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11. August 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Inception (Christopher Nolan)
Das A-Team (Joe Carnahan)
Inception (Christopher Nolan)
Fotos »Inception« © 2010 Warner Bros. Ent.
Das A-Team (Joe Carnahan)
Fotos »A-Team« © 2010 Twentieth Century Fox
 Inception (Christopher Nolan)
Das A-Team (Joe Carnahan)
Inception (Christopher Nolan)
Das A-Team (Joe Carnahan)

Inception
(Christopher Nolan)

USA / UK 2010, Buch: Christopher Nolan, Kamera: Wally Pfister, Schnitt: Lee Smith, Musik: Hans Zimmer, Production Design: Guy Hendrix Dyas, Supervising Art Director: Brad Ricker, mit Leonardo DiCaprio (Dom Cobb), Ellen Page (Ariadne), Joseph Gordon-Levitt (Arthur), Tom Hardy (Eames), Ken Watanabe (Saito), Dileep Rao (Yusuf), Lukas Haas (Nash), Marion Cotillard (Mal), Michael Caine (Miles), Cillian Murphy (Robert Fischer), Tom Berenger (Peter Browning), Pete Postlethwaite (Maurice Fischer), Tai-Li Lee (Tadashi), Claire Geare / Taylor Geare (Phillipa), Magnus Nolan / Johnathan Geare (James), Miranda Nolan (Flight Attendant), Talulah Riley (Blonde), 148 Min., Kinostart: 29. Juli 2010

Das A-Team
(Joe Carnahan)

Originaltitel: Das A-Team, USA 2010, Buch: Joe Carnahan, Brian Bloom, Skip Woods, Vorlage: Frank Lupo, Stephen J. Cannell, Kamera: Mauro Fiore, Schnitt: Roger Barton, Jim May, Musik: Alan Silvestri, mit Liam Neeson (Colonel Hannibal Smith), Bradley Cooper (Lt. »Faceman« Peck), Quinton »Rampage« Jackson (B. A. Baracus), Sharlto Copley (Captain H. M. Murdock), Jessica Biel (Charissa Sosa), Patrick Wilson (Lynch), Gerald McRaney (Gen. Russell Morrison), Henry Czerny (Director McCready), Yul Vazquez (Gen. Javier Tuco), Brian Bloom (Pike), Maury Sterling (Gammons), Corey Burton (Narrator voice), Dirk Benedict (Pensacola Prisoner Milt), Dwight Schultz (German Doctor #1), Jon Hamm (Other Lynch), Leah Carnahan (Army Meddac Nurse), John Carnahan (Judge Advocate #2), Joe Carnahan (Mexican Hospital Liaison), Karl Maier (German Fisherman), Anne Maier (German Wife), 117 Min., Kinostart: 12. August 2010

Vielleicht liegt es an mir, aber wenn ich vor dem Hauptfilm locker-flockig hintereinander die Trailer von Filmen wie The Last Airbender, Salt, The Sorcerer's Apprentice, The Expendables, Resident Evil: Afterlife oder Tron: Legacy eingetrichtert bekomme, fällt es mir zunehmend schwerer, zwischen all dem Blockbuster-Event-Hype noch zu unterscheiden und mich daran zu erinnern, worum es im Kino irgendwann auch mal ging: um Geschichten und Menschen.

Ich persönlich setze mich immer seltener derartigem sensorischem Overkill in zwei oder drei Dimensionen in abendfüllendem Umfang aus, doch vieles spricht dafür, dass in Zukunft eher mehr als weniger des mit dem Medium Film zu verdienenden Geldes mit solchen mir-fliegt-alles-um-die-Ohren-Spektakeln erzielt werden wird.

Die sieben bisher weltweit erfolgreichsten Filme, die 2010 in die Kinos kamen (Stand: 5. August), sind Alice in Wonderland, Toy Story 3, Eclipse, Shrek Forever After, Iron Man 2, Clash of the Titans und How to train your Dragon. Fünf von sieben sind 3D-Filme, erstaunlicherweise nur vier sind Sequels, mindestens drei würde ich als Animationsfilme klassifizieren, und dass nicht mehr Remakes und Verfilmungen von Comics, TV-Serien und Computerspielen darunter sind, ist reiner Zufall.

Ich bin erklärtermaßen ein Freund von Animationsfilmen, Comics (gerne auch ohne Superhelden) und Science Fiction, doch selbst, wenn ich der Welt größter Fan von Fruchtgummi wäre, wäre es ein Alptraum, in einem Supermarkt 80% der Regale mit diverse Variationen der Produktpaletten von Haribo, Katjes und Trolli vollgestopft zu finden. Und zumindest, was die Leinwände in Multiplexen angeht, nähern wir uns diesem Zustand mit großen Schritten.

Die aktuellsten zwei Filme dieser Kategorie, zu deren Besuch ich mich (aus sehr unterschiedlichen Gründen) hinreißen ließ, könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Inception ist der von der Kritik gefeierte hochkomplexe neue Film des mitunter mit Stanley Kubrick verglichenen britischen Autorenfilmers Christopher Nolan, The A-Team ist die verspätete Filmversion einer ziemlich albernen 80er-Jahre-Fernsehserie, das Drehbuch wurde von einem Dutzend Routineschreibern zusammengedoktort, und Regie führte der relativ unbekannte Joe Carnahan (Smokin' Aces), der vor seiner Tätigkeit beim Film u. a. bereits eine achtjährige Karriere als Möbelpacker bestritt. Man könnte annehmen, dass typische Vertreter der Zielgruppen dieser Filme sich beim Intelligenzquotienten um ca. 20 Punkte unterscheiden ...

Doch auch wenn Inception den Intellekt des Zuschauers etwas mehr fordert (auch wenn der Film durch anhaltende Reizüberflutung eher die Gehirntätigkeit eindämmt als fördert), erzählen beide Filme (und hier bedarf es keiner Abstraktion auf dem Level von Syd Field oder Bordwell / Thompson) eigentlich die selbe Geschichte (an dieser Stelle ein kurzer Hinweis auf Spoiler - wer noch nicht wusste, dass nur zwei der vier Mitglieder des A-Teams den Filmverlauf überleben: lieber nicht weiterlesen ;-)).

Aus speziellen Experten setzt ein Anführer (DiCaprio bzw. Neeson) ein Team zusammen, mit dem schwierige Missionen durchgeführt werden (ob illegal oder militärisch, ist Haarspalterei). Hierbei rutschen der Anführer (Inception) bzw. das ganze Team (»A«) in die Illegalität ab und landen im Gefängnis oder zumindest auf internationalen Steckbriefen. Um den Namen reinzuwaschen, muss nun eine extrem schwierige (fast »impossible«) und gefährliche Mission durchgeführt werden. Gegenspieler sind hier gut gekleidete Männer, bei denen man nicht ganz sicher sind, ob sie auf der selben oder der Gegenseite stehen - und jeweils eine Frau, mit der der Bestaussehendste im Team mal eine Beziehung hatte. Kernpunkte im Plot sind individuelle Charakterschwächen von Teammitgliedern.

Wenn bei The A-Team ähnlich wie in den Mission:Impossible-Filmen die Anfangs-Mission misslingt und die Mitglieder in vier verschiedenen Gefängnissen (zugegeben, in einem Fall ist es eine Klapse in Mannheim) untergebracht werden, ist für den Zuschauer klar, wie die nächsten zwanzig Minuten des Films verlaufen werden: Einer nach dem anderen entkommt, was nicht besonders spannend ist. Christopher Nolan gibt sich ein wenig mehr Mühe. Auch er hat vier plot points, die man als Showdown umschreiben könnte (nicht im Mittelpart des Films, sondern über die kompletten letzten zwei Drittel verteilt), doch hier werden sie nicht wie ein Staffellauf hintereinander geschaltet, sondern wie bei Matrjoschka-Puppen ineinander verschachtelt. Da die Missionen innerhalb von Träumen (und innerhalb von Träumen innerhalb von Träumen usw.) bestanden werden, beginnt erst Traum (und Showdown) A, dann B, dann C etc., und am Schluss werden die einzelnen Traumsituationen jeweils durch Erwecken aufgelöst und somit auch die gesamte Situation. Hört sich kompliziert und spannend an, ist aber im Film teilweise erstaunlich langweilig, insbesondere jene »Hommage« (!?) auf James-Bond-Filme, bei der Nolan quasi eine typische Willy-Bogner-pre-credit-Passage auswalzt und eine Menge in Tarn-Schneewesten vermummte Figuren sich gegenseitig abschießen lässt, wobei das Interesse des Zuschauers sehr schnell abnimmt. Ein noch halbwegs gelungener Kniff hierbei ist die unterschiedlich schnell vergehende Zeit in den tieferen Traum-im-Traum-Ebenen, wodurch es ermöglicht wird, dass ein von einer Brücke stürzender Van in Traum-Level A etwa eine dreiviertel Stunde lang immer wieder in Zeitlupe weiterfällt, aber letztlich das Wasser fast nicht erreicht. Nolans Version von Xenons Gleichnis des Rennens zwischen Achilles und der Schildkröte.

Auch bei The A-Team setzt man die Naturgesetze (vor allem die Schwerkraft) gern außer Kraft, doch wie hier ein stürzender Panzer in ein fliegendes Objekt verwandelt wird (Cowboy Woody hätte gesagt: »That's not flying - that's just falling with style.«), ist weitaus kruder und noch unglaubwürdiger. Dennoch gibt es hier eine Parallele, bei der man das Gefühl bekommt, die Drehbuchautoren der beiden Filme könnten doch miteinander in Kontakt gestanden haben, denn wenn der Anführer des A-Teams seine Erfolgschancen erklärt, so ist das eine exakte Umschreibung der verschachtelten Traum-Ebenen mit den unterschiedlich schnell laufenden Uhren: »Give me a minute, I'm good. Give me an hour, I'm great. Give me six months, I'm unbeatable.«

Ein weiterer Punkt, in dem man sich gegenseitig beeinflusst zu haben scheint, lässt sich in dem Wort »Konsequenzen« zusammenfassen. In den Achtzigern war die Fernsehserie um das A-Team in meinen Augen besonders verachtenswert, weil man alle Nase lang mit Panzerfäusten, Handgranaten und Schnellfeuergewehren hantierte, aber ähnlich wie in Hal Needhams Kinofilm Megaforce zu keinem Zeitpunkt jemand mehr als eine Schramme davon trug. Das Hauptquartier der Bösen verschwindet in einem Feuerball - und man sieht einen Gegenschnitt, wie sie verrußt davonstolpern und von der Polizei aufgelesen werden. Verglichen damit ist die Cartoon-Gewalt bei Tom & Jerry fast pädagogisch wertvoll – immerhin ist hier der Schmerz zu erleben.

In der Kinoversion vom A-Team sterben nun auch Leute. Nicht besonders viele, und auch nicht auf eine Art, die die Altersfreigabe für Pubertierende gefährden könnte. Christopher Nolan hingegen erklärt zunächst, warum es ungefährlich ist, im Traum zu sterben, bringt dann allerlei Umstände ins Spiel, die doch eine große Gefahr bergen, zeigt anhand einer Figur, wie sich eine Schusswunde durch die verschiedenen Traumebenen fortsetzt - und liefert dann am Schluss (ich hatte vor Spoilern gewarnt!) ein Rundum-Happy-End, dass es einem speiübel werden kann. Die einzige Konsequenz: Das Geld vom Kinoeintritt bekommt man nicht zurück.

Eine wirklich ärgerliche Parallele zwischen den beiden Filmen, die weniger mit der Handlung und mehr mit dem gängigen Prozedere im Mainstream-Kino zu tun hat, ist übrigens der Soundtrack: Hans Zimmer und Alan Silvestri (die überflüssige Unterscheidung zwischen Illegalität und Militarismus fasst auch hier) kleistern die Filme mit einem Musikbrei, als hätte man es mit einer Fruchtgummitorte mit zwei Zentimetern Zuckerguss zu tun. Wenn einem die Ohren davon bluten, hat man fast noch Glück gehabt.

Nun will ich nicht versäumen, zu erwähnen, dass Inception auch einige gute Ansätze hatte (vor allem in der ersten Hälfte des Films), zum Beispiel das logistische Problem, eines während eines Traums entwendetes geheimes Schriftstück in den Wachzustand zu retten (darauf muss man erstmal kommen: der MacGuffin muss während der Flucht gelesen werden). Auch gibt es einige Ansätze, dass von mir kritisierte Happy-End anhand einer komplexen Interpretation des Films umzudeuten. Hierbei wird die Erschaffung von Träumen natürlich mit der Traumfabrik Hollywood (und dem Realitätsstatus des Films) in Beziehung gesetzt, wenn beispielsweise Edith Piafs Je ne regrette rien immer wieder ertönt und einen klaren Kontext zu Marion Cotillard (oscarprämierte Darstellerin der Piaf in la Môme) schafft. Was immerhin ungleich cleverer und subtiler ist, als die Architektin eines Irrgartens mit dem Rollennamen Ariadne zu versehen.

Die letzte Einstellung des Films ist recht elegant gelöst, und mir persönlich ist aufgefallen, dass immer wieder das Wort »green« auftauchte (ein Safe ist von Sargent & Greenleaf, eine Taxifirma hat »Green« im Firmennamen und DiCaprio stellt sich in einem Traum als »Rod Green« vor). Das könnten Ansätze sein, mit deren Hilfe mal Seminararbeiten und Dissertationen zu Inception geschrieben werden, doch während mich bei Nolans Durchbruchs-Film Memento vergleichsweise besser durchdachte Bruchstellen in der Narration noch Wochen später faszinierten, war ich bei Inception schon eine halbe Stunde vor Schluss tödlich gelangweilt. Zugegeben, bei The A-Team ging das noch schneller und ich könnte mit den Dummheiten dieses Films diese Kritik aufs Anderthalbfache anwachsen lassen. Nur: Wer will das eigentlich wissen?

Fazit: Meidet solche Filme, sucht euch was kleines, normales, womöglich nicht-amerikanisches. Seid stark, denn mit jedem Zuschauer wächst die Gefahr, dass wir bald nur noch so einen Schmarrn zu sehen bekommen.