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4. März 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Chappie (Neill Blomkamp)


Chappie
(Neill Blomkamp)

Mexiko / USA 2015, Buch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell, Kamera: Trent Opaloch, Schnitt: Mark Goldblatt, Musik: Hans Zimmer, Songs: Die Antwoord, Production Design: Jules Cook, mit Sharlto Copley (Chappie), Dev Patel (Deon Wilson), ¥o-Landi Vi$$er (¥o-Landi), Ninja (Ninja), Hugh Jackman (Vincent Moore), Jose Pablo Cantillo (America), Sigourney Weaver (Michelle Bradley), Brandon Auret (Hippo), 120 Min., Kinostart: 5. März 2015

Ausgehend vom Trailer dachte ich, Chappie sei eine Mischung aus Wall-E und RoboCop. Ein putziger, sehr mit Emotionen vollgestopfter Roboter in der Rolle des elektronischen Polizisten (auch, wenn diese ihre Blechkameraden eher als laufende, schießende Schutzschilder benutzen), der dann beim Kampf um seine Humanität gegen die Korruption eines Rüstungskonzerns antreten muss. Insbesondere das Design des größeren, dümmeren, schlagkräftigeren Gesetzeshüters, des sogenannten Moose, drängt den RoboCop-Vergleich auf, und die kindgleiche Mentalität von Chappie stellte für mich im Vorfeld des Films das größte Problem dar: wird der doch eher hartgesottene Regisseur Neill Blomkamp, den man bisher ausschließlich von SciFi-Acitionern mit politischen Implikationen kennt (District 9, Elysium) mit einer Überdosis aus gefühlsduseligem Kitsch klarkommen?

Chappie (Neill Blomkamp)

Bildmaterial © Sony Pictures Releasing GmbH / Stephanie Blomkamp

Die Probleme des Films entsprachen dann zwar durchaus meinen Erwartungen (wobei der Soundtrack von Hans Zimmer in Sachen fett aufgetragener Emotionalität den Vogel abschießt), aber die Stärken des Films werden im Trailer eher nicht so thematisiert. Es geht zwar um eine künstliche Intelligenz in Form eines Polizeiroboters, der unter der Ägide seines Schöpfers Deon Wilson (Dev »Slumdog Millionaire« Patel) Lernprozesse durchläuft und dabei mit dem bösen Kollegen seines »Makers«, Vincent Moore (Hugh »Wolverine« Jackman), bzw. dessen Schöpfung, dem »Moose« in Feuergefechte gerät, aber ungeachtet des Medientrubels rund um die Berliner Premiere des Films ist Jackman hier wirklich nur eine Nebenfigur (bei seinen wichtigsten Szenen sieht man nur das halbe Gesicht), und Chappies eigentümliche »Familie« fällt im Trailer kaum auf oder ins Gewicht. Die besteht vor allem aus dem in Südafrika wohl recht bekannten Rap-Duo »Die Antwoord« (als Deutscher spricht man ja irgendwie auch fast Afrikaans), wobei Ninja und ¥o-Landi Vi$$er, die offensichtlich keine Schauspieler sind (an Jackman zweifelt man hier mitunter auch) quasi sich selbst spielen. Rollennamen und Darstellernamen sind identisch, nur sind die beiden im Film keine Musiker (nur auf dem Soundtrack), sondern brutale Kleinkriminelle, die eine Woche (nein, sieben Tage!) Zeit haben, 20 Millionen Rand aufzutreiben, wenn sie nicht von einem noch fieseren Gangster namens Hippo abgeknallt werden wollen. Und diese beiden treiben die Handlung schon ziemlich voran. Zu Beginn denkt man noch, sie seien die klischeetriefendsten Gangster, die man je gesehen hat, aber aus ihrer Naivität (»Die Polizei besteht aus Robotern? Dann brauchen wir die Fernbedienung, mit denen man sie ausschaltet!«) entwickelt sich im Verlauf des Films (mit teilweise sehr simplen und manipulativen Mitteln) tatsächlich so etwas wie eine halbwegs funktionierende Familie. Und das ist eindeutig das (etwas flatterhaft bis arhythmisch schlagende) Herz des Films.

Chappie (Neill Blomkamp)

Bildmaterial © Sony Pictures Releasing GmbH / Stephanie Blomkamp

Die eigentliche Prämisse des Films ist nämlich (den ganzen Hugh Jackman / RoboCop-Kram einfach mal vergessen!), dass sie eine Woche Zeit haben, durch den Überfall auf einen Geldtransporter ihre Lebenserwartung zu verlängern, während sie als halbfreiwilligen Komplizen einen Roboter »aufziehen«, dessen Batterie etwa zur selben Zeit ihren Geist aufgeben wird. Wie ein Kind oder sogar Baby tritt dieser von Sharlto Copley in Gollum/Andy-Serkis-Manier interpretierte Chappie zunächst auf. Er muss erst noch die englische Sprache erlernen, sich einen persönlichen Moralkodex aufbauen und Konzepte wie Lügen und Leben und Tod durchdringen. Im Gegensatz zu Data aus Star Trek bekommt Chappie dabei Gefühle einfach mal so im Lieferumfang beigefügt: Angst, Neugier, Loyalität, die fast schon in Richtung Liebe geht, oder sogar Rachegelüste werden bei dieser künstlichen Intelligenz nie in Frage gestellt. Wie auch die gesamte Entwicklung Chappies eine Spur zu schnell voranschreitet. Mal muss er sich erklären lassen, was ein schwarzes Schaf ist (wobei die Tierspezies und ihre Farbe quasi keinerlei Rolle spielen in der Erklärung), dann versteht er wieder diverse Worte ohne Probleme. Mit einer Viertelstunde mehr Lernfortschritt wäre Chappie ein viel besserer Film geworden, aber wichtiger ist halt (angenommene Publikumsvorlieben), dass rumgeballert und gekillt wird. In Sachen Lernfortschritt (und nicht nur dort) war beispielsweise James Camerons Terminator 2 – Judgment Day der bessere Film.

Chappie (Neill Blomkamp)

Bildmaterial © Sony Pictures Releasing GmbH / Stephanie Blomkamp

Das interessanteste Konzept des Films ist es, dass ein potentiell hochgefährliches Elektrowesen mit kindlicher Naivität von drei Kriminellen »erzogen« wird, wobei Chappies »Mommy« (¥o-Landi Vi$$er) sich reichlich schnell von der taffen Gangsterbraut zu ihren »natürlichen« mütterlichen Instinkten entwickelt, während »Daddy« (Ninja) vor allem damit beschäftigt ist, aus dem HiTech-Pinocchio einen echten Gangster zu machen, der Slang und Diktion übernimmt, dauernd mit der Hand an seiner nichtexistenten Nase vorbeiwischt, als würde sie vom Koksen kontinuierlich laufen, und auch schnell lernt, wie man Besitzgüter umverteilt.

Chappies Konfrontation mit der harten Realität in Johannisburg stellt die Neill-Blomkamp-Version von Wall-E da. Man fühlt mit, wenn der verängstigte Roboter von seinem »Daddy« einfach mal irgendwo ausgesetzt wird, und so etwas wie »seinen ersten Schultag« erlebt, wobei er dann lädiert und mit einem Arm weniger nach Hause stolpert und »Mommy« ihm quasi die (ebenfalls nichtexistenten) Tränen wegwischt, in den Arm nimmt und reichlich mit »Daddy« schimpft. Ein anderer Regisseur hätte vielleicht die Geschichte eines traumatisierten Scheidungskindes erzählt, aber im letzten Drittel des Films geht es vor allem darum, was passiert, wenn sämtliche Figuren (Chappie, sein Schöpfer, seine »Familie«, die bösen Gangster und der per fernbedientem »Moose« repräsentierte Jackman) hochbewaffnet und angesäuert an der selben Stelle auftauchen und sich gegenseitig über den Haufen schießen. Dabei wird Chappies »Patenonkel« America (Jose Pablo Cantillo, auf jeden Fall prägender für den Film als Hugh Jackman) auf sehr drastische Weise in einen Blutfleck von ca. 2 Quadratmetern Größe verwandelt und auch sonst geht es hart zur Sache – nur um im Verlauf der nächsten halben Stunde ein seltsames und an diversen Punkten alle Logik mit Füßen tretendes Happy-End zusammenzubasteln. In solchen Momenten mache ich manchmal den Fehler, darüber nachzudenken, was das für Menschen sein müssen, die die Filmemacher irgendwo im Publikum vermuten, die das dann »gut« finden ... »Boah, die Schießerei war voll cool, Alter!« ... »ich fand's auch toll, dass man dann am Schluss eine echte »Familie« hat, die dann im Sequel wieder auftauchen kann …«

An dieser Stelle bitte eine kindliche Version von Woody Allen vorstellen, die sich die flache Hand vor die Stirn haut …

Aber zurück zu Chappie: Vieles im Film ist wirklich interessant, zum Beispiel das Production Design des »Hide-Out«, bei dem Ninja und ¥o-Lindi mitgeholfen haben sollen (auch, wenn die vielen kindertauglichen Farben und das Alphabet als Graffito schon etwas seltsam fand), aber an anderen Stellen ist das Kindchen-Schema so dickaufgetragen, dass man kotzen möchte: Chappie trifft beispielsweise zum ersten Mal auf einen Hund und beginnt instinktiv, ihn zu streicheln … weder er noch der Hund zeigen eine Spur von Angst oder Misstrauen.

Chappie (Neill Blomkamp)

Bildmaterial © Sony Pictures Releasing GmbH / Stephanie Blomkamp

Ungeachtet der Gewaltverherrlichung (was soll so verdammt »cool« daran sein, wenn Patronenhülsen in Zeitlupe durch die Luft schleudern?) und einiger Story-Dusseligkeiten hatte ich in der ersten Hälfte des Films das Gefühl, den Streifen wirklich zu mögen (glücklicherweise wusste ich nicht, dass die schreckliche Musik mal wieder von Hans Zimmer war, sonst hätte sie mich noch schlimmer genervt), aber dieses Gefühl ließ leider immer stärker nach … Ich ärgere mich nicht, den Film gesehen zu haben, aber guten Herzens empfehlen kann ich ihn auch nicht. Und meine Hoffnung, dass Neill Blomkamp irgendwann vielleicht doch noch mal einen durchgehend gelungenen Film macht, ist inzwischen auch auf der Strecke geblieben. Weil er sich inzwischen schon viel zu sehr an einem von Meinungsforschern entworfenem Publikum orientiert, dessen Existenz ich lieber ignorieren oder verleugnen möchte. Wenn man Filme für dumme Menschen macht, werden auch die Filme fast zwangsläufig dumm. Ich wünsche mir mehr Regisseure, die ihr Publikum so behandeln, wie »Daddy« Chappie bei seinem »ersten Schultag«. Sie werden vielleicht etwas traumatisiert und wollen so schnell nicht wieder ins Kino, aber sie lernen etwas dabei. District 9 funktionierte noch ansatzweise in diese Richtung (obwohl da auch schon manches im Argen lag), aber der Zug ist inzwischen abgefahren.