wolfgang Petersen auch bevorzugt dann eingesetzt, wenn Wasser im Spiel ist. Damit meine ich weniger die trailerwirksamen tausend Schiffe in Troy als The Perfect (CGI-) Storm und jetzt eben in Zeiten, in denen Katastrophenfilme wieder gefragt sind, ein Remake von The Poseidon Adventure (1972), eines mittleren Ausläufers jener Katastrophenfilm-Welle der 1970er, die mit Airport (1969) begann und mit Earthquake und Towering Inferno (jeweils 1974) ihren Höhepunkt fand. Die Höllenfahrt der Poseidon (wie der Film auf Deutsch heißt) war hieraus vielleicht noch der gelungenste Film (mehr Action, weniger Traumschiff-ähnliche Absolvierung diverser Gaststars) und in gewisser Weise ein Vorläufer jener Blockbuster, die seit Spielbergs Jaws (1975) nicht immer zum Vorteil der Filmkunst die Kinoleinwand beherrschen. Peterson hat nicht nur Erfahrung mit Wasser (die mysteriöse einzelne Riesenwelle, die die Poseidon wie die sprichwörtliche Schildkröte auf den Rücken kippt, wirkt durch das letztjährige Tsunami-Unglück in Südostasien auch relativ aktuell, Filme über Sturmfluten etc. durchtränken momentan ja auch die Fernsehlandschaft), sondern auch mit Blockbustern. Umso erstaunlicher wirkt es, daß er (und seine Produzenten) sich bei Poseidon fast gänzlich auf die mechanischen, computergenerierten, und stuntintensiven Schauwerte konzentriert haben, die Besetzungsliste wirkt fast antiklimaktisch. Ein abgetakelter Kurt Russell (Erfahrungen mit Feuerwehrfilmen [Backdraft] und See-Abenteuern der etwas anderen Art [Captain Ron, Overboard]) als ehemaliger Bürgermeister einer Großstadt, ein fast in der Versenkung verschwundener Richard Dreyfuss (immerhin ein Anknüpfungspunkt an Jaws) und der noch längst nicht dem breiten Publikum bekannte Josh Lucas (Sweet Home Alabama, Stealth, gutaussehender Bösewicht in The Hulk) sind hier die mit Abstand bekanntesten Darsteller, Emmy Rossum spielte immerhin die Tochter von Sean Penn in Mystic River, die Black Eyed Peas-Sängerin Fergie stirbt glücklicherweise recht früh im Film und Jacinda Barrett scheint auch nur wegen der einschlägigen Erfahrung in einem Feuerwehrfilm wie Ladder 49 verpflichtet zu worden sein. Und dann gibt es noch Kevin Dillon, der immerhin genau wie Matt Dillon aussieht - nur mit Willy de Ville-Schnauzer. Die Besucherzahlen in den Staaten fundamentieren ja schon, daß die Rechnung nicht ganz aufgegangen scheint, doch immerhin bietet Poseidon kurzweilige Unterhaltung bei einer angenehmen Lauflänge von unter 100 Minuten (kürzer als das Original). Das Schönste und Interessanteste an dem Film war aber ein Element, das ich leider nur mit einer ausdrücklichen Spoiler-Warnung hier detailliert wiedergeben kann: Die Geschichte beginnt am Silvester-Abend, und wenn man das erste Mal Richard Dreyfuss (der mich an dieser Stelle ein bißchen an Ed Harris in The Hours erinnert hat) sieht, telefoniert er gerade, und bittet inständig, trotz allem heute abend noch mal angerufen zu werden. Später erzählt er am Kapitänstisch (oder einem anderen Tisch) die Geschichte von dem jungen Mann, der eigentlich in irgendeinem Hafen zu ihm stoßen sollte, ihn aber versetzt hat, und wenn die Kamera dann noch den protzigen Brillant-Ohring an einem von Dreyfuss’ Ohren einfängt, wird auch dem Mainstream-Publikum unmissverständlich dessen sexuelle Orientierung klargemacht. Gegen Mitternacht schaut sich Dreyfuss das Display seines Handys an („No messages“) und will gerade über die Reling in sein selbstgewähltes nasses Grab springen, als er die in einer anderen Szene bereits vorbereitete Riesenwelle aufs Schiff zukommen sieht, und es sich nochmal anders überlegt. Dieser spontan plötzlich erwachsene Überlebenswillen wiederholt sich dann im Ballsaal, als sich Dreyfuss (im Film übrigens Richard Nelson, also maritime Prominenz des Nachnamen mit unübersehbarer Virilität des möglichen Spitznamen gepaart) der kleinen Gruppe Überlebenswilliger anschließt, die das kieloben treibende Schiff durch eine der Öffnungen der Schiffsschrauben verlassen will. Hierbei lernt „Dick“ den ebenfalls mit einem recht aussagekräftigen Namen versehenen Küchenangestellten Valentin kennen, den er auch sofort relativ eindeutig anbaggert („Das ist aber ein schöner Name …“). Etwas später muß ein Fahrstuhlschacht überquert werden, wobei absehbar ist, daß die im Schacht feststeckende Kabine sich irgendwann lösen könnte. Dick und Valentin überqueren den Schacht als Letzte, als es zu einem Zwischenfall kommt, und Dick plötzlich keinen Halt mehr hat und sich dabei auch noch Valentin relativ hysterisch an seiner Hose (in Hüfthöhe) festklammert. Die Fahrstuhlkabine kündigt filmgemäß ihren baldigen Absturz an, und Josh Lucas gibt Dreyfuss den Tip zum Überleben: „Du musst ihn abschütteln, sonst gehst Du auch mit drauf …“ Was Dreyfuss dann auch macht … Im weiteren Verlauf des Films hat „Dick“ noch Gelegenheit für einige Heldentaten, er kümmert sich aufopfernd um eine „blinde Passagierin“ (die übrigens von valentin aufs Schiff geschmuggelt wurde, doch der sich hier andeutende Konflikt wird vom Film übergangen), und ganz am Schluß überlebt dann ein junges Paar, eine Mutter mit Kind nebst möglichem Ersatzvater - und eben der Schwule, dem nach dem „Jüngsten Gericht“ in Miniaturversion auch eine wichtige Rolle zuerkoren wird. Und zwar meines Erachtens vor allem, weil er sich vom Opfer in Liebesdingen (wegen Suizidgedanken wegen Liebeskummer) zum Täter (der mit Valentin wortwörtlich „Schluß“ macht) entwickelt hat. Wie in diesem Handlungsstrang sexueller Liberalismus mit konservativer (und sehr amerikanischer) Hau-Ruck-Mentalität gepaart wird, ist zwar etwas seltsam, aber gerade für einen Film, in dem man so tiefe messages nicht erwartet hat, durchaus bemerkenswert. |
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