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4. Januar 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Joy (David O. Russell)


Joy: Alles außer gewöhnlich
(David O. Russell)

USA 2015, Originaltitel: Joy, Buch: David O. Russell, Story: David O. Russell, Annie Mumolo, Kamera: Linus Sandgren, Schnitt: Alan Baumgarten, Jay Cassidy, Tom Cross, Christopher Tellefsen, Musik: David Campbell, West Dylan Thordson, mit Jennifer Lawrence (Joy), Robert De Niro (Rudy), Virginia Madsen (Terry), Édgar Ramírez (Tony), Diane Ladd (Mimi), Isabella Rossellini (Trudy), Bradley Cooper (Neil Walker), Elisabeth Röhm (Peggy), Jimmy Jean-Louis (Touissant), 124 Min., Kinostart: 31. Dezember 2015

David O. Russell ist ein Regisseur, der mich noch nie wirklich begeistert hat. Er probiert gerne mal Sachen aus (positiv!), knallt damit aber auch öfters mal schlimm auf die Fresse. Inzwischen nicht mehr, was das Einspielergebnis oder das Verwöhnaroma der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences angeht - aber, was mein persönliches Urteil über seine Filme anbelangt. Und ob das dem werten Leser und der angesehenen Leserin passt oder nicht, so funktioniert das nun mal mit Filmkritiken, wenn sie nicht à la Bild-Zeitung ganz auf den vermuteten Geschmack der Leserschaft abgepasst sind oder generell auf vorbehaltfreie Lobhudelei aus sind.

Mit I heart Huckabees gab es schon einen frühen Russell-Film, der mich komplett kalt ließ und der mir mehr über die Vorlieben und markttechnischen Überlegungen des Regisseurs sagte als über die Figuren im Film. In dem größtenteils allseits beliebten American Hustle (einer der überschätztesten Filme der letzten Jahre) ging mir Russells Mantra »ich habe ein paar Superstars und eine halbgare Geschichte, der Rest wird sich von selbst ergeben, weil ich ein frecher auteur bin« dann schon ziemlich auf den Keks. Er hat aber auch schon gelungene Filme wie Three Kings oder The Fighter gedreht oder so welche im Mittelfeld, die aber zumindest Spaß machen (Silver Linings Playbook). Da man aber dabei keinen eindeutigen Trend erkennen kann (außer, dass er selbstbewusster agiert, was aber nicht zum Vorteil für die Filme sein muss), ist es eigentlich immer wieder ein va banque-Spiel, wenn man sich seine Filme anschaut (wer mag, kann jetzt das bekannte Forrest-Gump-Zitat ergänzen).

Was aber aktuell konsistent bei Russell ist: seine Zusammenarbeit mit Jennifer Lawrence und Bradley Cooper, die nun zum dritten Mal in Folge (den unter Pseudonym gedrehten und übelst abgeschmierten Accidental Love ignoriere ich jetzt mal) im Trio mit dem Regisseur auftreten und das offensichtlich auch sehr zu schätzen wissen (Bei all der Filmeschauerei darf man nicht vergessen, dass die Qualität des Films und das Betriebsklima beim Dreh nicht unbedingt zueinander in Beziehung stehen). Die JLaw will trotz kleiner Meinungsverschiedenheiten »immer wieder« mit Russell drehen, der in Joy ihren Exmann Tony spielende Édgar Ramírez (aktuell auch im Remake von Point Break) sagt sogar im Hollywood Reporter: »I didn't know it was possible to feel so free on a movie set.«

Um es vorwegzunehmen: diesmal überträgt sich dieser Spaß auf den Zuschauer - wenn man keinen allzu konventionellen Kinoabend erwartet

Joy (David O. Russell)

Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox

Joy beginnt mit einer absurden Szene aus einer Telenovella, die aufgrund der statischen Kamera noch bescheuerter und aufgesetzter wirkt. Zunä sieht es so aus, als wäre nur Virginia Madsen als Terry, das eigentümliche Mittelstück der seltsam matriarchal wirkenden Familie, in der die eigentliche Geschichte spielt, von diesem Fernsehuniversum, das sich sogar in die Träume einiger Familienmitglieder schleicht, besessen. Doch Russell spielt ganz bewusst mit Parallellen zwischen TV und Realität, was im Verlauf des Films immer mehr Sinn ergibt.

Neben der Hauptfigur Joy (JLaw) und ihrer Mutter gibt es noch eine Großmutter namens Mimi (Diane Ladd), die als Erzählerfigur agiert (hier spielt Russell mit Konventionen des Film noir, und irgendwie funktioniert dieser abgedrehte Stilmix sogar). Und die vierte Generation lebt auch im selben Haus, wobei hier auffält, dass Joys Sohn (etwas jünger) kaum beachtet wird, während die Tochter in dieser Familie starker Frauen schon früh auf ihre Zukunft vorbereitet wird.

Denn der Film beginnt mit der Schrifttafel »Inspired by true stories of daring women«.

Die Männer indes sind nur »Ex-Männer«, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie wie die berühmten »Leichen« (vulgo Besamer, die ihren Job getan haben) im Keller liegen. Wenn diese aber neben Ramirez von Robert DeNiro (auch ein Russell-Rückkehrer) gespielt werden, ist das zumindest interessant. Oder wie DeNiro mehrfach im Film sagt: »This is not the proper way to be divorced.«

Joy (David O. Russell)

Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox

Nach der Etablierung der Familienmitglieder, einiger Intrigen, die direkt aus einer Soap Opera stammen könnten (wenn auch mit eher bescheidenem finanziellen Hintergrund), nimmt sich Russell für eine weitere Kapriole Zeit (man ahnt, dass die vier Cutter des Films reichlich kämpfen mussten, um an eine Filmdauer von nur knapp über zwei Stunden heranzukommen). Diesmal geht es um die Zikade, ein Insekt mit eigentülichem Lebenslauf (sie verschwindet für 17 Jahre, wie ein Gaststar bei Reich und schön - und zack, schon haben wir eine weitere Analogie, die vieles kompliziert, bevor der Film sich auch nur ansatzweise seiner eigentlichen Geschichte angenähert hat.

Bevor es dazu kommt, was Joy als »starke« Frau auszeichnet, wird erstmal ihr Leben mit vielen Rückschlägen und Enttäuschungen geschildert. Wozu man Flashbacks bemüht (eine weitere Referenz an den Film noir), in denen man die Vorgeschichte zwischen Opa Rudy (De Niro) und Papa Tony (Ramírez) miterlebt. Als wenn man nochmal zu Folge 23 von Sturm der Liebe zurückspulen würde.

Joy (David O. Russell)

Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox

Mit den sonst nur rudimentär ins Spiel kommenden Männern arrangiert hat sich zunächst Joys (Halb?)Schwester Peggy (die deutschstämmige Elisabeth Röhm oder auch Rohm, die man aus Fernsehserien wie Angel und Heroes kennen könnte), und später die von Isabella Rossellini gespielte Trudy (genau: Rudy und Trudy - da haben sich zwei gefunden ...). Zwei Frauen, die hier durch den Vater / Liebhaber verbunden werden und ihm zur Seite stehen, während sie ihre Geschlechtsgenossin mehr oder weniger "verraten". Joy hatte nämlich schon mal eine Idee für ein Hundehalsband, das durch eine Freigabe-Funktion verhindert, dass der Hund sich die Luft abschnürt. Und nun hat sie einen Mopp erfunden, der besser, hygienischer und länger benutzbar sein würde und quasi »revolutionär« den Markt aufräumen könnte. Wie man aus Filmen wie Coppolas Tucker weiß, wollen die Leute an der Macht aber oft gar nicht, dass etwas revolutioniert wird. Und dadurch wird der Kampf einer einzelnen Frau, der mich an Erin Brockovich erinnert hat (ja, es gibt ein »reales« Vorbild) auch irgendwie zu einem Kampf gegen des Patriarchat: gegen den Fernsehmogul (Bradley Cooper), der sie unabsichtig in den Ruin treibt, in die Geschäftspartner, die sie ausnehmen - und nicht zuletzt auch gegen den eigenen Vater (und die beiden Frauen an seiner Seite), die nicht wirklich böse Absichten haben, sondern einfach kein Vertrauen in Joy, dafür aber Vertrauen in die eigenen - oft idiotischen - Entscheidungen.

Das Spannende an dem Film ist, dass er mehrfach komplett das Genre wechselt. Nicht immer ganz überzeugend, aber irgendwie faszinierend (einige KollegInnen verglichen es mit einem Autounfall, bei dem man zuschauen muss). Ich persönlich fand übrigens den dramaturgisch sehr konventionell vorgehenden Mittelteil am besten - und ich weiß nicht wirklich, warum. (Was ist nur nicht richtig mit mir?)

Joy (David O. Russell)

Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox

Eine Szene, die Russell meines Erachtens komplett vermurkst hat, ist die, die Joy die Idee für den Mopp gibt. Auf der kleinen Yacht, die Trudy von ihrem Verblichenen geerbt hat, darf man keine Rotweinflecke aufs teure Holz machen. Natürlich schleppt ein Kerl Wein an, natürlich geht etwas zu Bruch und natürlich muss Joy, die man zwischenzeitig öfters mit ausgiebigen Flecken einer anpackenden Hausfrau und Mutter sieht (eine Job hat sie noch nebenbei), die Sache aufwischen. Man kann auch verstehen, dass man beim Aufmoppen solcher Sachen beim Auswringen kleine Scherben in die Finger bekommen kann - aber selbst ich als nicht für besonders saubere Fußböden bekannter Kerl habe schon so viele Mopps im Leben ausgewrungen, dass ich keinen mit mehreren markstückgroßen Flaschenscherben so rabiat behandeln, dass man es laut vernehmbar knirschen hört. Offenbar war es dem Regisseur da wichtiger, dass noch der Volldepp in der letzten Reihe versteht, was hier passiert ist (ein paar kleine Scherben und Verletzungen hätten das durchaus klar gemacht) - und dass weder Jennifer Lawrence noch Isabella Rossellini ihn darauf hingewiesen haben, sagt eigentlich fast mehr über veränderte Rollenklischees und misslungene Kommunikation zwischen den Geschlechtern aus als der Film an sich.

Aber es gibt diverse tolle Ideen in dem Film, die diese eine Dussligkeit aufwiegen. Ich fände es trotzdem toll, wenn sich jemand vors Kino stellen würde, um zu sagen: »Kauf Dir lieber diesen tollen Mopp als einen Film darüber anzuschauen!«

Und ich will unbedingt eine Komplettfassung der TV-Vorführung des Mopps als Bonusmaterial auf der DVD.