Originaltitel: Oz the Great and Powerful, USA 2013, Buch: Mitchell Kapner, David Lindsay-Abaire, Lit. Vorlage: L. Frank Baum, Kamera: Peter Deming, Schnitt: Bob Murawski, Musik: Danny Elfman, Kostüme: Gary Jones, Production Design: Robert Stromberg, Supervising Art Directors: Todd Cherniawsky, Stefan Dechant, mit James Franco (Oscar »Oz« Diggs), Michelle Williams (Annie / Glinda), Mila Kunis (Theodora), Rachel Weisz (Evanora), Zach Braff (Frank / Stimme Finley), Joey King (China Girl), Tony Cox (Knuck), Abigail Leigh Spencer (May), Bruce Campbell (Winkie City Guard), Tim Holmes (The Strongman), Bill Cobbs (Master Tinker), Martin Klebba (Nikko), Francisca Viudes (Quadling Farah), Lil Jon Flip (Munchkin), Otis Winston (Winkie), Ted Raimi (Skeptic / Tinker), 127 Min., Kinostart: 7. März 2013
Die Anzahl von 3D-Filmen, die ich im Jahr ertragen kann, ist begrenzt (es liegt nicht am 3D per se, sondern an der Beschaffenheit vermeintlicher »Event-Filme«), vorab gesichtete zehn Minuten aus dem Film konnten mich nicht überzeugen, und nach dem unsäglichen Alice in Wonderland, den Tim Burton als Auftragsjob für Disney ablieferte, waren meine Erwartungen an diesen ähnlich lancierten Film trotz Sam Raimi eher gering. Und was mich an dem Film verzückte, kam dann überraschend aus einer ganz anderen Herstellungssparte …
An dieser Stelle ein kurzer Spoiler-Alarm: Wer noch keinen Schimmer vom Geheimnis der »Wicked Witch« hat, sollte nicht weiterlesen und mal schauen, ob der Film einen unvorbereiteten Zuschauer wirklich überraschen kann. Ich hatte da so eine gewisse Ahnung, die sich etwa zu 70% bestätigte.
Viele Sequels sind ja verkappte Remakes. Ob Rocky II, Psycho II oder Police Academy soundsoviel: oft wird mehr oder weniger die selbe Geschichte mit geringfügigen Variationen noch mal erzählt. Bei Prequels ist das auch nicht automatisch ganz anders, da gibt es nur die erschwerende Vorgabe, dass man auf einen vorgegebenen Status Quo hinarbeiten muss und dennoch irgendwie eine Spannungsdramaturgie herzaubern möchte.
Oz the Great and Powerful gibt zwar an, von den Werken von L. Frank Baum inspiriert zu sein (und da ich von den zahlreichen Oz-Büchern nur das bekannteste gut kenne, kann ich das auch nicht detailliert beurteilen), aber die Anleihen bei Victor Flemings Verfilmung von 1939 sind so offensichtlich und zahlreich, dass ich ungeachtet möglicher aus den Büchern entnommener Elemente mal die beiden Drehbücher (bzw. daraus entstandenen Filme) vergleichen möchte. So wie Dorothy (Judy Garland) 1939 zunächst in einer Schwarzweiß-Welt lebt, von der einige Elemente (insbesondere Schauspieler) wie bei einem Traum später auch in der »zauberhaften Welt« von Oz auftauchen, so verhält es sich auch 2013 bei Sam Raimi bzw. James Franco als Jahrmarktsillusionisten Oscar »Oz« Diggs. Sein hilfreicher Assistent Frank (Zach Braff) wird von ihm als »trained monkey« verschrien, in der Farbwelt von Oz ist Zach Braff dann die Stimme des geflügelten Affen Finley. Eine kleine Zuschauerin (Joey King) der vermeintlich »magischen« Bühnenshow erhofft sich von Oz ein wirkliches Wunder, »Make me walk« fordert die in einem Rollstuhl sitzende. Oscar, eindeutig überfordert, wiegelt ab »Not now, kid!«, und das bereits skeptische Publikum rebelliert, die Vorführung muss abgebrochen werden. Später trifft Oscar in Oz auf ein klitzekleines Porzellanmädchen (das »China Girl« lebt im größtenteils zerdepperten »China Town«), dessen zerbrochene Beine Oscar mit einem Zauberstoff namens »Leim« kitten kann. Muss ich noch erwähnen, dass hier die selbe Sprecherin auftaucht? Nicht nur anhand der Stimme, sondern komplett wiederzuerkennen ist hingegen Michelle Williams. Als Annie ist sie eine ländliche Schönheit, die Oscar womöglich eine Spur mehr bedeutet als seine zahlreichen Assistentinnen wie May (Abigail Leigh Spencer), die er jeweils mit einer Spieluhr, einem Erbstück seiner Großmutter aus Irkutsk, von seinen reinen Absichten überzeugt (einen Teil seines Vorrats dieser »Erbstücke« nutzt er später auch in Oz). Annie jedoch will sich von Oscar verabschieden (Oscar dazu: »I see you in my dreams!«), weil sie ein Heiratsangebot bekommen hat. Von einem einfachen Farmer, dessen Name, John Gale, den informierten Betrachter aufhorchen lässt. Denn im Buch (The Wonderful Wizard of Oz) heißt Dorothy mit Nachnamen Gale (ein englisches Wort für einen Wirbelsturm), der Film impliziert also, dass Annie die spätere Mutter von Dorothy sein könnte. Michelle Williams' zweite Rolle ist die der »guten Hexe« Glinda, die gegen Ende des Films die alte Freudsche Regel, dass alle Träume Wunscherfüllungen sind, untermauert. Wenn man sich erinnert, dass Glinda im alten Film diejenige war, die Dorothy die Rückkehr nach Kansas ermöglicht (wo sie bei Onkel und Tante lebt), so ist das eine recht elegante Kreisbewegung, noch eleganter deshalb, weil sie nur durch die zweimalige Nennung eines Nachnamen besteht.
Zurück zum Beginn des Films (2013). Wie Dorothy 1939 bekommt auch Oscar Probleme durch einen Wirbelsturm, was der Film neckischerweise dadurch wieder interessanter macht, dass Oscar viel größere Schwierigkeiten hat mit seinen Kollegen wie einem »Strongman«, dessen Anvertraute auch mal eine Spieluhr geschenkt bekam (den Rest kann man sich zusammenreimen). Den aufziehenden Sturm bemerkt Oscar dabei kaum und er nutzt einen Fesselballon (wie man ihn auch vom Ende des Films von 1939 kennt) als Fluchtmöglichkeit.
Die Special-Effects-Orgie im Hurricane, 1939 noch größtenteils durch einfallsreiche Rückprojektionen gemeistert, wird heutzutage natürlich zu einer Vorführung der technischen Mittel, »alles fliegt dir um die Ohren«, im Auge des Sturms wird praktisch die Schwerkraft ausgeschaltet wie beim anhaltenden Sturz von Alice im Hasenloch. Und weil Sam Raimi Sam Raimi ist, gibt es auch noch einige spitze Gegenstände, die durch den Weidenkorb des Ballons Oscars Kopf ziemlich nahe kommen. Abgesehen von den aktualisierten Schergen der »Wicked Witch«, den »fliegenden Affen«, die hier durchaus bedrohlich wirken und dem Film wahrscheinlich eine Freigabe ab 6 statt ab 0 Jahren bescheren, ein seltener Verweis auf Raimis Horror-Hintergrund.
Den Übergang von der Schwarzweißwelt in die farbige von Oz gestaltet Raimi anders als Fleming 1939, wahrscheinlich, weil die Szene erst vor kurzem in Spielbergs War of the Worlds überdeutlich nachgeahmt wurde. Es gibt einfach ein Hochfahren des Farbreglers, unterstützt durch eine Öffnen des Bildformats, wie es mittlerweile fast schon zum Standard geworden ist in Momenten, in denen man eine »andere Welt« betritt, etwa in Brother Bear, Enchanted, The Simpsons Movie oder Frankenweenie (insbesondere Disney-Produktionen scheinen sich auf dieses Stilmittel spezialisiert zu haben).
Im eigentlichen Oz variiert der Film des recht clever die drei »Hilferufe«, auf die damals Dorothy und jetzt Oscar reagiert. Diese Variation ist natürlich besonders augenfällig, wenn der erste Hilferuf von Oscar selbst stammt. Scarecrow, Tin Man und Cowardly Lion fehlen im Prequel offensichtlich, doch der Film gibt unterschiedlich offensichtliche Ansätze möglicher Entstehungsgeschichten dieser Figuren. Am schönsten beim Löwen, nur vage angedeutet beim Tin Man und den unterbeschäftigten Tüftlern. Nett sind auch die potentiellen Vorfahren des »horse of a different color«, die man mal im Hintergrund erhaschen kann ...
Etwas in den Vordergrund schieben sich hingegen die drei Hexen, die im Wizard of Oz alle unterschiedlich große Rollen spielen werden (man könnte in einem Fall auch meine Zählweise der »Hilferufe« leicht revidieren). Hierzu möchte ich an dieser Stelle nichts weiter sagen, nur soviel, dass die Sache mit der »Wicked Witch« aus naheliegenden Gründen (wenn man den Film gesehen hat, nicht schon im Vorfeld) vielleicht die größte Schwäche des Films darstellt. Allerdings sind auch hier einige Momente der nachträglich gefertigten Origin-Story wirklich gelungen, etwa die Sache mit dem Besen, den »Bombastik-Buff-Bomben« (passenderweise nimmt James Franco auch mal ein an Dagobert Duck erinnerndes Goldbad) oder dem späteren (1939) Schriftzug »Surrender Dorothy«. Ein klitzekleines Detail, das man schon aufgrund des Regisseurs nicht unerwähnt lassen sollte, ist hier natürlich die Verbindung zum »Green Goblin« aus den Spider-Man-Filmen, der evtl. schon in seiner Marvel-Comic-Instanz von der Wicked Witch inspiriert gewesen sein könnte.
Der größte Unterschied zwischen den Filmen ist natürlich, dass es hier statt der Songs (es gibt eine vage Andeutung von »We're off to see the wizard« und einen Munchkin-Song, der leider nicht einmal Ansatzweise den Charme der »Lollipop Guild« o. ä. hat) größtenteils Action-Sequenzen gibt. Es gibt ja die bekannte These, dass die Songs im Musical-Genre die selbe Funktion haben wie die Fickszenen in Pornos. Alles andere ist nur der Kitt, der es zusammenhält. Im Fall von Oz the Great and Powerful muss man immerhin konstatieren, dass die Actionszenen nicht das wichtigste sind. Aber die Art und Weise, wie sie betont werden, geben einem das Gefühl, dass man jenem Teil des Publikums, das vor allem deshalb in die Kinos strömt, hiermit verstärkt entgegenkommen wollte. Ich als Fan des alten Films kann darüber hinwegsehen (es ist längst nicht so schlimm wie bei Alice), und man darf auch nicht außer Acht lassen, dass der 1939er-Film auch voll von Action war. Nur halt auf einer anderen Ebene. Wo es damals eine grüne Rauchwolke gab und die »Wicked Witch« mit einer Kombination von Theatertrick und Montage im Erdboden verschwand, muss es heutzutage natürlich immer gleich eine fette 3D-CGI-Sequenz sein. Apropos: Es gibt leider einige Sequenzen in Oz, bei denen das Agieren vor der Green Screen zu einem großen Problem für den Betrachter wird. Einerseits versammelt Raimi hier einige großartige Old-School-Kulissen, die dem Originalfilm wunderschön nachempfunden sind, aber den damaligen Kitschfaktor herunterspielen, doch aus unerfindlichen Gründen ist die Veränderung der damalig auf Leinwände gemalten Horizonte zu den heutigen CGI-Landschaften nicht immer eine Verbesserung. Da fühlte ich mich manchmal auf traurige Art an die späten Filme von George Lucas erinnert, wobei die Prequel-Situation von Darth Vader hier auch eine Dopplung findet. Inklusive einiger bekannter Lichtschwert-Duelle.
Fazit: Wer den alten Film kennt und liebt, wird auch hier mehr Freude als Ärger empfinden. Wer nur neumodische Blockbuster kennt, könnte sich manchmal wundern, wenn es überflüssig wirkende »Laber-Szenen« gibt, die aber für die Old-School-Fans das Schönste am Film sind.
Ein allerletzter Gedanke mit vergleichsweise hohem Spoiler-Potential: Wer um die größte Schwäche der »Wicked Witch« weiß, wird einerseits eine der visuell schönsten Ideen des Films mögen. Ich persönlich erinnerte mich dann aber am Schluss an ihre erste Szene ... 'nuff said!