Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




19. September 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Liebe (Michael Haneke)
Bildmaterial © Shamrock Photo / X Verleih
Liebe (Michael Haneke)
Liebe (Michael Haneke)


Liebe
(Michael Haneke)

Frankreich / Deutschland / Österreich 2012, Originaltitel: Amour, Buch: Michael Haneke, Kamera: Darius Khonji, Schnitt: Nadine Muse, Monika Willi, Kostüme: Catherine Leterrier, Set Decoration: Susanne Haneke, mit Jean-Louis Trintignant (Georges), Emmanuelle Riva (Anna), Isabelle Huppert (Eva), Alexandre Tharaud (Alexandre), William Shimell (Geoff), Rita Blanco (Concierge), Ramón Agirre (Concierge's Husband), Carole Franck (Nurse #1), Dinara Drukarova (Nurse #2), 125 Min., Kinostart: 20. September 2012

Seit ich im Kommunalkino Hannover Benny's Video gesehen habe, bin ich ein Haneke-Fan. Bis auf die 71 Fragmente einer Chronologie der Zeit (lief nie in einem Kino meiner Reichweite, wurde dann auf Video nachgeholt) und den einen Arte-Mitschnitt einer Theateraufführung habe ich alle seine nachfolgenden Filme im Kino gesehen, zumeist nah am Kinostart. Die Klavierspielerin wurde sogar meine Geburtstagsauswahl, die ich mit den besten Freunden zusammen sah – und nicht alle waren begeistert. Nicht alle Haneke-Filme sind großartig, aber alle sind interessant und sehenswert. Doch Amour hat Längen, die ich bei Haneke so noch nicht erlebt habe. Die für den Regisseur so charakteristischen Schockmomente sind auf ein Minimum heruntergefahren, und ungeachtet der schauspielerischen Meisterleistungen und einiger großartiger Szenen sowie inszenatorischen Stolperfallen hatte ich dann doch das Gefühl, dass Haneke diesmal kein Neuland betritt, sondern eher einen Querschnitt durch drei Filme des international weniger bekannten Andreas Dresen liefert. Dieser behandelte in Sommer vorm Balkon nebenbei auch Probleme der Altenpflege, machte in Wolke 9 Liebe und Sex im Greisenalter zum Thema und schilderte schließlich in Halt auf freier Strecke eine tödliche Krankheit und die schleichende Entfremdung des Kranken von seinem familiären Umfeld. In Amour liefert Haneke sozusagen ein Best-of dieser drei Filme, erzählt dabei seine ganz eigene Geschichte und kann in manchen Momenten Dresen durchaus überflügeln, aber der Impetus des jüngeren, weitaus weniger radikal auftretenden Regisseurs verpufft in dieser Neubearbeitung ein wenig. Oder zumindest sind meine Ansprüche an Haneke höher als das, was er hier liefert, und was durch den Hauptpreis in Cannes bereits »kulturell durchgewunken« wurde.

Natürlich hat Haneke nach wie vor eine inszenatorische Schärfe, die auch in seinen teilweise entgleisten Filmen immer eine Brillanz garantiert, für die man ihn trotz seiner obligatorischen Provokationen und eines ansatzweisen Größenwahn vergöttert. Wenn der Film mit einigen sehr langen Einstellungen beginnt, und man sogleich an die Fragmente oder Code Inconnu erinnert wird, ist man auch ohne Darius Khondijs meisterhaften Steadicam-Einsatz erstmal komplett gebannt – nur um dann festzustellen, dass die Montage auf lange Sicht doch eher der herkömmlichen Herangehensweise entspricht.

Sicher bietet auch dieser Film (und sein provokanter Titel) den Feuilletons und Talkshows jede Menge Futter, und auch rein filmisch gibt es vieles darin, worüber man sich länger unterhalten kann als die eigentliche Filmlänge. Allein interpretatorisch lässt der Film ganz gewollt Freiräume, meine Lieblingsszene zeigt das ältere Paar, sie bereits aufgrund ihrer rechtsseitigen Lähmung kaum mehr in der Lage zu sprechen, bei einer intimen Unterhaltung, die ich als Erinnerung an den ersten, damals nervösen Sex interpretiert habe – und ich denke, es ist aufgrund der fragmentarischen Situation durchaus möglich, dass andere Zuschauer die Szene komplett anders auslegen.

Aber es gibt auch Momente, in denen mich Haneke komplett verliert, beispielsweise in den Szenen mit einer Taube, die man wahrscheinlich hochsymbolisch auslegen soll, während sie mir nur überflüssig erscheinen. Dass der eine große Schockmoment mich aufgrund einer falschen Einschätzung der ersten Einstellung noch mehr als den durchschnittlichen Zuschauer hätte schocken sollen, und dass Haneke diese Szene wie ein inszenatorisches Skalpell ausgerechnet innerhalb einer dramaturgischen Aufwärtsbewegung ansetzt, verzückt mich auf eine Art, lässt mich aber auf eine andere Art sehr kalt. Und das ist auch das Probleme des Films (oder meines als Betrachter): Man weiß, wie kaltschnäuzig und hinterfotzig Haneke oft mit seinen Figuren umspringt, und wenn er hier tatsächlich so etwas wie Liebe und Intimität umschreibt, dann fällt es dem geschulten (und abgebrühten) Haneke-Dauerschauer sehr schwer, sich dieser Botschaft zu öffnen. Man bewahrt Sicherheitsabstand, betrachtet eher klinisch bis zynisch, und um sich in einen Film, der Liebe heißt, zu verlieben, ist das wahrscheinlich nicht genug. Andererseits fällt es mir auch schwer, einem möglichen Haneke-Neuling (bei der Pressevorführung betraten auch einige Kids das Kino, die sich wohl verirrt hatten – Kinostart The Dark Knight Rises –, und ich schickte sie vorsichtshalber weg) zu empfehlen, sich vorbehaltlos fallen zu lassen in diesen Film. Ich würde mehr Ohrfeigen als Danksagungen bekommen.