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6. August 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Planet der Affen: Revolution (Matt Reeves)


Planet der Affen –
Revolution
(Matt Reeves)

USA 2014, Originaltitel: Dawn of the Planet of the Apes, Buch: Rick Jaffa, Amanda Silver, Mark Bomback, Lit. Vorlage: Pierre Boulle, Kamera: Michael Seresin, Schnitt: William Hoy, Stan Salfas, Musik: Michael Giacchino, mit Andy Serkis (Caesar), Jason Clarke (Malcolm), Gary Oldman (Dreyfus), Keri Russell (Ellie), Toby Kebbell (Koba), Kodi Smit-McPhee (Alexander), Kirk Acevedo (Carver), Nick Thurston (Blue Eyes), Terry Notary (Rocket), Karin Konoval (Maurice), Judy Greer (Cornelia), Jon Eyez (Foster), Enrique Murciano (Kemp), Doc Shaw (Ash), Lee Ross (Grey), 120 Min., Kinostart: 7. August 2014

Ich erinnere mich dunkel, wie ich Martin Scorsese, einem meiner absoluten Lieblingsregisseure in den späten 1980ern, anhand von The Color of Money und Cape Fear den absoluten Sell-Out bescheinigte: ein Sequel und ein Remake, seinerzeit noch zwei unschöne Konzessionen an den Markt, heutzutage längst der Standard, über den kaum jemand mehr nachdenkt.

Matt Reeves (Cloverfield) hatte sein Remake bereits bei seinem zweiten Film, Let Me In, und nun folgt nicht nur ein Sequel, sondern ein Sequel zu einem Prequel, das somit selbst auch ein Prequel ist. Ich mag mich irren, aber Indiana Jones and the Temple of Doom war Mitte der Achtziger vielleicht der erste Film, bei dem der Begriff Prequel überhaupt verwendet wurde. Und damals war es nur eine Kleinigkeit, dass dieses Abenteuer von Indy früher spielte als der Film davor. Mittlerweile sind Prequels fast ein eigenes Genre geworden, und während ganze Prequel-Trilogien wie bei Star Wars meist nichts Gutes bedeuten, erkennt man oft auch viel Herz und Verstand bei so einer Vorgeschichte, die zwar meist aus rein kommerziellen Gründen initiiert wird, bei der die Filmemacher aber auch eine liebevolle Ehrfurcht vor dem Original zeigen können, wie zuletzt etwa bei The Thing oder Oz The Great and Powerful.

Planet der Affen: Revolution (Matt Reeves)

Bildmaterial © 2014 Twentieth Century Fox    
 

Der zweite moderne Film der Vorgeschichte des Planet of the Apes ist auch so eine Verbeugung. Dass Rupert Wyatt, der Regisseur des Vorgängers (Rise of the Planet of the Apes), sich verabschiedete, weil er sich vom Terminkorsett des Verleihs in seiner künstlerischen Integrität beschnitten sah, war kein gutes Zeichen, aber der zweite Film um Caesar (Andy Serkis – wieder oscarverdächtig) macht zumindest einiges richtig. Die James-Franco-Figur wird größtenteils vergessen, weil es eben nicht um die verbleibenden Menschen geht, sondern um die »Evolution« der neuen Machthaber auf der Erde, der Affen. Und man erkennt bereits jetzt sehr gut, wie sich bei den drei Filmen das Gleichgewicht verändert. Diesmal ist es fast in der Schwebe, und insbesondere bei der Handlung wirken Menschen und Affen fast gleichberechtigt. Man fühlt mit beiden mit, und dadurch wird der Film einer jener (Anti-)Kriegsfilme nach dem Vorbild einer klassischen Tragödie: man kann beider Standpunkt verstehen, erlebt, wie die falschen Figuren die Macht ergreifen und einfach aktiver / schneller / kräftiger / rücksichtsloser sind – und daraus entwickelt sich der komplett unnötige Konflikt, die zarten Bande des Vertrauens werden mit kraftvollen Schwertschlägen (oder auch mal Maschinengewehrsalven) durchtrennt.

Planet der Affen: Revolution (Matt Reeves)

Bildmaterial © 2014 Twentieth Century Fox    
 

Die komplexe Parallelität der beiden Konfliktparteien hat man zuvor selten so durchdacht miterlebt. Es beginnt mit einem beinahe tödlichen Missverständnis, einem Schuss, der die Saat des Misstrauens darstellt. Von da aus sieht man jeweils einen heldenhaften Optimisten (mit einer jungen Familie) und einen von Vorurteilen zerfressenen »Pragmatiker« (um es mal nett auszudrücken), wie sie auf die plötzliche Konfrontation reagieren. Der eine (Andy Serkis als Caesar bzw. Jason Clarke als Malcolm) möchte es mit vorsichtiger Zusammenarbeit versuchen, der andere (Toby Kebbell als Koba bzw. Gary Oldman als Dreyfus) bevorzugt lieber die komplette Ausrottung des Feindes. Und weil es in beiden Parteien mehr Feiglinge, Intriganten und Unruhestifter gibt als Fürsprecher für Toleranz, kann es eigentlich nur zum totalen Krieg kommen. Aber der Film hat dabei die traurige Pflicht, die Ähnlichkeit und das Potential beider Gruppen herauszustellen.

Planet der Affen: Revolution (Matt Reeves)

Bildmaterial © 2014 Twentieth Century Fox    
 

Rein philosophisch oder humanpolitisch betrachtet, könnte Dawn of the Planet of the Apes somit ein wirklich großartiger Film werden (und spannend, gut gespielt und voller Schauwerte ist er nebenbei). Die Gesetze des Filmmarktes erfordern es aber, dass der Konflikt eben nicht als eine nüchterne Antikriegsbotschaft umgesetzt wird, sondern als ein adrenalingesteuertes Spektakel voller Effekte und eindrucksvoll umgesetztem Blutvergießen. Und auch die Figurenkonstellation erinnert im Nachhinein zu sehr an die schablonenhaften Aufstellungen eines James Cameron. Die Militärs verdrängen die Siedler, die Politiker erweisen sich letztlich fast immer als korrupt, und die Schönheit der Natur, des einfachen Lebens (Zauber des Vertrauens / der Liebe, Wunder der Geburt, Unschuld der Kindheit) verkauft einfach einen Film nicht so gut wie eine ganze Menge Haudruff, Spezialeffekte und Explosionen. Das ist seit The Abyss das große Dilemma Camerons, und spätestens bei Avatar zeigte sich, dass der (gemessen an Einzelfilmen) erfolgreichste Regisseur der Filmgeschichte auch nichts mehr Neues zu erzählen hat, sondern nur noch seine klischierten Figurenkonstellationen variiert. Matt Reeves und seine Drehbuchautoren sind Cameron (der auch das Problem hat, dass ihm keiner Bescheid sagt, wo seine Filme nicht funktionieren) zwar einiges voraus, aber letztlich entspricht der Film eben doch jenen Gesetzen des Marktes und der Gesamteindruck leidet darunter.

Planet der Affen: Revolution (Matt Reeves)

Bildmaterial © 2014 Twentieth Century Fox    
 

An unzähligen Punkten sieht man aber die Intelligenz dieses Films, selbst noch an den Stellen, wo nicht alles rund ist. (Der Jagdausflug zu Beginn ist beispielsweise viel zu martialisch und vernachlässigt die Intelligenz der Affen. Wozu das Wild in Panik versetzen, wenn man es anders viel einfacher erlegen könnte?) Am spannendsten war für mich nicht das Spektakel am Schluss, sondern die eigentliche »Evolution« der Affen. Wie sie mit zunehmend abstrakten Konzepten umgehen (»home, family, future«), wie sie Nutzen und Schaden der Sprache für sich entdecken (»ape not kill ape«, »scars make you strong«). Ein Element des Films, das für mich gerne eine halbe Stunde des Films hätte einnehmen können, ist die zögerliche Freundschaft zwischen Alexander (Kodi Smit-McPhee, die Junge aus The Road) und dem alten Orang-Utan Maurice (Karin Konoval). Hier übergibt quasi die Jugend einer zum Untergang verdammten Spezies einem betagten Weisen (Maurice ist übrigens auch als Lehrer tätig) aus den Reihen der aufstrebenden »neuen Machthaber« eine »heilige Schrift«. Keine Bibel oder George Orwells Animal Farm, sondern eine schon etwas verschlissene und unter dem Dschungelwetter leidende Paperback-Ausgabe von Charles Burns' Black Hole. Ein Comic, der auch irgendwie von Zivilisationskrankheiten erzählt, öffnet dem Affen die Augen über die Menschlichkeit und die Jahrhunderte alte Literatur der Menschen (er kennt sie fast nur als die Typen, die ihn im Zoolabor folterten und mit ihren Donnerwaffen seine Artgenossen abschlachten). Interessant ist dabei, dass man vom eigentlichen Comic im Film so gut wie nichts sieht, obwohl man, wenn man nach dem Film nachliest (so viel Intertextualität muss erlaubt sein), schnell sieht, dass Alexander Maurice wohl die ersten dreißig Seiten vorgelesen haben muss. Und darin geht es nicht nur um visuell aufwendig umgesetzte abstrakte Konzepte, um junge Menschen, die bereits vor ihrer sexuellen Initiation im Biologieunterricht Frösche sezieren (für Maurice vermutlich bezeichnend), um ein verborgenes Leben im Wald und vieles mehr. Es geht auch um eine von unbekümmertem Überfluss geprägte Jugendkultur, die Alexander so schon nicht mehr erlebt hat. Und ausgerechnet anhand eines Teil des Jargons von Heranwachsenden wird hier die kulturelle Nahtstelle zwischen Mensch und Affe konstruiert. Alexander liest vor und Maurice versteht eine Floskel nicht. Es geht ums »hanging out«, die abendliche Freizeitgestaltung mit zwischenmenschlichem Beziehungsaufbau, sowie ab und zu einem Joint oder einer Bierdose. Und in dem Moment, wo Alexander mit einer kleinen Geste die metaphorische Herkunft des Begriffs verdeutlicht, versteht Maurice, der selbst in seiner Jugend schon an so manchem Baum gehangen hat, wie sehr sich Mensch und Affe ähneln. Und er lacht über einen Menschenwitz, der nie als solcher gedacht war. Für diesen winzigen kleinen Moment im Film würde ich auch noch ein Dutzend Prequels und Sequels über mich ergehen lassen.