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The Program
um jeden Preis
(Stephen Frears)
UK / Frankreich 2015, Originaltitel: The Program, Buch: John Hodge, Lit. Vorlage: David Walsh, Kamera: Danny Cohen, Schnitt: Valerio Bonelli, Musik: Alex Heffes, Kostüme: Jane Petrie, Production Design: Alan MacDonald, Cycling Consultant: David Millar, mit Ben Foster (Lance Armstrong), Chris O'Dowd (David Walsh), Guillaume Canet (Michele Ferrari), Jesse Plemons (Floyd Landis), Denis Ménochet (Johan Bruyneel), Lee Pace (Bill Stapleton), Edward Hogg (Frankie Andreu), Dustin Hoffman (Bob Hamman), Elaine Cassidy (Betsy Andreu), Laura Donnelly (Emma O'Reilly), 104 Min., Kinostart: 8. Oktober 2015
Vorweggeschickt: ich habe nur für manche Sportarten ein besonderes Interesse entwickelt. Radfahren gehört nicht dazu. Wenn andere Leute schnell nach Hause müssen, um die Tour de France zu verfolgen, schalte ich eher schnell um, wenn ich auf die Berichterstattung dazu stoße. Und als ich davon hörte, dass Stephen Frears einen Film über Lance Armstrong gedreht hat, hatte ich zwar das vage Gefühl, dass das ein Radfahrer ist, aber wenn es sich dann doch als ein Pornodarsteller erwiesen hätte, hätte ich mich damit auch abgefunden. Kurze Exkursion: Als ich von der Doku über Dirk Nowitzki erfuhr, dachte ich eine Zeitlang, dass sei dieser tätowierte Handballer, der mal mit Franzi van Almsick zusammen war. Obwohl ich den Dirk aus seinen Werbefilmen kenne und Handball die einzige Sportart ist, die ich tatsächlich mal ein paar Jahre lang regelmäßig und im Verein ausgeübt habe.
Aber zurück zum Film, der übrigens kein Sportfilm ist. Es gibt ein paar Radfahrsequenzen, darunter aufwendig rekonstruierte Tour-de-France-Abschnitte, aber es geht nicht um den Sport, sondern um die Pervertierung, wie sie in diversen Profisportarten um sich greift und immer wieder gerne geleugnet wird.
Man stützt sich hierbei auf ein Buch des Journalisten David Walsh und hat dessen investigativen Journalismus, der zur Aufdeckung des Armstrong-Dopingskandals beitrug, auch in das Drehbuch eingebaut, aber nach einer etwa 20-minütigen Intro in die Radfahrszene (und die darumwirbelnden Pressefritzen) durch Walsh (dargestellt von Chris O'Dowd), rückt diese Figur lange Zeit weit in den Hintergrund und man erlebt die Karriere Armstrongs aus dessen Sicht. Die Entwicklung des »Programms«, das Hinters-Licht-Führen der zumeist gutmeinenden Prüfungsgremien, die steigende Popularität des Sports (vor allem in den USA) – und dann natürlich das langsame Zusammenfallen dieses Kartenhauses.
Die Radfahrbilder sind hierbei zumeist typisch, aber oft ohne narrative Funktion. Oder, wenn sie etwas zur Geschichte beitragen, geht es dabei meistens nicht um internationale, sondern über die Befindlichkeit der Figuren. Ein Großteil der Karriere Armstrongs hängt, wenn der Film da nichts umdeutet, wohl mit seiner Hodenkrebserkrankung zusammen. Zuvor, wirklich am Anfang seiner Karriere, erklärt ihm sein späterer »Lieblingsdoktor« Michele Ferrari (Guillaume Canet aus The Beach oder Jeux d'enfants), dass sein Verhältnis von Kraft zu Gewicht komplett falsch ist. Und ausgerechnet durch den Krebs und die Chemotherapie verändert sich dies zu seinen radfahrerischen Gunsten. Armstrong-Darsteller Ben Foster, den man vor allem aus Schurkenrollen kennt (3:10 to Yuma, 30 Days of Night, aber auch The Messenger) hat etwa für diese körperliche Veränderung Unmenschliches geleistet oder – wahrscheinlicher – der CGI-Einsatz ist hier schon beeindruckend. »I look like that guy from Star Trek.« (vermutlich liege ich komplett falsch damit, dass das auf Clint Howard als Balok (The Corbomite Manoeuver) verweisen soll und er meint eher Shinzon oder Eric Bana).
An dieser Stelle gibt es auch meine Lieblingsradfahrszene: Während Armstrong noch mit den Folgen seiner Krebserkrankung kämpft und sich einen Berg hochquält, überholt ihn eine sich keineswegs verausgebende Radfahrerin, was seinen Ehrgeiz anschürt. Sie bemerkt dies und kommentiert es mit den Worten »Are we racing? You've got a lot of work to do, buddy!«
Der Vorwurf von Kritikerkollegen, die sich intensiver mit dem Leben Armstrongs befasst haben, ist, dass man im Film nur ansatzweise mitbekommt, was für ein durchgedrehter, geradezu psychiotischer Kontrollfreak Armstrong war. Aber für meine Verhältnisse kommt das schon ganz gut rüber. Die Figur ist sicher nicht sehr positiv gezeichnet, mit einigen Nebenfiguren, die er auf seinem Weg mit herunterreißt (etwa Floyd Landis) fiebert man deutlich stärker mit. Und wenn Armstrong sich Hilfsorganisationen verschreibt (»I'm gonna start a charity. I can make a difference!«) wird auch ohne Insiderwissen klar, dass ihm die Förderung der eigenen Popularität zum Erreichen von Werbeaufträgen definitiv wichtiger ist als irgendjemand anderes.
Der Film hat halt das Problem, dass seine Hauptfigur ziemlich unsympathisch ist. Und das trägt nicht unbedingt dazu bei, dass man sich als Zuschauer besonders einbringt. Und Regisseur Frears und Drehbuchautor John Hodge (kennt man vor allem von seiner Zusammenarbeit mit Danny Boyle, insbesondere zu Beginn dessen Karriere) finden da nicht wirklich die Mittel, dieses Problem zu beseitigen.
Es gibt ein paar hübsche Sequenzen (einmal fragt Armstrong eine Frau, ob sie Pizza, Austern, italienisches Essen und Fahrräder mag, sie sagt viermal ja, dann folgt ein Schnitt und sie treten gemeinsam aus der Kirche, in der sie offensichtlich gerade geheiratet haben), aber es muss eine ganze Menge an Handlung abgearbeitet werden (das wird vermutlich noch deutlicher, wenn man sich mit Armstrongs Leben und Karriere auskennt), dann kommt noch die Geschichte des Journalisten dazu und der Film entwickelt keine schlüssige Dramaturgie, keine emotionale Bindung zum Zuschauer. Und die erschreckenden Szenen, wenn Dopingspritzen nebenbei in Getränkedosen entsorgt werden oder für einen Test unter Zeitdruck »schlechtes Blut« mit bereitstehendem »guten« ausgetauscht werden muss, können nicht die Intensität entwickeln, die sie hätten, wenn man sich stärker für die Figuren interessieren würde. Deshalb schaue ich auch nur selten Hitlerbiographien oder ähnliches, weil die pure Schauspielleistung mich ebenso wenig interessiert wie die Versuche, menschliche Abgründe sichtbar zu machen.
Manche Stoffe sind halt besser für Filme geeignet als andere, aber da ein gewisses Grundinteresse an der Geschichte bestehen dürfte (auch, wenn der Film nichts aufdeckt, was nicht eh längst bekannt sein müsste), reicht es vermutlich, um die Ausgaben wieder einzuspielen. Stephen Frears kann halt auch nicht alle zwei Jahre einen Stoff wie für My Beautiful Laundrette oder Dangerous Liasons angeboten bekommen. Man merkt immerhin, dass er versucht, daraus etwas zu machen.
Und Ben Foster – selbst, wenn er hier keine Oscarperformance oder ähnliches abliefert – ist einfach ein Schauspieler, bei dem ich mich freue, wenn er mal eine Hauptrolle bekommt.