Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




22. April 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)


Avengers:
Age of Ultron
(Joss Whedon)

USA 2015, Buch: Joss Whedon, Figuren: Stan Lee, Jack Kirby, Kamera: Ben Davis, Schnitt: Jeffrey Ford, Lisa Lassek, Musik: Danny Elfman, Brian Tyler, Production Design: Charles Wood, Supervising Art Director: Ray Chan, mit Robert Downey Jr. (Tony Stark / Iron Man), Jeremy Renner (Clint Barton / Hawkeye), Chris Hemsworth (Thor), Chris Evans (Steve Rogers / Captain America), Mark Ruffalo (Bruce Banner / The Hulk), Scarlett Johansson (Natasha Romanoff / Black Widow), Aaron Taylor-Johnson (Pietro Maximoff / Quicksilver), Elizabeth Olsen (Wanda Maximoff / Scarlet Witch), Linda Cardellini (Laura Barton), Paul Bettany (Jarvis / The Vision), Don Cheadle (Colonel James Rhodes / War Machine), Claudia Kim (Dr. Helen Cho), Cobie Smulders (Maria Hill), Samuel L. Jackson (Nick Fury), Andy Serkis (Ulysses Klaw), Thomas Kretschmann (Baron Wolfgang von Strucker), Stellan Skarsgård (Erik Selvig), Hayley Atwell (Peggy Carter), Idris Elba (Heimdall), Anthony Mackie (Sam Wilson / Falcon), Julie Delpy (Madame B), Stan Lee (Kneipen-Angeber) und den Originalstimmen von James Spader (Ultron), Lou Ferrigno (Hulk), Josh Brolin (Thanos), 142 Min., Kinostart: 23. April 2015

Superhelden sind ja hier und da auch mal damit beschäftigt, Großmüttern über die Straße zu helfen oder Katzen aus Bäumen zu erretten. In der Frühzeit der Superhelden-Filme wurde die Lebensrettung von nahezu unbeteiligten Normalsterblichen oft darüber visualisiert, dass Züge oder Straßenbahnen drohten zu entgleisen. Und Supie oder Spidey durften das dann mit vollem Körpereinsatz verhindern. Da die heutigen Blockbuster-Spektakel sich vor allem dadurch auszeichnen, dass alles immer von Jahr zu Jahr, wenn nicht gar von Monat zu Monat noch spektakulärer werden muss, reicht das aber längst nicht mehr. Im Kampf Dutzender von Helden gegen Hundertschaften von Greuel-Schergen (gerne Roboter, Außerirdische und Dämonen, weil man die entspannt ohne moralische Bedenken eliminieren kann) werden ganze Großstädte in Schutt und Asche verwandelt, und als Zuschauer erlebt man nur noch am Rande und facettenhaft, wie exemplarisch einige Unschuldige (bevorzugt Kinder und junge Frauen, gerne auch Mütter) aus abstürzenden Autos, brennenden Häusern oder ähnlichem befreit werden. Gerade in Marvel-Filmen wird am Rande einer solchen Szene auch gern ein beispielhafter kleiner Comic-Fan von seinem persönlichen Idol »bedient«.

Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)

Bildmaterial © Marvel / Walt Disney Studios

Bei Joss Whedons erstem Avengers-Film waren der Staun-Faktor und die kernigen One-Liner noch so überwältigend, dass man über das nebenbei zerlegte New York nicht wirklich viel nachdachte. Aus irgendwelchen Gründen ist es diesmal aber schon reichlich störend, dass die kontinuierliche Zerstörungs-Orgie scheinbar überhaupt keine Konsequenzen mit sich bringt (außer, wenn sie dramaturgisch notwendig sind).

Im Verlauf des Films wird eine osteuropäische Stadt (im Fantasiestaat »Sokovia«) quasi komplett zersägt, man erweckt dabei aber den Eindruck, dass es abgesehen von ein paar Schusswunden bei den Avengers selbst keinerlei Verletzungen gibt. Die halbe Stadt gerät ins Schweben und fällt später herunter, und während man ganze Straßenblöcke von Hochhäusern zerbröckeln sieht wie in einem Emmerich-Film, sieht man keine Opfer. Einmal sieht man sogar den extremen Einfluss der Verformungsenergie auf eine abgestürzte Fahrstuhlkabine (not a pretty picture!) – aber die Passagiere steigen unbeschadet aus. Nur bei einer früheren Szene in Südafrika, wo der durchgedrehte Hulk nur mit Mühe von Iron Man »beruhigt« werden kann, sieht man mal eine Passantin mit staubverkrustetem Gesicht, durch das auch zwei blutige Rinnsale laufen. Das ist notwendig, weil der Hulk fortan sehr besorgt darüber sein soll, dass er Passanten verletzen könnte (ein Handlungsstrang, der später eher unbefriedigend in den Hintergrund rückt).

Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)

Bildmaterial © Marvel / Walt Disney Studios

Ich kann nicht für die Die-Hard-Marvel-Fans sprechen (die selbst im Vorfeld der Pressevorführung bereits über die Adaption des nächsten Crossover-Events, »Civil War«, mutmaßten), aber so langsam geht mir die konsequenzlose Aneinanderreihung teurer Filmvehikel wirklich auf die Nerven. Guardians of the Galaxy war ja wenigstens sehr amüsant, aber der zweite Avengers-Film fällt schon etwas ab hinter seinem Vorgänger. Die beiden verbalen Running Gags (»Language!« bzw. »You didn't see that coming!«) sind schnell einigermaßen ermüdend, und wo Whedon als Drehbuchautor bei den Avengers viele tolle Ideen hatte, wird diesmal vor allem die Pflicht absolviert, zur Kür kommt es kaum.

Konkret bedeutet das: es gibt zu Beginn des Film sechs Avengers. Iron Man mit drei eigenen Filmen hat ein wenig eine handlungsmäßige Vormachtstellung (auch, weil Robert Downey jr. aktuell als veritabler Filmstar gehandelt wird), und mit Ausnahme von Gwyneth Paltrow darf so ziemlich jede Figur aus den Iron-Man-Filmen mal drei Sätze abgeben. Paul Bettany, der jahrelang die Stimme von Iron Mans »Jarvis« (so was wie die Stimme des Autos bei Knight Rider) liefern durfte, bekommt diesmal zum Dank sogar etwas mehr zu tun. Bei Captain America und Thor (jeweils zwei eigene Filme) läuft es ganz ähnlich. Eine nette Überraschung ist hierbei, dass auch Natalie Portman (Thors Schmusi) frei bekommen hat, während Hayley Atwell als Peggy Carter trotz länger zurückliegendem Ableben der Figur einen Auftritt bekommt. Aber das hängt natürlich auch mit der Retro-Fernsehserie Agent Carter zusammen. (Gleichzeitig versucht man auch die S.H.I.E.L.D.-Storyline von den Filmen zu trennen, vermutlich weil Samuel L. Jackson einfach zu teuer ist für ein Fernseh-Budget und die Autoren sich so nicht unnötig absprechen müssen).

Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)

Bildmaterial © Marvel / Walt Disney Studios

Hawkeye und Black Widow haben bisher noch keinen eigenen Film bekommen, und während Scarlett Johansson als einzige Frau im Team immer etwas mehr Beachtung geschenkt wird, bekommt auch Hawkeye einen Handlungsstrang, der ihn fast zur heimlichen Hauptfigur des Films macht (das ist so ein Aufblitzen dessen, wofür man Joss Whedon mag – aber das fragile Gleichgewicht eines Teamfilms darf dafür zu keinem Zeitpunkt gefährdet werden).

Interessant wird es aber beim Hulk, der diesmal ein kleines Beinahe-Techtelmechtel mit Black Widow angedichtet bekommt ... und dafür »vergessen« die Filmemacher einfach, dass der Hulk, als Bruce Banner noch wie Edward Norton aussah (The Incredible Hulk), eigentlich das filmische Marvel-Universum begründet hat (zumindest was Gastauftritte, den Aufbau des Avengers-Teams und die mittlerweile etwas nervige Angewohnheit der Nachspann-Szenen angeht). Und Banners feste Freundin (in den Comics hat er sie sogar mal geheiratet) wird hier mit keinem Wort erwähnt. Die Art und Weise, wie man sich für ein paar schmachtende Blicke und Küsse einfach von der Vergangenheit der Figur lossagt, hat mich schon etwas gestört. Denn das war von langer Hand geplant.

Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)

Bildmaterial © Marvel / Walt Disney Studios

Scarlet Witch (Elizabeth Olson), die zusammen mit ihrem Bruder Quicksilver (Aaron Taylor-Johnson) und »Ultron« (hübsche Effekt-Figur, gesprochen von James Spader) die Avengers auseinander treiben will, benutzt dafür gefälschte Visionen, die sie den Figuren »einimpft«. Dadurch sehen wir mit Iron Mans Augen den möglichen Niedergang der Avengers, erleben Black Widows frühes Training zwischen Ballett und Martial Arts, geben Captain America seinen Moment mit Peggy und Thor ein Wiedersehen mit seiner mythologischen Backstory. Die handlungsmäßig potentiell interessanteste Vision (was hat Hulk zum Amoklauf bewegt) wird indes einfach elliptisch ausgespart, obwohl das sicher prickelnder (und für das nächste halbe Dutzend Marvel-Filme ausbaufähiger) ist als ein Auftritt von Julie Delpy als Ballettlehrerin »Madame B«. Und dann kloppt sich Hulk gefühlt zehn Minuten mit dem aufgemotzten Iron Man und bekommt mit der einen blutenden Passantin eine der traumatischsten Erfahrungen des Films (das versucht uns der Film zumindest weiszumachen). Aber warum er wild um sich schlägt, erfahren wir frühestens im Bonusmaterial der DVD (und ich glaube, nicht einmal dort).

Nach den nur teilweise gelungenen Hulk-Filmen von Ang Lee und Louis Letterrier war der Auftritt von Banner / Hulk in The Avengers eine tolle Überraschung. In nur wenig Leinwandzeit und mit dem dritten Darsteller in ebenso vielen Filmen gelang es dennoch, die Figur ansprechend darzustellen, ihr Kontur zu verschaffen und mit einsilbigen gegrummelt oder geschrienen Dialogbeiträgen des übergroßen grünen HB-Männchens zur Avengers-Kameraderie beizutragen. Im direkten Vergleich dazu ist seine (psychologisch ausgepolsterte) Beinahe-Liebesgeschichte mit Black Widow irgendwie ziemlich öde.

Avengers: Age of Ultron (Joss Whedon)

Bildmaterial © Marvel / Walt Disney Studios

Es gibt in Age of Ultron einige tolle Szenen, aber der Film überzeugt nicht als Ganzes. Auch die After-Credit-Sequenz (Thanos zieht sich seinen Handschuh an) macht eigentlich nicht neugierig, die Endlos-Reihe von Marvel-Filmen sollte lieber mal zu einem irgendwie überzeugenden (Zwischen-)Schlusspunkt kommen, nachdem man dann für die nächsten sechs bis zehn Filme eine neue Story anleiern kann. Aber irgendwie ist alles schon ziemlich ausgeleiert – und ohne eine gezielte Schulung kann man in diesen Film auch nicht einsteigen, weil das ganze Gedöns mit den fast zwanzig Nebenfiguren, die jeweils ihre obligatorischen drei Sätze bekommen, für Nichteingeweihte einfach keinen Sinn ergibt. Aber der Hype gedeiht hier wie Unkraut, das auch noch regelmäßig gedüngt wird.

Die Leute bei DC Comics / Warner Brothers scheinen ja dem erfolgreichen Prinzip nachzueifern, und irgendwie erinnert mich das an den Kampf zwischen USA und UdSSR um die Vormachtstellung im Weltraum in den 1960ern. Verschlingt einen Haufen Geld, sorgt aber, weil es so hübsch glitzert, für tolle Einschaltquoten. Und die durch den Erfolg gesicherte Kohle kann dann ins nächste Projekt gesteckt werden, während das Ganze wächst und wuchert. Nur auf das (im anderen Fall eingetretene) Happy-End, dass es irgendwann kaum einen mehr interessiert und der Geldhahn abgedreht wird (ambitionierte Filme mit mittlerem Budget sind in dieser Analogie sozusagen Bildungsstipendien oder Krebsforschung), darauf warte ich vergeblich...