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Bildmaterial © 2009 Warner Bros. Ent.
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Wo die wilden
Kerle wohnen
(R: Spike Jonze)
Originaltitel: Where the Wild Things Are, USA 2009, Buch: Spike Jonze, Dave Eggers, Lit. Vorlage: Maurice Sendak, Kamera: Lance Acord, Schnitt: James Haygood, Eric Zumbrunnen, Musik: Carter Burwell, Karen O[rzolek], “Wild Things”-Design für die Leinwand: Sonny Gerasimowicz, Production Design: K.K. Barrett, Supervising Art Director: Jeffrey Thorp, Kostüme: Casey Storm, mit Max Records (Max), Catherine Keener (Mom), Steve Mouzakis (Teacher), Mark Ruffalo (The Boyfriend), Pepita Emmerichs (Claire), Max Pfeifer, Madeleine Greaves, Joshua Jay, Ryan Corr (Claire’s Friends) und den Original-Stimmen / “Suit Performers” James Gandolfini / Vincent Crowley (Carol), Lauren Ambrose / Alice Parkinson & Garon Michael (KW), Catherine O’Hara / Nick Farnell (Judith), Forest Whitaker / Sam Longley (Ira), Chris Cooper / John Leary (Douglas), Paul Dano / Sonny Gerasimowicz (Alexander), Michael Berry Jr. / Angus Sampson & Mark McCracken (The Bull), 101 Min., Kinostart: 17. Dezember 2009
Nachdem es früher in Kinderbüchern vor allem kleine Mädchen waren, die in traumähnlichen Situationen in fernen Ländern Abeneteuer erlebten (z. B. Alice, Dorothy und Wendy), durften in illustrierten Klassikern der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auch kleine Jungs ihrer Fantasie freien Lauf lassen und beispielsweise gemeinsam mit ihren Plüschtieren die Welt erforschen. Max, der junge Protagonist aus Maurice Sendaks Where the Wild Things Are (1963), erinnert in seiner ungestümen, wilden Art eher an Bill Wattersons Calvin als an A. A. Milnes doch erstaunlich gut erzogenen Christopher Robin. Allerdings ist Max, und hier teilt er das Schicksal fast aller Kinder in Kinderbüchern der letzten zwanzig Jahre, ein Scheidungskind (im Buch durch die Abwesenheit des Vaters zumindest impliziert), was seinen Charakter im Ansatz erklärt.
Bevor ich mich um Kopf und Kragen rede, muss ich erstmal zugeben, dass ich die Vorlage zu Spike Jonze’ drittem Spielfilm gar nicht kenne, und ich meine Ansichten aus der Verfilmung extrapoliere, die offenbar um einige Handlungsstränge bereichert wurde (mit Unterstützung von Sendak), denn das ursprüngliche Kinderbuch besteht neben den Illustrationen nur aus etwa einem Dutzend Sätzen. Und deshalb werde ich den ursprünglichen Anstz dieser Kritik an dieser Stelle auch verlassen und mich von einer anderen Seite aus in die Materie hineinfressen.
Max (Max Records) erinnerte mich während des Films vor allem an eine wütendere Version des ewigen Kindskopfs Michel Gondry. Wie Spike Jonze, der Regisseur von Where the Wild Things Are, hat Michel Gondry zunächst Musikvideos gedreht, bis seine ersten zwei Spielfilme nach Drehbüchern von Charlie Kaufman entstanden (den ersten davon, Human Nature, hat Jonze sogar mitproduziert), ehe beide sich mit dem dritten Film erstmals selbst um das Drehbuch kümmerten. Gondry hat inzwischen mit The Science of Sleep und Be Kind Rewind zwei Filme herausgebracht, die noch verspielter, aber nicht so stringent wie seine Frühwerke sind. Bei Spike Jonze’ langerwartetem dritten Spielfilm (Adaptation ist immerhin von 2002) ist der Übergang fließender, dafür, dass es sich nicht um ein Originaldrehbuch, sondern “nur” eine Adaption handelt (und ich werde mich an dieser Stelle auf keine Diskussion darüber einlassen, ob Adaptation nicht auch eine Adaption war), kann man bei Where the Wild Things Are die Handschrift des Regisseurs (und ich hoffe, auch die von Maurice Sendak) zu jedem Zeitpunkt erkennen, obwohl sich Jonze ganz in den Dienst der Geschichte stellt.
Schon beim Vorspann wird das Gefühl erweckt, als sei der eigentliche Regisseur des Film Max, der die Logos der Produktionsfirmen mit einigen krakeligen Ergänzungen einfach in seinen Dienst stellt. In einer kurzen Intro lernen wir u. a. kennen: Max’ überforderte Mutter (Catherine Keener), die arg pubertierende ältere Schwester und einen Lehrer, der mit seinen Ausführungen zum unvermeidlichen Schicksal der Sonne eine Weltuntergangsstimmung bereitet, ohne mal zu erwähnen, in wie vielen tausend Jahren die Sache mit der Supernova wirklich akut sein wird. Dann kommt es, als die Mutter aufgrund eines Herrenbesuchs den Sohn vernachlässigt, zur Eskalation und Max haut ab. Die Überfahrt zur Insel, “wo die wilden Kerle wohnen”, wäre in einem Film von Gondry wahrscheinlich eine Pappmaché-Angelegenheit im Stile der Augsburger Puppenkiste geworden, doch Spike Jonze, der schon bei einem zusammenbrechenden Iglu und dem Streit mit der Mutter einen harten Ton in den Film brachte, inszeniert seinen Film erstaunlich realistisch, wie schon bei Being John Malkovich und Adaptation muss man auch hier echte Konsequenzen befürchten (bei Gondry weit weniger), und der Film gewinnt dadurch klar an Prägnanz. Man geht zwar nicht davon aus, dass Max von den wilden Dingern, die ihn später zum König machen, aufgefressen wird, aber wie schon in der Intro ist hier klar, dass ein Wutanfall manchmal Schäden mit sich bringen kann, die man nicht ohne weiteres wiedergutmachen kann.
Jonze bedient sich neben guten alten Bekannten vor (Keener, Chris Cooper) und hinter der Kamera teilweise auch der ungestümen Kameraführung und Montage, die man aus seinen ersten zwei Filmen (oder auch Jackass) kennt, und es gibt wie nebenbei auch einen ausgezeichneten und emotionsgeladenen Soundtrack, an dem neben Carter Burwell auch Jonze’ Exfreundin Karen O (von den Yeah Yeah Yeahs) mitgearbeitet hat und der die Brücke schlägt zwischen der erwähnten “Wildheit” und einer gewissen Unschuld, die man auch von der frühen Björk (ein Song bei Being John Malkovich) oder Joanna Newsom (jede Menge Streicher und Harfen gibt es auch) kennt. Somit also ganz dem Film entsprechend.
Ohne auch nur ansatzweise didaktisch zu wirken, ist Where the Wild Things Are ein all-ages-Film über Beziehungen, Gruppendynamik, die Monster in uns, Krieg, Eifersucht und ähnliche Themen. Wer das seinen Kindern nicht antun mag, hätte sie nicht in die Welt setzen sollen.