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Bildmaterial: Senator Film
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Saiten des Lebens
(Yaron Zilberman)
Originaltitel: A Late Quartet, USA 2012, Buch: Seth Grossman, Yaron Zilberman, Kamera: Frederick Elmes, Schnitt: Yuval Shar, Musik: Angelo Badalamenti, mit Philip Seymour Hoffman (Robert Gelbart), Christopher Walker (Peter Mitchell), Catherine Keener (Juliette Gelbart), Mark Ivanir (Daniel Lerner), Imogen Poots (Alexandra Gelbart), Wallace Shawn (Gideon Rosen), Liraz Charhi (Pilar), Madhur Jaffrey (Dr. Nadir), Kevin Cannon (Actor), Nina Lee (Nina Lee), Anne Sofie von Otter (Miriam), 105 Min., Kinostart: 2. Mai 2013
Zum Streichquartett No. 14, Opus 131 in cis-moll, einem Favoriten, hat Komponist Ludwig van Beethoven vermerkt, dass es attaca gespielt werden soll, also ohne Pausen zwischen den sieben Sätzen. Die musikalische Herausforderung hierbei liegt nicht nur in der körperlichen Beanspruchung der Musiker, die Instrumente selbst verstimmen sich bei einer Aufführung quasi zwangsläufig, auf unterschiedliche und nicht immer vorhersehbare Weise. In der Presseeinladung zu diesem Film wurde dieses Detail sehr betont: Ein Stück, das non-stop gespielt werden muss – unabhängig davon, wie das Leben selbst hierbei interveniert.
Eine faszinierende Prämisse, die mit Ausnahmeschauspielern wie Christopher Walken, Philip Seymour Hoffman und Catherine Keener nicht nur eine musikalische, sondern auch eine cineastische tour-de-force werden könnte. Einheit von Zeit und Raum, eine Erzählung, die sich ohne Worte, sondern über Blicke und Details erzählen muss, eine musikalische Darbietung, die so suspense-geladen sein könnte wie der Attentatsversuch in Hitchcocks The Man who knew too much. Wobei hier das Kinopublikum abermals mehr weiß als das Publikum des Konzerts, jenes auf der Leinwand.
Selbst, wenn so ein Filmprojekt (wie ich es mir vorstellte) gewaltig scheitert, sollte es auf jeden Fall hochinteressant sein. Allein die Chuzpe, die nicht automatisch klassik-affinen Kinozuschauer mit einer Dauer-Musik-Darbietung zu konfrontieren, würde ich als Kritiker und Freund des experimentierfreudigen Kinos applaudieren.
Das Problem an der Sache: Beethovens Streichquartett hat nur eine Dauer von ca. 40 Minuten (man mag dem Autor verzeihen, dass er im ersten Absatz so tat, als hätte er einen Schimmer von klassischer Musik), und um es vorwegzunehmen: Der Film zeigt das Quartett keinesfalls »non-stop«, die Aufführung wird durch eine Flashback-Konstruktion immer wieder unterbrochen, es geht in A Late Quartet nicht vorrangig um das Konzert an sich, sondern um die auf das Leben der Musiker übertragenen Probleme, denn das berühmte New Yorker Fugue String Quartet (die fiktive Zusammenstellung der Filmfiguren) spielt seit 25 Jahren zusammen, und es geht eher darum, wie sich während dieses Zeitraums die Musiker – analog zu den Instrumenten – »verstimmen«. Immerhin nach wie vor ein interessantes Problem.
Peter (Christopher Walken), der älteste im Quartett, bekommt als Knackpunkt die ärztliche Prognose, sich im Anfangsstadium der Parkinson'schen Krankheit zu befinden, weshalb er seine Karriere beenden möchte, bevor seine musikalischen Fähigkeiten leiden und das Ansehen, das er über ein Vierteljahrhundert in der Musikszene genoss, ramponiert wird. Robert und Juliette (Philip Seymour Hoffman und Catherine Keener, die sich schon in Capote aufs Vorzüglichste ergänzten) sind ein Ehepaar, das sich schon länger auseinandergelebt hat – schon für sich genommen ein interessantes Thema: Die Probleme, die daraus entstehen können, wenn emotionale und berufliche Bindung sich beeinflussen. Der vierte im Quartett ist Daniel (Mark Ivanir), ein Perfektionist, was vor allem Robert und Juliettes Tochter Alexandra (Imogen Poots) immer wieder erfahren muss, denn er unterrichtet sie.
Imogen Poots ist eine nicht nur wunderschöne, sondern auch talentierte Nachwuchsschauspielerin, die man aus Fright Night oder den Berlinale-Beiträgen Comes a Bright Day und The Look of Love kennen könnte. Leider erinnert ihre Rolle in A Late Quartet sehr an ihre frühere Rolle in Solitary Man, wo eine Affäre mit Hauptdarsteller Michael Douglas dessen Leben gänzlich aus dem Ruder laufen lässt. Und so war es auch nicht wirklich überraschend, dass es zwischen der jungen Musikerin und dem strengen Lehrer, der sie immer zu piesacken scheint, ebenfalls zu einer Affäre kommt, was natürlich dem vor der Explosion stehenden Quartett zusätzlichen Zündstoff verleiht. Nur schade, dass diese Klischee-Entwicklung die eher subtilen Handlungsfäden übertönt wie ein Alphorn eine Triangel.
Doch auch wenn es dadurch etwa zum unvermeidbaren Handgemenge zwischen dem Vater und dem Liebhaber der Tochter kommt (glücklicherweise nicht vor einem Konzertpublikum), ist A Late Quartet zwar nicht so gut wie meine anfänglichen Wunschträume bezüglich des Kurzinhalts, aber immer noch überdurchschnittlich. Nicht nur ist die Auflösung des Films gelungener als erwartet, es gibt auch einige feine kleine Momente, die im Gedächtnis bleiben. Etwa der ursprüngliche Rat Philip Seymour Hoffmans an den zu perfekten (und somit fast roboterähnlichen) »Mr. Perfection«: »Unleash your passion!« Den dieser offensichtlich beherzigt, wenn auch nicht im musikalischen Sinn. Und da ich immer gern darauf achte, was Filmfiguren so für Bücher lesen, fand ich auch Alexandras Lektüre The Sound and the Fury passend ausgewählt, auch wenn der Filmbezug sich hier auf den Titel beschränkt (obwohl es ja auch im Faulkner-Roman eine Affäre gibt).
Festzustellen bleibt: Diese Art von Filmen, mit einer feinen kleinen Geschichte, einem überschaubaren Budget, guten Schauspielern und unübersehbaren inszenatorischen Ambitionen, ist seit längerem (zumindest in den USA, und aufs Kino bezogen) vorm Aussterben bedroht. Man setzt lieber auf Sequels, Remakes, globale Bedrohung, 3D und CGI. Und auch, wenn ich kein Klassik-Fan bin: Wer nicht ab und zu auch mal ein Streichquartett anhört, soll sich nicht beschweren, wenn es irgendwann nur noch Techno gibt …