Simons Geheimnis
(R: Atom Egoyan)
Originaltitel: Adoration, Kanada 2008, Buch: Atom Egoyan, Kamera: Paul Sarossy, Schnitt: Susan Shipton, Musik: Mychael Danna, mit Scott Speedman (Tom), Rachel Blanchard (Rachel), Kenneth Welsh (Morris), Devon Bostick (Simon), Katie Boland (Hannah), Noam Jenkins (Sami), Arsinée Khanjian (Sabine), Geraldine O'Rawe (Carole), Dominic Cuzzocrea (Cab Driver), Maury Chaykin, Aaron Poole, 100 Min., Kinostart: 21. Mai 2009
Man könnte darüber streiten, seit wann man Atom Egoyan zur internationalen Regie-Elite zählen muss. Seit The Sweet Hereafter (1997) allerspätestens, aber schon Exotica (1994) und The Adjuster (1991) waren vielbeachtete Zeugnisse seines Regietalents, und manch einer ist sogar der Meinung, dass er seit Family Viewing (1987) zu den größten gehört.
Nun scheint es an der Zeit, darüber zu diskutieren, wann sich Egoyan wieder aus der Riege der großen Regisseure zu verabschieden droht. Bei Ararat (2002) bemängelten einige die überdeutliche politische Botschaft, aber sowohl die Botschaft selbst als auch der Film waren gegen (fast) jede Kritik gefeit. Where the Truth lies (2005) wirkte dann wie der Versuch, ein größeres Publikum zu erobern (Kevin Bacon, Colin Firth und ein Plot um Sex und Glamour), was aber nicht wirklich funktionierte. Adoration könnte man nun als Schritt zurück zu den Wurzeln sehen, es geht um Familien und Familiengeheimnisse, um die modernen Medien und um hochbrisante politische Themen. Ohne zuviel über die (wie üblich) verschachtelte Story zu verraten, geht es u. a. um den halbwüchsigen Simon (ich lehne mich hier an die gewagte deutsche Akzentverschiebung durch einen völlig neuen Titel an), der im Rahmen seines Französisch-Unterrichts eine Geschichte über seine Eltern im Internet breittritt, die sich schnell selbstständig macht und beispielsweise der Lehrerin (Arsinée Khanjian) ihren Job kostet. Die Geschichte über seine (verstorbene) Mutter dreht sich um seinen Vater, der sie als Terrorist mit einer Bombe im Gepäck (und mit Simon schwanger) in ein Flugzeug schickte ...
So weit, so hochinteressant. Doch trotz der vielschichtigen Erzählung und miteinander verwobenen Familiengeheimnisse, trotz der hochaktuellen Fragestellungen entwickelt der Film zu keinem Zeitpunkt die Intensität eines Films wie The Sweet Hereafter oder Felicia's Journey, man erkennt (und anerkennt) zwar, wie filigran Egoyan das Buch strukturiert hat, das ganz allmählich die komplette Geschichte preisgibt und sogar zum zweiten Schauen einlädt, doch ...
Es reicht halt nicht, immer wieder die selben Themen und die selben filmischen Strategien anzuwenden - selbst, wenn man dabei sogar die selbe Inszenierungskunst vorführt. Wer noch nie einen Film von Egoyan gesehen hat, mag vom Hocker gehauen werden, aber wenn man bei jedem Wiedererkennen von seinen Lieblingsdarstellern, seinen bevorzugten Themen und seiner üblichen Atmosphäre nur an andere, bessere Filme des Kanadiers denkt, wirkt Adoration nur wie eine gelungene Fingerübung eines Virtuosen, ist aber von früheren Meisterwerken weit entfernt. Vielleicht ist Egoyan inzwischen cleverer, als für ihn (und seine Filme gut ist). Er überlagert mitunter die Bildelemente, als sei er Peter Greenaway, hängt seinem Film aber dann so viele Enden an, als sei er Steven Spielberg. Wobei man selbst dabei noch merkt, dass Egoyan jedes Fitzelchen seines Films durchdacht hat, doch angesichts der sich langsam im Sand zerlaufenden Geschichte kann man sich an dieser Meisterschaft nicht mehr so erfreuen. Man kann zwar zwischendurch kommentieren "sehr schön", "raffiniert" oder "gut überlegt", aber der Film nimmt das Herz des Zuschauers nicht gefangen, wie es insbesondere bei The Sweet Hereafter in jeder Hinsicht atemberaubend war. Schade.