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Februar 2007 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Jagdhunde
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Fotos © 2007 credofilm |
“Der schönste Film der Berlinale” hatte nach der Pressevorführung einer der Kritiker-Kollegen auf die Namensliste geschrieben. Für mich persönlich war es der zweite Berlinale-Film, theoretisch möglich wären vier gewesen, auf jeden Fall konnte man wohl kaum von einem repräsentativen Überblick sprechen. Dennoch: Bis heute (inzwischen habe ich immerhin etwa fünfundzwanzig Berlinale-Filme gesehen) ist Jagdhunde auch aus meiner Sicht der “schönste Film der Berlinale”, und 2006 war mein zweiter Berlinale-Film The Proposition selbst noch am Jahresende mein Lieblingsfilm des Jahres.
Jagdhunde ist der Debütfilm der Berliner HFF-Studentin Ann-Kristin Reyels, mal wieder eine Zusammenarbeit mit dem “Kleinen Fernsehspiel”, und dennoch ein Film, der die große Leinwand zum Atmen verdient hat. Der “Falsche Bekenner” Constantin von Jascheroff spielt den 16jährigen Lars, der mit seinem Vater (Josef Hader) irgendwo am Arsch der Welt in der Uckermark lebt (immerhin kann man sich inmitten des Mahnmals der technologischen Modernität, einem Kreiselverkehr, einen Tannenbaum leisten, dessen Beleuchtung auch jeden Tag pünktlich anspringt). Selbst wenn er und sein Vater fast das ganze Dorf zu einem vorweihnachtlichen Fest vor der zu einem Hochzeitshotel umzubauenden Scheune einladen, spricht niemand mit ihnen, geschweige denn, daß jemand zu diesem Fest kommen würde.
Lars kann also schon frühzeitig aufbrechen nach Berlin, um mit seiner getrennt lebenden Mutter Weihnachten zu feiern, während sein Vater glaubt, daß es “ganz gut für ihn ist”, “auch mal allein zu sein”. Während Lars auf den Zug wartet, sieht er, wie zwei Jungen ein Mädchen triezen, das dem Zuschauer (Lars aber nicht unbedingt) schon vorher mal aufgefallen war. Sie wollen sie nicht durchlassen, Lars interveniert und fängt sich eine blutige Nase ein. Marie (Luise Berndt) ist hörgeschädigt, verpflegt Lars’ Verletzung und lädt ihn zu einer anderen Weihnachtsfeier ein, wo die beiden mit diversen schürzentragenden Bäuerinnen Korn trinken und Tischtennis spielen. Beim “chinesischen Rundlauf” machen Lars und Marie das (ziemlich lange) Finale schließlich zwischen sich aus, und im Film wird die sich entwickelnde Nähe zwischen den beiden durch unscharfe Detailaufnahmen umgesetzt. Ich kann mich noch erinnern, wie ich bei meinem ersten (“vernünftigen”) Kuss erstaunt feststellen musste, daß meine Freundin dabei “ganz unscharf” wurde …
Marie ist die Erste aus dem Dorf, die mit Lars “spricht” (im Verlauf des Films wird er in Gebärdensprache etwas besser), und auch für Marie gibt es außer ihrem Vater wahrscheinlich nicht viele Menschen, die so offen auf sie zugehen und sich Mühe geben, sie zu verstehen. Nach einem langen Abend kommt Lars zurück nach Hause und findet in Mindestbekleidung am Kühlschrank “Tante Jana” (Judith Engel, die Mutter aus Milchwald), offenbar der Grund dafür, warum der Vater “mal allein” sein wollte. Geistesgegenwärtig versucht die Schwester seiner Mutter die Situation mit dem üblichen “Du bist ja schon wieder gewachsen …” zu retten.
Lars zieht es plötzlich nicht mehr so sehr zur Mutter, auch wenn (oder weil?) dies die Pläne seines Vaters ein wenig sabotiert. Maries Vater (Sven Lehmann), der Betreiber einer kleinen Kneipe, macht zwar gleich klar, daß seine Tochter “am besten auf sich selber aufpasst”, und auch ein Zwischenfall mit einem von Lars’ Hunden entspannt die Lage nicht eben, aber die beiden wollen ja wie im Udo Lindenberg-Song “einfach nur zusammen sein” - und der Film setzt sich von den üblichen “Coming-of-Age-Das-erste-Mal”-Streifen auch angenehm ab.
Jagdhunde verbindet die ungewöhnliche junge Liebesgeschichte mit einigen Stilmitteln der “Berliner Schule” (narrative Ellipsen, ein wunderschöner Jump-Cut auf dem Weg zum Auto) und schließlich (zum Weihnachtsfest kommen noch unerwartete Gäste) dem unwiderstehlichen, manchmal etwas schwarzen Humor, den man aus amerikanischen Familienfest-Komödien wie Pieces of April oder Home for the Holidays kennt - wenn vielleicht auch eher in der etwas fatalistischeren Variante wie im letzten Jahr bei Dominik Molls Lemming. Der alltäglich wirkende Humor des Films erinnert an internationale Drehbuch- und Regie-Talente wie Agnes Jaoui oder Alexander Payne, so in dieser Art: Jana fragt Lars nach einem “guten Friseur” im Ort, der schickt sie zum “Salon Ursula”, und etwas später sieht man sie mit Mütze. Peinliche Momente wechseln sich mit Glücksmomenten und schon als tragisch zu bezeichnenden Unfällen ab - wie im richtigen Leben. Nur unterhaltsamer.
Über Constantin von Jascheroff hinaus erinnerte mich vielleicht ein bißchen zu viel an Falscher Bekenner (Triste Locations, nächtliche Spaziergänge, Masken, Blicke durch Autofenster), aber da ich mich auch in meinem dritten Berlinale-Film (Pas douce) daran erinnert fühlte, mag das auch an mir liegen. Jagdhunde mag sich nicht bis zum Ende als “schönster Film der Berlinale” durchsetzen, ich erwarte aber keinesfalls, hier ein weiteres so durchweg überzeugendes Regiedebüt zu erleben.
*Hinweis: Im Rahmen der “Cross-Section” wird dieser Film auch einmal im Rahmen der “Generation 14plus” gezeigt. Diese Vorführung ist frei ab 14 Jahren und der Eintritt beträgt nur unglaubliche 3 Euro (Und wenn ich das Programmheft richtig verstanden habe, bei vorangemeldeten Gruppen von mehr als 5 Personen sogar nur 2 Euro pro Person). Preiswerter wird man solch einen Qualitätsfilm auf der Berlinale nicht zu sehen bekommen …
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