Deutschland 2012, Buch: Gernot Gricksch, Kamera: Maher Maleh, Christian Datum, Schnitt: Martin Wolf, mit Lisa Bitter (Pia Schulz), Marian Kindermann (Sebastian Friedrich Adalbert von Stieglitz), Martin Aselmann (Daniel), Lucie Heinze (Despair), Stefan Ruppe (Fabian), Christiane Lemm (Margarete von Stieglitz), Michael Abendroth (Waldemar von Stieglitz), Susanne Tremper (Lisa Schulz), Matthias Brenner (Bruno Schulz), Jan-David Buerger (Bernd), Mascha von Kreisler (Phyllis), Christoph Hofrichter (Karsten), Simon Eckert (Carlos), 86 Min., Kinostart: 10. Mai 2012
Im Jahre 2003 gab es mal den sympathischen chilenischen Film Sábado (dt. Zusatztitel: »Das Hochzeitstape«), der in »Realzeit« aus der Sicht einer einzigen Kamera, ohne Schnitte, die Vorkommnisse bei einer geplanten Hochzeit abbildete. Mit geringstem Budget und viel Planung gelang es, einen Film zu drehen, wie man ihn so zuvor nicht gesehen hat.
Sönke Wortmann dreht keine innovativen Filme (Deutschland. Ein Sommermärchen war wahrscheinlich das Innovativste, was man je von ihm zu sehen bekam), sondern erfolgreiche Filme (und auch das nicht immer). Filme, die sich an anderen Filmen orientieren. Bei diesem Film mit dem wenig innovativen Titel Das Hochzeitsvideo hat man auf dem Plakat ein »Zitat« des nicht unbedingt für aussagekräftige Kritiken bekannten (außer, was den zu erwartenden Erfolg angeht) Branchenblatts »Blickpunkt: Film« abgedruckt, das da lautet »Die längst überfällige deutsche Antwort auf Hangover und Brautalarm.« Es sei jetzt mal gänzlich dahingestellt, ob vor der ersten Berliner Pressevorführung (bei der der Plakatentwurf bereits das Presseheft zierte) bereits jemand vom »Blickpunkt: Film« das Hochzeitsvideo zu Gesicht bekommen hat, das Zitat hätte man auf jeden Fall kaum erfolgsstärkender formulieren können, denn Hangover und Bridesmaids waren nicht nur sehr erfolgreich, sie signalisieren in dieser Kombination sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen deutschen Publikum, dass hier etwas interessantes kommen könnte. Denn Männer interessieren sich allgemein etwas weniger für Filme, in deren Titel die RomCom-Signalworte »Hochzeit« oder »Braut« vorkommen, aber bei handfestem Humor sieht man auch mal über solche Kleinigkeiten hinweg.
Leider bleibt es nicht beim Verweis auf erfolgreiche US-Komödien auf dem Plakat, alles in Das Hochzeitsvideo weist irgendwie auf Vorbilder. Den vorprogrammierten Konflikt zwischen den Schwiegereltern (Nomen est omen: Bruno Schulz vs. Waldemar von Stieglitz) gab es ähnlich bei Meet the Fockers etc. oder der Sitcom Dharma & Greg (auch hier ist der Sohn der Karrierist und die Tochter kommt aus chaotischen Verhältnissen, weil es so einfach interessanter ist als umgekehrt). Wie bei Hangover 2 gibt es auch hier ein Tattoo, das komplett realitätsfern immerhin für anderthalb akzeptable Gags sorgt. Dann werden nacheinander die Konfliktherde Junggesellenabschied, alkoholisierte Frauen und ein Exfreund, der Pornostar ist, abgehakt, die Nebenfiguren versuchen auch dem etwas nerdigeren Publikum etwas zu bieten (die Halbschwester der Braut heißt »Despair«, sieht aber besser aus, der Trauzeuge wirkt wie Elton mit 15 Kilo weniger), und dann gibt es natürlich noch Ärger mit dem Standesbeamten und dem Pastor, der Film versucht einfach jede Möglichkeit eines Gags mitzunehmen, nimmt sich dabei aber selbst ein wenig den Wind aus den Segeln, weil es lauter halbhohe Konflikte gibt, aber kaum eine dramaturgische Entwicklung. Wie eine Achterbahn, die nur auf eine Höhe von 3 Meter 50 kommt.
Was man dem Film auf jeden Fall positiv anrechnen muss, ist der Verzicht auf prominente Gesichter (vielleicht mit einer Ausnahme, aber das ist dann womöglich die etwas schwache Antwort auf Mike Tyson in Hangover). Die jungen Hauptdarsteller markieren mit diesem Film jeweils ihr Kinodebüt, und trotz Theaterausbildung merkt man ihnen die energiegeladene Spielfreude an.
Was mir persönlich aber aufstößt, ist die Tendenz des Films, einerseits den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen (so nenne ich es) Fake-Found-Footage-Film (wie The Blair Witch Project, Apollo 18, Cloverfield usw.), man dieses auch durch einige inszenatorische Mittel stützt (man nutzt nur diegetische Musik, also die Musik aus der Filmwelt), dann aber offenbar davon ausgeht, der Zuschauer sei nicht in der Lage, zu erkennen, dass so gut wie nichts in diesem Film wirklich aus einer der zwei Kameras stammt, die man bei den Aufnahmen der Hochzeitsvorgänge beobachten kann. Und ich rede jetzt nicht von Format- und Auflösungs-Unterschieden, sondern von Jump-Cuts, falschen Aufnahmewinkeln und ähnlichem. Hierbei ist es aber so, dass der Film zum Beispiel bei Szenen, in denen Spiegel vorkommen, immer noch Authentizität vorzutäuschen versucht, aber dieses auf halbherzige, wenig intelligente Weise. Wie ein Kind, das behauptet »Nein, ich habe nichts vom Schokopudding genascht!« und dabei einen braun verschmierten Mund hat. Das Lügen ist ja das Herz der Filmkunst, aber auf diese Art ist es etwas beleidigend bis ärgerlich.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Das Hochzeitsvideo all jene unterhalten wird, die schon bei einem Satz wie »Meine Kehle ist trocken und mein Schlüpfer ist feucht« herzhaft lachen können. Und alle, die im Kino (oder kurz zuvor) immer mindestens zwei bis drei Flaschen Bier vertilgen. Wer jedoch etwas mehr erwartet, der sollte dann doch lieber auf »Die deutsche Antwort« verzichten und auf die nächste innovative Komödienidee warten, die Sönke Wortmann dann wieder anderthalb Jahre später recyclen kann.