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Dezember 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Déjà vu - Wettlauf gegen die Zeit
USA 2006

Déjà vu - Wettlauf gegen die Zeit (R: Tony Scott)

Déjà vu
Wettlauf gegen die Zeit

Originaltitel: Déjà vu, USA 2006, Regie: Tony Scott, Buch: Terry Rossio, Bill Marsilii, Kamera: Paul Cameron, Schnitt: Chris Lebenzon, Musik: Harry Gregson-Williams, Production Design: Chris Seagers, mit Denzel Washington (Doug Carlin), Paula Patton (Claire Kuchever), Val Kilmer (Andrew Pryzwarra), Adam Goldberg (Dr. Alexander Denny), Jim Caviezel (Carroll Oerstadt), Bruce Greenwood (Jack McCready), Matt Craven (Larry Minuti), Elden Henson (Gunnars), Erika Alexander (Shanti), Rich Hutchman (Agent Stalhuth), Brian Howe (Medical Examiner Lavala), Elle Fanning (Abbey), 128 Min., Kinostart: 27. Dezember 2006

Erschreckenderweise ist Tony Scott wahrscheinlich ungefähr so bekannt wie sein großer Bruder Ridley. Ridley hat zwar auch schon einige weniger gelungene Filme gedreht, aber mit Alien oder Blade Runner auch einige nahezu perfekte Klassiker. In Tonys Filmographie wimmelt es hingegen nur so von - und das kann man eigentlich kaum anders formulieren - Scheißfilmen. Patriotischer Blödsinn wie Top Gun, der dann als Days of Thunder nochmal weniger patriotisch, aber filmisch noch misslungener recyclet wird, eines der schlechtesten Sequels der Filmgeschichte (Beverly Hills Cop 2), das ebenso wie The Fan oder True Romance Scotts menschenverachtende Ader zeigt, Streifen wie Crimson Tide oder Man on Fire (beide mit Denzel Washington) habe ich mir deshalb sogar erspart.

Filmszene
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Als Fan von American Football gefällt mir Scotts ebenfalls nicht eben zimperlicher The Last Boy Scout vor allem wegen der netten Idee eines nicht ganz regelkonformen Touchdowns zu Beginn des Films, und bei The Hunger und Enemy of the State findet man hin und wieder auch ganz gelungene (oder zumindest nicht abstoßende) Passagen. Jetzt fehlen eigentlich nur noch Spy Game, Revenge und Domino, die ich alle wegen meiner Abneigung gegen den Regisseur (außer Michael Bay fällt mir kein Regisseur ein, den ich vergleichsweise absichtlich meide) "verpasst" habe. Domino soll ja angeblich auch ganz gelungen sein, da ich aber Keira Knightley auch ziemlich unspannend bis abtörnend finde, konnte ich mich auch hier nicht zu einem Kinobesuch durchringen.

Warum ich mir jetzt Déjà vu angeschaut habe, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Denzel Washington mag ich zwar recht gerne, aber der Trailer des Films war ungefähr so abschreckend wie der Name Tony Scott. Es stellte sich schon früh das Gefühl ein, diesen Film bereits einmal gesehen zu haben, und das meine ich jetzt ganz sicher nicht als Kompliment.

Die ersten zwanzig Minuten des Films waren so penetrant und ärgerlich wie erwartet. Zeitlupenaufnahmen von glücklichen Menschen, von uniformierten Matrosen oder womöglich Navy-Soldaten, immer wieder Close-Ups von Kindern. All diese Menschen benutzen eine Fähre, und als Zuschauer ahnt man sehr schnell, was passieren wird. Jenen Zuschauern, denen diese Intuition fehlt, bietet Scott das Bild einer herunterfallenden Spielzeugpuppe, die ein kleines Mädchen verliert, und die dann in den Fluten abtreibt. Soll wohl traurig stimmen, wirkt aber einfach nur bescheuert und einfallslos. Tony Scott ganz in seinem Element.

Als irgendein Wachmann auf dem Parkdeck ein verdächtiges Auto entdeckt, aus dessen Radio "Baby, don't worry" von den Beach Boys herüberklingt, gibt es wahrscheinlich keinen Zuschauer, der sich nicht sorgt, und bei der darauffolgenden Explosion wird offenbar versucht, die schockierenden Bilder von 9/11 noch zu übertrumpfen, jede Menge durch die Luft fliegende brennende Menschen und natürlich jenes Markenzeichen für das Kino von Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer: ein möglichst großer Explosions-Feuerball, über dessen Authentizität ich mich nach Sichtung der Hintergrundberichte auf der Team America: World Police-DVD (ein Film, der zwanzig mal besser ist als alle Tony-Scott- und Michael-Bay-Filme zusammen) vorsichtshalbr nicht mehr ereifere.

Es folgt dann ein recht überzeugender Auftritt von Denzel Washington als Doug Carlin, einem Experten der Abteilung ATF (Alcohol, Tobacco and Firearms), der die Ursache der Explosion fast im Alleingang (und im Spaziergang) herausfindet. Dabei stößt er auch auf eine Leiche, die in einigem Abstand ans Ufer getrieben gefunden wurde - allerdings wenige Minuten vor der Explosion. Die Autopsie dieser zu 30% verbrannten Wasserleiche ist ein weiterer guter Beweis dafür, warum Scott als Regisseur so ein Versager ist: Ein Blick auf diese wunderschöne (und natürlich nicht kaukasische) Frau, und man weiß eigentlich, daß Washington sich in diese verlieben wird und alles daran setzen wird, sie zu retten. Moment mal … retten? Eine Leiche? Wird dieser Film jetzt noch bescheuerter als angenommen? Eigentlich nicht, aber aus dem Trailer wusste ich zu diesem Zeitpunkt ja bereits, daß mehrfach in diesem Film einige Magnetbuchstaben an einem Kühlschrank zu sehen sein werden, die da die Botschaft prophezeien: "U can save her".

Verlassen wir nun für einen Augenblick das unschöne Thema Tony Scott und wenden uns einem anderen Filmschaffenden zu, dessen Name weitaus unbekannter ist: Terry Rossio. Terry Rossio schrieb zusammen mit seinem Kollegen Ted Elliott Drehbücher zu Filmen wie Aladdin, Shrek oder Pirates of the Caribbean (1-3), und 1996 bekamen die beiden bei Dreamworks einen recht unüblichen "writing and producing"-Deal, der unter anderem zu Credits als "Creative Consultants" bei weiteren Animationsfilmen wie Antz, Sinbad, The Road to El Dorado oder Shrek 2 führte, die ich allesamt (im Gegensatz zu Pirates of the Caribbean: Dead Man's Chest, jene Ausnahme, die die Regel bestätigt) ganz gelungen finde. Rossio & Elliott sind auch Co-Produzenten von Déjà vu, doch noch interessanter finde ich, daß Rossio zusammen mit dem mir nicht bekannten Newcomer Bill Marsilii das Drehbuch zu Déjà vu schrieb.

Und im Gegensatz zu Quentin Tarantinos Skript zu True Romance ist dieses Drehbuch so gut, daß selbst Tony Scott es nicht zerstören kann. Ich glaube, es war Billy Wilder, der mal sagte, daß ein hervorragender Regisseur aus einem missratenen Drehbuch einen ganz akzeptablen Film machen kann, ein wirklich gelungenes Drehbuch aber nahezu unverwüstlich ist. Nun ist das Drehbuch zu Déjà vu keines von Billy Wilder und I. A. L. Diamond, aber wenn man eine gewisse Affinität zu Zeitreisegeschichten hat (und ich behaupte an dieser Stelle nicht, daß es ein Zeitreisefilm ist, lasst euch einfach überraschen), dann bietet Déjà vu (und ich habe diese blöden Akzente jetzt langsam auch oft genug in mein Keyboard geklappert) hervorragende Unterhaltung, die selbst Scotts Inszenierungsstil und ein durchaus "verbesserungsfähiges" Ende nicht versauen können. Vergesst den Trailer, vergesst eure Vorurteile, und wenn ihr meine Affinität teilt, werdet ihr euren Spaß habe. Versprochen!