Big Eyes
(Tim Burton)
USA 2014, Buch: Scott Alexander, Larry Karaszewski, Kamera: Bruno Delbonnel, Schnitt: JC Bond, Musik: Danny Elfman, Kostüme: Colleen Atwood, Produktion Design: Rick Heinrichs, mit Amy Adams (Margaret Keane), Christoph Waltz (Walter Keane), Danny Huston (Dick Nolan), Krysten Ritter (Dee-Ann), Jon Polito (Enrico Banducci), Jason Schwartzman (Ruben), Terence Stamp (John Canaday), Delaney Raye (Jane, als Kind), Madeleine Arthur (Jane, als Teenager), James Saito (Richter), Guido Furlani (Dino Olivetti), 106 Min., Kinostart: 23. April 2015
Im erst zweiten Biopic seiner illustren Karriere arbeitet Tim Burton erneut mit den auf dieses Genre spezialisierten Autoren Scott Alexander und Larry Karaszewski, die auch schon das Drehbuch zu Ed Wood lieferten. Oder zu The People vs. Larry Flynt oder Man on the Moon (jeweils von Regisseur Milos Forman). Auffällig bei dieser Personenauswahl: sie sind allesamt sehr umstritten, ob es um den Komiker Andy Kaufman oder der Hustler-Publisher Flynt geht. Und bei Burtons Auswahl ist fraglich, ob der »schlechteste Regisseur der Welt« oder die auf traurige große Kinderaugen fixierte Margaret Keane wirklich als »Künstler« gelten oder nur als Kuriositäten. Aber da verwundert es niemanden, dass ausgerechnet Burton, der Mann hinter Filmen wie Beetlejuice, Pee-Wee's Big Adventure oder Mars Attacks, sich für solche missverstandenen Schöpfer interessiert. Burton-Figuren wie Heckentier- und Frisuren-Künstler Edward Scissorhands, Schokoladenfabrik-Entrepreneur Willy Wonka, der unkonventionelle Pasteten-Hersteller Sweeney Todd oder Victor, das kleine Herrchen von Frankenweenie, passen ohne Probleme in die selbe Schublade, die auch immer wieder zu Zusammenarbeiten mit Johnny Depp führt (und man erkennt hier, dass Burton weitaus geeigneter als andere Regisseure ist, Depp in diesen spleenigen Auftritten wirklich erstrahlen zu lassen).
In Big Eyes spielt Johnny nicht mit, aber Christoph Waltz übernimmt hier die Rolle des amüsanten Possenreißers – allerdings mit dem deutlich erkennbaren Unterschied, dass sein Walter Keane kein Künstler ist, sondern mehr ein Verkaufsgenie, das aber keinen sehnlicheren Wunsch hat, als als Künstler gelten zu dürfen. Mit hautengen schwarzgestreiften Outfits oder einer kecken Baskenmütze wirkt er fast wie eine Parodie eines französischen Malers, und man hat schnell das Gefühl, dass sein Auftreten eher dem damaligen Hollywood-Abbild von Paris geschuldet ist als etwas mit einem wirklichen Europa-Aufenthalt zu tun zu haben. Jedenfalls sehen seine Pariser Straßenszenen fast genauso aus wie die von Gene Kelly in Vincente Minnellis An American in Paris (1951) und seine Garderobe scheint aus den existenzialistischen Beat-Schuppen in Stanley Donens Funny Face (1957) übernommen. In solchen Momenten erkennt man mal wieder, dass Tim Burton gleich neben Wes Anderson einer der Regisseure ist, bei denen der »Look« eines Films fast noch wichtiger ist als die Geschichte oder die Figuren.
Die mit einem Golden Globe ausgezeichnete Hauptrolle des Films spielt aber Amy Adams als tatsächliche Malerin Margaret Keane, deren großäugige Portraits von Straßenkindern sich durch Plakatvermarktung zum kitschigen Kassenschlager entwickelten. Was Burton und seinen Drehbuchautoren ausreichend Möglichkeiten gibt, auf Andy Warhol (obligatorisch: Tomatensuppe) oder Walter Benjamin (schon im Vorspann quasi visualisiert: »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«) anzuspielen.
Und das »Spiel« ist sehr wichtig für diesen Film, denn er wird seinen Reiz nur für die Zuschauer entfalten, die sich auf dieses Spiel einlassen. Denn das traurige Ehe-Drama, die Emanzipation einer Künstlerin und der völlig überdrehte Christoph Waltz, der schließlich bei einer Gerichtsverhandlung sich selbst vertritt und es irgendwie schafft, einen bis zur letzten Minute hervorragend zu unterhalten, obwohl man als aufmerksamer Zuschauer eigentlich von Beginn der Gerichtsszene an weiß, worauf alles hinauslaufen wird. Zwischen diesen sehr unterschiedlichen Elementen des Films gibt es unverkennbare Diskrepanzen, auf die man aber insofern auch nicht verzichten möchte, als sie weitaus interessanter sind als ein weiteres glattgebügeltes Biopic, bei dem jedes Kindheitstrauma später seinen Plot-Payoff bekommt und insbesondere Schriftsteller immer nur das niederschreiben, was ihnen nahezu 1:1 so passiert ist (Shakespeare in Love, Becoming Jane usw.). Im richtigen Leben lebt man eben nicht nur ein Genre, sondern Slapstick und Selbstmordgedanken müssen sich nicht ausschließen. Und so wird die größte Schwäche des Films in meinen Augen auch zu einer Stärke, denn es ist nicht so, dass Burton (nebst seinen Autoren) es nicht besser gekonnt hätte und er den grimassierenden Derwisch Waltz nicht unter Kontrolle bekam – ich denke eher, dass Burton sich der Probleme bewusst war und sich davon nicht hat ins Bockshorn jagen lassen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich in drei Jahren oder beim nächsten Burton-Film wieder das genaue Gegenteil behaupten werde, aber fest steht: Mir hat Big Eyes viel Vergnügen bereitet. Sowohl bei den anderthalb eher subtilen Passagen und dem Frauenschicksal unter der Knute des von Anbeginn suspekten Kerls, als auch bei den abgedrehten Ideen, dem lang vermissten Jon Polito in seiner hippen Kellertränke, der wie üblich überkandidelten Krysten Ritter, dem unterdrückt angesäuert spielenden Jason Schwartzman oder dem sich selbst mit wenigen Zeilen parodierenden Terence Stamp als hasserfülltem Kunstkritiker. Selbst mit solch einer Komikertruppe und einer eigentlich wahnwitzigen Geschichte kann Burton doch noch ein paar Emotionen katalysieren, die nicht einfach nur gängigem Hollywood-Prozedere entsprechen.