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12. September 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)
Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)
Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)
Bildmaterial © 2012 Universal Studios
Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)
Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)
Das Bourne Vermächtnis (Tony Gilroy)


Das Bourne Vermächtnis
(Tony Gilroy)

Originaltitel: The Bourne Legacy, USA 2012, Buch: Tony Gilroy, Dan Gilroy, Kamera: Robert Elswit, Schnitt: John Gilroy, Musik: James Newton Howard, Casting: Ellen Chenoweth, mit Jeremy Renner (Aaron Cross), Rachel Weisz (Dr. Marta Shearing), Edward Norton (Retired Col. Eric Byer), Scott Glenn (Ezra Kramer), Stacy Keach (Retired Adm. Mark Turso), Donna Murphy (Dita Mandy), Albert Finney (Dr. Albert Hirsch), David Strathairn (Noah Vosen), Oscar Isaac (Outcome #3), Zeljko Ivanek (Dr. Donald Foite), Jennifer Kim (Outcome #4), Louis Ozawa Changchien (LARX #3), Rob Riley (Outcome #6), Adi Hanash (Outcome #1), Joan Allen (Pam Landy), Michael Papajohn (Larry), Elizabeth Marvel (Dr. Connie Dowd) 135 Min., Kinostart: 13. September 2012

Den dritten Bourne-Film habe ich immer noch nicht gesehen, und vermutlich würde eine gemeinsame Sichtung aller vier Filme noch einige Details zutage fördern, die mir so entgangen sind (immerhin tauchen ja Joan Allen, Albert Finney, Scott Glenn und David Straithairn in Ultimatum und Legacy auf, und Paddy Considine und Matt Damon [in welchem Teil spielte der noch gerade mit?] sieht man auch kurz auf Bildmaterial). Aber The Bourne Legacy kann auch ganz gut für sich stehen, der (Drehbuch-)Autor der ersten drei Teile (Tony Gilroy, neben diversen Drehbüchern zuvor zwei Regiearbeiten: Michael Clayton und Duplicity) durfte diesmal auch die Regie übernehmen (sonst jeweils Paul Greengrass), und auf einem bestimmten Level ist ihm dies auch gelungen.

Für mich war The Bourne Legacy aber neben dem netten Detail, dass diesmal kaum Nutella drin ist, obwohl es doch auf dem Glas steht, vor allem ein seltsamer Hybrid-Film, eine Mixtur aus Superhelden-Film und James Bond. Wen dies ein wenig verwundert, dem mag ich es auch ausführlich erklären.

Man muss gar nicht aktiv im Hinterköpfchen haben, dass Jeremy Renner erst vor kurzem in The Avengers »Hawkeye« spielte und Edward Norton nur wenige Jahre zuvor in The Incredible Hulk den Avengers-Kollegen Bruce Banner (nicht aber den Hulk, der damals noch komplett aus der Retorte kam) spielte. Auch führt sich Renner bei seinem Schneekampf gegen ein Wolfsrudel auf wie Wolverine und die Showdowns des Films passieren jeweils zwischen Übermenschen oder einem Übermensch und einer technologisch überlegenen Regierungs- / Geheimdienstabteilung. Dass heutzutage in Actionreißern die Hauptrollen mit »ganz normalen Menschen« besetzt werden, wird immer seltener. Verglichen mit dem im Tunnel vom Hochgeschwindigkeitszug zum Hubschrauber hüpfenden Ethan Hunt war der James Bond der 1960er Jahre zwar ein harter Hund, aber noch halbwegs menschlich. Da Jason Bourne nicht nur aufgrund der Initialen ganz bewusst eine Bond-Variation ist (im aktuellen Film spielt Bourne ja keine große Rolle, aber sein Nachfolger heißt dafür immerhin mit zweitem Vornamen »James«), dürfte kein Geheimnis sein. Ob in der »Literatur«, im Fernsehen oder auf der Leinwand: viele neue (oder inzwischen auch nicht mehr so neue) Helden würden gern das Bond-Vermächtnis antreten, und da passt Jeremy Renner als Aaron Cross auch ganz gut in die Reihe, aber neben der (zum Teil etwas ärgerlichen) Superhelden-Verschiebung ist auffällig, dass Tony Gilroy zwar gerne wie John Le Carré Machtspiele zwischen Abteilungen und Nationen inszeniert, er seiner Hauptfigur aber eigentlich nur einen Auftrag gibt: Cross ist durchweg immer auf der Suche nach bestimmten Drogen, die er zur Erhaltung seines physischen und intellektuellen »Vorteils« benötigt. Ob man das jetzt mit den unübersehbaren Alkoholproblemen des aktuellen Bond-Darstellers Daniel Craig in Bezug setzen will (der meistens auch immer von seinen eigenen Leuten gejagt wird), muss jeder selbst entscheiden. Während in den Craig-Bondfilmen der ehemalige Chauvinismus etwas abgebaut wurde, wirkt auch Aaron Cross eher wie ein unverbesserlicher Romantiker, und gerade die Schlussszene von The Bourne Legacy wirkt erneut wie ein Bond-Vermächtnis, die abgeänderte Form einer »Schlussnummer«, wie sie gerade in den 1970ern und 80ern sehr häufig Bondfilme beendete: Bond und eine Gespielin haben überlebt, seine Vorgesetzten erkundigen sich nach ihm, er hat aber »Besseres zu tun«. Mittlerweile gehen auch Frauen zu Bond-Filmen, das Verhältnis zum lockeren Sex hat sich verändert, und deshalb läuft es jetzt so: Man hat überlebt und befindet sich zusammen mit einer Minimalbesetzung auf einer kleinen Dschunke, Schaluppe oder was weiß ich, wie man das Schiffchen nennt. Rachel Weisz als Dr. Marta Shearing (die weibliche Hauptfigur ist nicht mehr nur Sexobjekt, sondern Wissenschaftlerin und für die Handlung mitverantwortlich) fragt den mit einer Seekarte hantierenden Bond - äh, Cross! - »Are we lost?« Die Antwort des Superhelden lautet »No, I was just looking at our options«, was von einer feinen Ironie durchdrungen ist, denn eine ähnliche Situation könnte man sich auch im Zeitalter der Navigationsgeräte noch bei einem per Automobil verreisenden Paar vorstellen (wobei der Mann natürlich nie zugeben würde, sich verfahren zu haben). Und die aktiv die Situation vorantreibende Doktorin legt noch einen drauf: »Oh, I was kinda hoping we were lost ...« - und schon hat man eine Bond-Schlusszene, in der es nicht mehr nur darum geht, ein Fotomodell zu pimpern, sondern um eine beinahe gleichberechtigte Beziehung, die sich auf romantische Weise entspinnt. Für diese Szene liebe ich den Film, aber leider muss man sich vorher unter anderem durch eine quasi ewige Verfolgungsjagd zwischen zwei Supermenschen kämpfen, auf die auch gerne verzichtet hätte. Mehr Menschen und weniger »super«, dann macht das Kino mehr Spaß!