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12. Januar 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Verblendung (David Fincher)
Verblendung (David Fincher)
Bildmaterial © Sony Pictures Releasing GmbH
Verblendung (David Fincher)
Verblendung (David Fincher)
Verblendung (David Fincher)


Verblendung
(David Fincher)

USA / Schweden / UK / Deutschland 2011, Originaltitel: The Girl with the Dragon Tattoo, Buch: Steven Zaillain, Lit. Vorlage: Stieg Larsson, Kamera: Jeff Cronenweth, Schnitt: Kirk Baxter, Angus Wall, Musik: Trent Reznor, Atticus Ross, Kostüme: Trish Summerville, Production Design: Donald Graham Burt, Supervising Art Director: Mikael Varhelyi, mit Daniel Craig (Mikael Blomkvist), Rooney Mara (Lisbeth Salander), Steven Berkoff (Frode), Christopher Plummer (Henrik Vanger), Stellan Skarsgård (Martin Vanger), Robin Wright (Erika Berger), Yorick van Wageningen (Bjurman), Joely Richardson (Anita Vanger), Geraldine James (Cecilia), Goran Visnjic (Armansky), Donald Sumpter (Detective Morell), Ulf Friberg (Wennerström), Bengt C.W. Carlsson (Palmgren), Per Myrberg (Harald), Moa Garpendal (Harriet), Embeth Davidtz (Annika), Julian Sands (Young Henrik), Werner Biermeier (Banker), 158 Min., Kinostart: 12. Januar 2012

Ende der 1980er kam ich zum Schluss, dass Sequels und Remakes die Pest sind, die dem Medium Film eines bereits am Horizont zu erhaschenden Tages den Garaus machen wird. Das war ungefähr zu der Zeit, als Martin Scorsese (damals, als er noch einer meiner Lieblingsregisseure war, weil etwa jeder dritte Film von ihm ein Meisterwerk war, und die dazwischen zumindest bemerkenswert) mit ein paar Jährchen dazwischen The Color of Money und Cape Fear drehte, beides durchaus positive Vertreter ihrer Kategorien - aber dennoch weniger, als man (oder zumindest ich) von Scorsese erwartete.

David Fincher hat »sein« Sequel bereits zu Beginn seiner Karriere abgeliefert - als er sozusagen »noch jung war und das Geld brauchte«, war der dritte Alien-Film für ihn auch ein Weg, erstaunlich schnell bekannt zu werden. Und es folgten recht schnell darauf Seven, The Game und Fight Club - drei Filme mit einem »Twist«, aber dennoch unterschiedlich, alle drei zuschauerwirksam, und zumindest Seven und Fight Club waren echte Kulturphänomene, die den Namen Fincher zu einer Bekanntheit verhalfen, die ansonsten höchstens Quentin Tarantino mit so wenigen Filmen erreichte. Aber David Fincher war immer ein Regisseur, den man nicht auf eine bestimmte »Richtung« festnageln konnte. Und der auch gerne Dinge ausprobierte, der für seine Freiheit auch die Popularität seiner Filme riskierte. So folgte nach etwas längerer Pause ein weiteres Starvehikel, Panic Room, das einige seiner früheren Verehrer an seiner verblassenden Vision zweifeln ließen. Aber Fincher legte nach einer weiteren Pause noch einen drauf und gönnte sich selbst das Herzensprojekt Zodiac, das finanziell eine mittelschwere Katastrophe war - aus Finchers Sicht aber offenbar ein künstlerischer Erfolg. Danach musste er sich das Vertrauen des Publikums - und der Studios - erst wieder erarbeiten. Mit The Curious Case of Benjamin Button lieferte er wieder ein Vollblut-Starvehikel ab, das außerdem mit technologischen Möglichkeiten angab - Im Gegensatz zu den meisten früheren Filmen des Regisseurs ein Film, der beide Geschlechter ansprach. Und mit The Social Network bewegte er sich dann nicht nur mit Riesenschritten auf die Zukunft zu, er wählte auch ein Thema, das kaum publikumswirksamer und hipper sein konnte.

Warum also dann das Remake eines Films - oder die Neuverfilmung eines Buches, der oder das noch gar nicht sehr lang zurückliegt? Im deutschen wie im US-amerikanischen Kino heißen ja das Buch, die erste und die zweite Verfilmung allesamt gleich, ob nun Verblendung oder The Girl with the Dragon Tattoo, doch während für den größten Teil des deutschen Publikums der Unterschied zwischen den beiden (synchronisierten) Filmen darin besteht, dass in einem James Bond die Hauptrolle spielt und im anderen nicht, so ist für den amerikanischen Markt der große Unterschied wahrscheinlich, dass die neue Verfilmung abgesehen von einigen seltsam schwedischen Namen und einem kaum auffallenden »Tak« mal zwischendurch eben in englischer Sprache stattfindet. Und wenn ein Film aus irgendeinem nordeuropäischen Land, was für die meisten Amerikaner keine wirkliche nationale Identität hat, ausgestattet mit (dort) unbekannten Darstellern und Untertiteln, bereits ein Erfolg ist - wie leicht ist dann auszurechnen, dass die US-Neuverfilmung ihr Geld fast so einfach einspielt wie Twilight 9 oder Harry Potter 32?

Soweit die Beweggründe für die Studios, für Fincher (der nicht mehr ganz so jung ist und auch nicht mehr unbedingt das Geld brauchen dürfte) könnte womöglich auch ausschlaggebend gewesen sein, dass es in Män som hatar kvinnor, ganz ähnlich wie in Zodiac, ja darum geht, eine Jahrzehnte zurückliegende Mordserie aufzuklären. Das ist zwar heutzutage der Standardplot mindestens einer US-Fernsehserie, aber zumindest visuell eröffnet dies dem Film einige Möglichkeiten.

Doch, um nach der langen Einleitung mal zu Potte zu kommen, jeder »neue« Fincher-Film anstelle einer wiedergekäuten Story, die erst vor drei Jahren über die Leinwände geisterte, wäre aus meiner Sicht interessanter gewesen. Ich muss zugeben, ich habe den Film von Niels Arden Oplev nie gesehen (obwohl mir sein Drømmen in der »Generation« gut gefallen hat), weil es mich nicht ausreichend interessiert hat (ich rede hier nicht vom Kinobesuch für Geld, sondern von mindestens zwei, eher drei Presseeinladungen, die ich allesamt nicht wahrgenommen habe). Womöglich hätte der Film (oder die Filmreihe) eine bessere Chance gehabt, wenn ich gewusst hätte, dass der doch recht prätentiöse Titel der Trilogie, »Millennium«, sich auf eine Zeitschrift bezieht - oder, wenn ich gewusst hätte, dass der Film (ausgehend von der Fincher-Version) gegen Ende durchaus eine gewisse Spannung erreicht und sich in einem filmischen Millieu bewegt, dem ich durchaus Interesse entgegenbringe (sorry, weiter möchte ich da nicht ins Detail gehen, vielleicht gibt es ja doch noch jemanden, dem man den Film durch zuviel Plauderei verderben kann).

Doch sowohl die sado-masochistischen Grundzüge als auch das Geheimnis der altehrwürdigen, aber menschenfeindlichen Familiendynastie (zwei Dinge, von denen ich damals nicht annähernd soviel wusste) haben mich so gar nicht angesprochen. Das Spannendste am Film ist wahrscheinlich die etwas andere Ermittlerin (Rooney Mara als Lisbeth Salander), deren Stil der Film in seinem Trent-Reznor-Soundtrack und dem Vorspann übernimmt. Doch selbst der Vorspann, der in seiner Eigentümlichkeit, seinem Stilwillen und der vermeintlichen Widerborstigkeit wieder an Seven anschließen will, war für mich vor allem eines: »slick, black surface«. Was man in der im Film vorherrschenden Innenarchitektur durchaus wiederfindet. The Girl with the Dragon Tattoo ist fast so farblos wie Schindler’s List oder Rumble Fish, und die Farbtupfer in Form von Flashbacks in die Nachkriegszeit wirken in ihrem Pastell-Patina irgendwie ziemlich deplaziert.

Abgesehen von der einen Figur und dem Genre-Ausflug gegen Ende bin ich außerstande, nachzuvollziehen, was an diesem Film (oder seiner Vorlage) so besonders sein soll. Die Millionen von Lesern erinnern mich eher an die vielzitierten Fliegen, Krimis verkaufen sich halt gut, und ich bin einfach mal so ignorant, anzunehmen, dass Stieg Larsson auch nicht viel besser als Dan Brown oder Simon Beckett (dessen erstes Buch ich sogar las und völlig überflüssig fand). Jedenfalls gibt es viele Elemente der Geschichte (Nazis in der Familie, der Sozialarbeiter etc.), die einfach nur wiedergekäute Klischees sind - und warum David Fincher ein Dreivierteljahr oder so seines Lebens dafür verschwendet, ist das eigentliche Geheimnis dieses Films.