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30. November 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)
Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)
Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)
Bildmaterial © TOBIS Film
Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)
Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)
Jane Eyre (Cary Joji Fukunaga)


Jane Eyre
(Cary Joji Fukunaga)

UK 2011, Buch: Moira Buffini, Lit. Vorlage: Charlotte Brontë, Kamera: Adriano Goldman, Schnitt: Melanie Ann Oliver, Musik: Dario Marianelli, Ausstattung: Will Hughes-Jones, Kostüme: Michael O’Connor, mit Mia Wasikowska (Jane Eyre), Michael Fassbender (Edward Rochester), Judi Dench (Mrs. Fairfax), Sally Hawkins (Mrs. Reed), Jamie Bell (St. John Rivers), Imogen Poots (Blanche Ingram), Holliday Grainger (Diana Rivers), Tamzin Merchant (Mary Rivers), Freya Parks (Helen Burns), Amelia Clarkson (Jane als Kind), Simon McBurney (Mr. Brocklehurst), Craig Roberts (John Reed), 120 Min., Kinostart: 1. Dezember 2011

Als Kind japanischer Eltern in Kalifornien geboren, und mit dem unter südamerikanischen Einwanderern spielenden Gangsterfilm Sin Nombre bekannt geworden – Cary Joji Fukunaga ist nicht unbedingt der erste Name, der einem für eine Brontë-Verfilmung als Ideal-Regisseur einfällt. Doch als der Taiwanese Ang Lee Jane Austens Sense & Sensibility verfilmte, raunten die Zweifler auch zunächst lautstark.

Unnötig, denn Jane Eyre besticht durch eine clevere Drehbuchstruktur und vereint die Gothic-Novel-Wurzeln des Buchs mit dem frühen (und hier modernisierten) feministischen Geist auf, ohne es sich mit dem Zielpublikum all jener BBC- und Austen-Verfilmungen zu verscherzen. Und neben Michael Fassbender, dem düsteren Colin Firth einer neuen Generation, überzeugt auch Mia Wasikowska die als Alice in Wunderland noch eher blass und deplaziert wirkte.

Wo die Buchvorlage von Charlotte Brontë streng chronologisch vorgeht (und somit eine jüngere Schauspielerin für die ersten 20- 30 Minuten ins Rampenlicht stellen würde), beginnt Fukunaga (bzw. seine Drehbuchautorin Moira Buffini, zuletzt für Tamara Drewe – also um zwei Ecken eine Thomas-Hardy-Modernisierung – verantwortlich), mit einem späten Moment der Verwirrung und des möglichen Niedergangs seiner Heldin, reißt uns mit seiner Handkamera »in medias res« – und könnte die Zuschauer ohne Textsicherheit auch ein wenig verwirren, doch diese Verwirrung passt natürlich großartig zur Geschichte.

Erst in Rückblenden erfahren wir von den Ungerechtigkeiten gegenüber der mittellosen Waise, ihrem beschwerlichen Weg, ihre Hysterie aufgrund (eingebildeter?) Geistererscheinungen, all jene zentralen Elemente der Geschichte, die aus der späteren Romanze mit dem barschen Hausherren doch eher einen frühen Prototyp für Thomas Hardy machen als eine Jane-Austen-Variation. Und diesen etwas düstereren Geist behält die Geschichte (und der Film bei), bis dann das für historische Romanzen wie moderne RomComs quasi unumgängliche Missverständnis und das bei frühen Gothic Novels obligate »dunkle Geheimnis« des »kalten Gemäuers« fast im gleichen Augenblick offenbart werden. Und der Film ermöglicht es den ganz auf Romanze versessenen BetrachterInnen sogar, die Gruselgeschichte um Geheimtüren und Mordanschläge fast zu übersehen, nur die dunklere und klamme (auch im Sinne von »nasskalt«) Atmosphäre (verglichen zu den doch eher lichtdurchfluteten, frühlingshaften Austen-Filmen), die man auch in den Plakatmotiven wiederfindet, könnte dem Erfolg des Films vielleicht im Wege stehen, obwohl sie aus künstlerischer Hinsicht das Werk sehr schön komplementieren.

Einerseits kommt es einem ja oft so vor, als gäbe es dauernd Verfilmungen klassischer (ein Jahrhundert oder mehr zurückliegender) Literatur, aber auf einem so hohen Level wie bei Fukunagas Jane Eyre waren wir im letzten Jahrzehnt höchstens bei Pascale Ferrans Lady Chatterley und Michael Winterbottoms The Claim. So gut ist der Film! Und ich habe noch gar nicht angefangen, von Jamie Bell und seiner kleinen Ersatzfamilie (»Is Jane not our sister, too?«), die aufs filmisch minimalische reduzierte Freundschaft zu Helen Burns oder den selbst in Winzrollen brillierenden Darstellern Simon McBurney, Craig Roberts und Sally Hawkins (letztere erneut als Mutter und Sohn) zu schwärmen. Dass Jane Eyre nicht zum »Film des Monats« erklärt wurde, liegt einzig daran, dass der Dezember offenbar der mit Abstand beste Monat dieses so schwach begonnenen Filmjahres zu werden scheint. Aus meinen zwölf Lieblingsfilmen des Jahres (Jane Eyre ist dabei) starten drei im Dezember und zwei im November. Vielleicht geht es doch wieder bergauf für das Kino …