|
Bildmaterial © Pandastorm Pictures
|
Albert Nobbs
(Rodrigo Garcia)
UK / Irland / Frankreich / USA 2011, Buch: Gabriella Prekop, John Banville, Glenn Close, Story: Istvan Szabo, Lit. Vorlage: George Moore, Kamera: Michael McDonough, Schnitt: Steven Weisberg, Musik: Brian Byrne, mit Glenn Close (Albert Nobbs), Mia Wasikowska (Helen), Janet McTeer (Hubert Page), Aaron Taylor (Joe), Pauline Collins (Margaret »Madge« Baker), Brendan Gleeson (Dr. Holloran), Brenda Fricker (Polly), Maria Doyle Kennedy (Mary), Mark Williams (Sean Casey), Antonia Campbell Hughes (Emmy), Jonathan Rhys Meyers (Viscount Yarrell), Kenneth Collard (Monsieur Pigot), Phyllida Law (Mrs. Cavendish), Annie Starke (Chocolate Shop Waitress), 113 Min., Kinostart: 26. September 2013, DVD-Start: 17. Oktober 2013
Ich veranstalte öfter größeres Aufhebens, wenn ein Film frauenfeindlicher, sexistischer oder homophober Ausprägung ist. Das ist im Fall von Albert Nobbs zwar keinesfalls so, aber die Geschichte des Films hat einige Aspekte, die Teile des Publikums durchaus erzürnten, während ich damit geringe Probleme hatte und stattdessen andere Aspekte eher positiv bewertete. Ich befürchte, dass liegt an meiner Persönlichkeit und an der Art und Weise, wie ich meine nicht praktizierte Heterosexualität lebe. Offensichtlich konnte ich mich mit der verkniffenen und eher unrealistischen Lebensart der Titelfigur eher identifizieren als andere. Liebe unterdrückte Minderheiten, jetzt ist es an der Zeit, auch mal für die übergewichtigen Träumer Toleranz zu zeigen!
Albert Nobbs (Glenn Close) lebt im Dublin des späten 19. Jahrhunderts und arbeitet als butlerähnlicher Kellner in »Morrison's Hotel«, einer guten Adresse mit begüterter Klientel. Wie unzählige Schiffsjungen der Weltliteratur oder Barbra Streisand als Yentl hat »Albert« das Problem, nur durch Maskerade und Verleugnung ihres Geschlechts den ihr sehr gelegenen Job halten zu können. Natürlich genügt sich der Film nicht darin, dieses Jahrzehnte übergreifende Leben im Wandschrank zu schildern, Albert kommt in konkrete Nöte, als die resolute und ziemlich geizige Chefin einen kurzfristig beschäftigten Maler einfach mal das Zimmer und Bett mit Albert teilen lässt. Den zuvor so gefestigten Albert in den panischen Stunden vor diesem Dilemma zu beobachten, zeugt bereits vom subtilen, aber emotional mitreißenden Schauspiel der Glenn Close, die zwar schon oft ihr Talent zeigen konnte, aber dabei nicht immer die Sympathieträgerin war. Dass das Testpublikum von Fatal Attraction sie am liebsten tot gesehen hätte (»kill that bitch!«), zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Filmographie (Dangerous Liasons, Hamlet, 101 Dalmatians).
Die 1927 erschienene Novelle des Iren George Moore (in der Sammlung Celibate Lives) wurde 1977 in Frankreich zu einem Theaterstück umgearbeitet, das Frau Close, die später für längere Zeit die Titelrolle verkörperte, wohl so begeisterte, dass sie bei der Filmfassung nicht nur als Koproduzentin agiert, sondern auch am Drehbuch mitarbeitete.
Der Verlauf der Geschichte bleibt der Vorlage treu, was natürlich auch bedeutet, dass der Ausgang dem typischen Schema entspricht, das noch bis in die 1960er (und teilweise weit darüber hinaus) ein Happy End geradezu unmöglich machte. Was aus heutiger Sicht abtörnend wirken kann.
Darüber hinaus ist »Albert« aber auch keine Figur, die man als Vorbild im Geschlechterkampf bezeichnen würde. Denn Albert hat recht bescheidene Ambitionen. Vor der verhängnisvollen oder befreienden Nacht mit allem, was daraus passierte, war Albert beliebt bei den Gästen und Kollegen, und in seiner Rolle als Kellner offensichtlich zufrieden. Offensichtlich empfand Albert auch Stolz dafür, wie vorbildlich diese »Rolle« (im Sinne des Berufs) ausgeführt wurde. »Such a kind little man.« Albert ist immer pünktlich und tritt tadellos auf, die Trinkgelder werden mit penibler Buchführung heimlich unter dem Fußboden gehortet (hier droht eine weitere Tragödie).
Nachdem Mr. Page dann über Alberts Geheimnis erfahren hat, ist natürlich die größte Gefahr, dass weitere Personen davon erfahren, was das komplette Leben Alberts zerstören würde. Doch wie soll man sich der Geheimhaltung sicher sein, ohne die eigene, bereits empfindliche Situation, nicht noch deutlicher zu sabotieren. Hier offenbart sich jedoch eine Lösung (das Publikum zeigt sich dankbar), die nach anderthalb Tagen von Panik und einem uncharakteristischen Auftreten Alberts, das jedermann auffällt (wenn sich auch niemand darüber den Kopf zerbricht), wieder die alte Ruhe für den Kellner bringt.
Doch nun beginnt Albert zu träumen. Der langgehegte Traum von einem eigenen Laden scheint plötzlich zur Möglichkeit zu reifen, und nun folgen Ambitionen, die darüber hinaus gehen. Albert interessiert sich für die deutlich jüngere Kollegin Helen (Mia »Jane Eyre« Wasikowska), die wie das komplette weibliche Personal auch Mr. Page gegenüber sehr aufmerksam wahr (»Noch ein Tässchen Tee?«), und wenn Mr. Page glücklich verheiratet ist, so könnte dies doch auch Albert gelingen. Dummerweise verfällt Helen gleichzeitig dem jungen Joe (Aaron »Kick-Ass« Taylor), der ihr zwar keine Pralinenschachteln bieten kann, aber mit seinen Avancen nicht zurückhält und beispielsweise weiß, was ein Kuss ist und was nur ein zögerliches Bussi.
Die Situation zwischen Albert, Helen und Joe erinnert nicht von ungefähr an die Prostituierte mit dem »goldenen Herzen«, den Zuhälter, der ihr etwas vormacht (zum Beispiel die gemeinsame Flucht aus dem Dienstbotendasein) und den vermeintlichen Freier, der sie »retten« will. Nur halt alles viel harmloser, denn während Helen bereits ein erfülltes Sexualleben mit Joe führt, macht ihr Albert altmodisch den Hof und versucht ihr Herz mit Aufmerksamkeiten zu gewinnen. Eine gewisse Gutherzigkeit Helens zeigt sich dadurch, dass sie weder Albert »ausnehmen« will noch ihm Emotionen vorspielen, die sie nicht empfindet. Doch da Albert sie nie bedrängt, ist letzteres nie notwendig. Und ersteres ist deshalb notwendig, weil Alberts Geschenke eine wichtige Rolle in den Fluchtplänen mit Joe spielt.
Man ahnt schon sehr schnell, dass das alles nicht gut enden kann, und es kommen nach und nach die zu erwartenden Komplikationen dazu. Boys don't cry von Kimberley Pierce (Hilary Swank bekam dafür den Oscar, der Glenn Close als Albert vorenthalten wurde) erzählte einst eine ähnlich angelegte Geschichte, die aber noch ein weitaus schlimmeres Ende fand. Ich hatte damals nach dem Kinobesuch das Gefühl, dass man sich schämen müsste, ein Mann zu sein – so, wie die Männer jede Täterrolle okkupierten und für die Frauen nur die Plätze als Opfer überblieben.
Bei Albert Nobbs hat man immerhin – trotz des unschönen Ausgangs – das Gefühl, dass es nicht um einen kompletten Geschlechterkampf geht, denn es gibt auch positiv auffallende Männer wie den von Brendan Gleeson gespielten Arzt – und auch mindestens ein niederträchtiges Frauenzimmer. Und – wichtig! – auch ein paar Mitglieder der herrschenden Klasse (u.a. Jonathan Rhys Myers), die genauso verlogen in Rollen schlüpfen, um ihre Sexualität ausleben zu können. Und die Bediensteten sind gut genug erzogen, im entscheidenden Moment in eine andere Richtung zu schauen.
Im Kontrast zu Boys don't Cry (oder auch Brokeback Mountain) hat Albert Nobbs aber durchaus positive Momente, die von Hoffnung sprechen oder sich erfüllenden Träumen. Und im täglichen Arbeitstrott und den Klassenunterschieden nimmt sich der Film auch Zeit für Humor. Auch ein größtenteils trauriger Film kann einen mit einem Lächeln aus dem Kino kommen lassen.
Apropos Kino: Albert Nobbs wird nur in einem »limited release«, vor allem in Großstädten, im Kino zu sehen sein, schon am 17. Oktober soll die DVD (mit einer geringfügig längeren Fassung) erscheinen. Ich kann nur empfehlen, den Film im Kino zu sehen. Die DVD kann man sich dann ja immer noch kaufen.