The Neon Demon
(Nicolas Winding Refn)
Frankreich / USA / D&aauml;nemark 2016, Buch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham, Kamera: Natasha Braier, Schnitt: Matthew Newman, Musik: Cliff Martinez, Kostüme: Erin Benach, Production Design: Elliott Hostetter, Make-Up: Erin Ayanian, mit Elle Fanning (Jesse), Jena Malone (Ruby), Karl Glusman (Dean), Bella Heathcote (Gigi), Abbey Lee (Sara), Christina Hendricks (Roberta Hoffman), Keanu Reeves (Hank), Alessandro Nivola (Fashion Designer), Desmond Harrington (Jack), 117 Min., Kinostart: 23. Juni 2016
Laut Presseheft entspringt The Neon Demon dem Versuch, einen Horror-Film »ohne den Horror« zu drehen. Das beschreibt den Film zwar nicht annähernd, ist aber ein guter Anfang für diese etwas längere Kritik, die den Film teilweise recht detailliert analysiert, dabei aber versucht, nicht allzuviel zu spoilern. Viele im Text eher schwammig erscheinende Formulierungen sollten nach Sichtung des Films relativ deutlich werden.
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Was ist der »Neon Demon«?
Der Filmtitel legt ja eine gewisse Nähe zum Horror-Genre nahe. Jedenfalls gibt es kaum Filme mit »Demon« im Titel, die nicht irgendwie im Genre verortet sind. Nun ist es aber so, dass sich der Sinn des Titels durch die Filmsichtung nicht unbedingt erschließt. Es gibt zwar einige Momente, die entfernt an die Beschwörung eines Dämons erinnern (vor allem der Moment, wo jemand mit einem violetten Lippenstift etwas auf einen Spiegel malt und die mysteriöse »Mond-Szene«), aber abgesehen von der Vermarktbarkeit des Titels im Kinobusiness ist die naheliegendste Interpretation des Titels wohl eine Metapher für die Modebranche, ihre verführerischen und coolen Aspekte (Neon) ebenso wie die »dämonischen« Abgründe, das schnelle »Aussaugen« der jungen Models wie ein Succubus / Incubus.
© Koch Films GmbH
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Jugend und Vergänglichkeit
Die Hauptfigur des Films ist die gerade 16 gewordene Jesse (der ehemalige Kinderstar Elle Fanning, bekannt aus Babel, Somewhere, Super 8 oder Malificent), die in L.A. Karriere machen will. Die Agentin, die sie gewinnen kann (Christina Hendricks), lässt sie einen irgendwie faustisch anmutenden Vertrag unterzeichnen und fortan soll sie als Alter 19 angeben (»Always 19. 18 is too on the nose«). Beim Casting des Films spielt des jeweilige Alter der DarstellerInnen auch eine deutliche Rolle. Elle Fanning in ihrer »Unschuld vom Lande»-Rolle war während der Dreharbeiten noch nicht 18 (Jahrgang 1998), was in den USA gewisse Einschränkungen mit sich bringt (entsprechend soll ja auch ihre Filmfigur behaupten, schon volljährig zu sein, weil sie dadurch auch für Nacktfotos engagiert werden kann). Jesses Model-Kolleginnen Gigi und Sarah (Bella Heathcote aus Dark Shadows und Abbey Lee aus Mad Max: Fury Road, beide Jahrgang 1987) sind im Film dem Nymphen-Alter à la Lolita schon entwachsen (eine 13jährige, die man aber nie sieht, spielt in dieser Hinsicht auch eine wichtige Rolle) und haben bereits einen eifersüchtigen Blick auf alle »Neuzugänge« entwickelt. »Once you hit 21 in this industry you're so irrelevant.« Das »Haltbarkeitsdatum« wirkt in dieser von Neid und Intrigen durchwachsenen Branche wie ein dräuendes Damokles-Schwert: »Your expiration date is almost due. Who wants to have sour milk when you can get fresh meat?«
Die vierte, und wichtigste Frau in Jesses neuer Umgebung (das Frauenquartett erinnert in seiner Konstellation an den deutschen Vampirfilm Wir sind die Nacht) ist gar kein Model, sondern die Visagistin Ruby (Jena Malone, mit Jahrgang 1984 abermals ein paar Jahre älter), und dann gibt es noch eine Agenturchefin, die von Christina Hendricks aus Mad Men gespielt wird. Jahrgang 1975. Zehn Jahre Altersunterschied wirken im Modelbusiness (aber ansatzweise auch in Hollywood) wie Lichtjahre. Das verdeutlicht auch der Auftritt von Keanu Reeves (Jahrgang 1964). Der war nicht nur mal der schärfste Feger der Filmbranche, sondern durfte in Dangerous Liasons von 1988 neben der damals 18jährigen Uma Thurman exakt jenen »blutjungen« Figurentyp darstellen, von dem er inzwischen unermesslich weit weg ist.
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Ruby als Make-Up-Expertin spielt für die Models natürlich eine wichtige Rolle. Ihr besonderes Talent wird dadurch akzentuiert (und karikiert), dass sie als »Zweitjob« auch noch in der Leichenhalle die Spuren der Zeit durch Farben und Pasten zu überdecken weiß. Man merkt schon, Gemeinplätze aus dem Horror-Genre sind hier allgegenwärtig.
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Der männliche Blick - der Blick eines Killers?
Der Film beginnt mit dem als Plakatmotiv verwendeten Bild, das Jesse scheinbar tot und blutüberströmt, aber dabei durchaus ansehnlich auf einem antik anmutenden Sofa drapiert (in den USA benutzt man übrigens eine verharmloste Version des Motivs, bei der man durch eine Farbänderung das Blut nicht einwandfrei als solches zu erkennen gibt). Man sieht dann einige Blitzlichter (wie eine Naturgewalt) und erahnt mehr den im Dunkeln stehenden Fotografen. Zusammen ergibt das sogleich eine intensive beklemmende Atmosphäre und man denkt an Michael Powells Peeping Tom oder einige Giallos von Dario Argento, in denen der aus der Filmtheorie bekannte »male gaze« sogar mal eins werden kann mit dem eines Killers. Auf der sich langsam dahinziehenden Suche des Films nach dem Horrorelement sind auch die Fotografen tatverdächtig. Sex und Mord sind ja oft, gerade im Horrorfilm, nahezu gleichbedeutend (die Penetration durch die Zähne des verführerischen Vampirs etc.), und auch in der Modebranche spielt Sex eine wichtige Rolle. Jesses Kolleginnen unterstellen ihr gleich mal unisono, dass sie etwas mit ihren männlichen »Mentoren« am Laufen haben muss, und die Gefahren für die erklärte (und glaubhafte) Jungfrau sind überdeutlich. Ihr erstes wichtiges Fotoshooting mit dem Starfotografen Jack (Desmond Harrington) verläuft zunächst exakt so, wie man es aus den Gerüchten um die casting couch oder Paul Verhoevens Showgirls erwarten würde. Er betrachtet Jesse und verkündet lapidar »This is gonna be a closed set«. Und Regisseur Refn zelebriert dann das Spiel mit der Unschuldsfarbe Weiß und der Blutsymbolik mit einer andersfarbigen »Ersatzflüssigkeit« wie aus der Damenbindenwerbung bis zum Exzess.
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Und wenn Jesse sich später »hocharbeitet« (»I have no real talent. But I'm pretty - and I can make money off pretty«), fehlt im nuancierten Spiel ihres männlichen (und deutlich älteren) Gegenübers (Alessandro Nivola) nicht viel, dass man befürchtet, er könne anfangen zu sabbern oder orgiastisch zu stöhnen. Aber es bleibt auch immer eine gewisse Unsicherheit darüber, inwiefern Jesse wirklich »nur« ein potentielles Opfer ist oder doch eher eine etwas andere femme fatale. Sie behauptet zumindest »I'm not as helpless as I seem« oder zitiert ihre Mutter, die sie als »dangerous« einstufte.
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Katzen - anschmiegsam und tödlich
Noch ein Versatzstück aus dem Horror-Genre, das perfekt zum Modebusiness passt, ist die Ähnlichkeit zwischen (manchen) Frauen und Katzen. Es ist ja kein Zufall, dass der Laufsteg im Englischen »cat walk« heißt. An Jacques Tourneurs Klassiker Cat People von 1942, in dem man femme fatale und film noir quasi in Horrorgenre übersiedelt und eine schutzbedürftig wirkende Frau sich in eine rasende Bestie verwandelt (auch damals schon mit deutlichen sexuellen Konnotationen), muss man in The Neon Demon auch mehrfach denken, aber bis zur letzten halben Stunde spielt Refn sein Versteckspiel weiter und selbst die Raubkatze (Jesse wird sogar mal als »wild cat« bezeichnet) kann auch als ausgestopfte Dekoration enden.
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Spiegelscherben und Oberflächenreize
Regisseur Nicolas Winding Refn (der seinen Namen im Vorspann als NWR abkürzt und in ein sehr an Yves Saint Laurent erinnerndes Logo verwandelt) und seine beiden jungen Co-Autorinnen lassen kaum eine Chance aus, Horror-Elemente und die Modebranche miteinander abzugleichen. Statt eines Messers mit seiner phallischen, männlichen Gewaltpotenz bietet sich da beispielsweise eine mit anderer Symbolik besetzter Spiegelscherbe mit all ihrem psychologischen Unterbau an. Und vorher kann ein enttäuschtes Model den Spiegel, der ihr Versagen und Altern dokumentiert (die böse Königin aus Schneewittchen ist ja auch nur eine Horror-Ikone im kindgerechten Gewand), in verzweifelter Rage zerschlagen, was nur verdeutlicht, dass sich die Wut gegen die eigene Person richtet. Der im Wasser seiner Reflexion ertrinkende Narziss ist hier ein frühes Vorbild.
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Oberflächenreize spielen für den Werbefilmer Refn eine deutlich größere Rolle als die satirischen Möglichkeiten des Stoffes. »Beauty isn't everything. It's the only thing.« - die Tagline des Films offenbart auch eine seiner Schwächen, denn wie man einen Antikriegsfilm nicht von einem Regisseur drehen lassen sollte, der nichts mehr liebt als Maschinengewehrfeuer und durch die Luft fliegende Körperteile, so ist The Neon Demon ist seiner perfekten Ästhetik (und mit dem obligatorischen Cliff-Martinez-Soundtrack, der wie schon in Drive die Handlung vorantreibt - selbst, wenn eigentlich gar nichts passiert) vielleicht die beste Bret-Easton-Ellis-Verfilmung, die der Chronist der superjungen, superreichen, superschönen und superverkommenen »Glamorama«-Welt von Los Angeles nie schrieb, aber oft verliert sich Refn auch in seinen Manierismen. Die großen Manieristen der Filmgeschichte wie Kubrick oder die Coen-Brüder (einige Motive aus Barton Fink haben Refn auch inspiriert) werden in dem Moment redundant, wo sie sich für style over content entscheiden oder schlichtweg größenwahnsinnig werden. Also etwa in unterschiedlicher Deutlichkeit David Lynch, Terrence Malick oder Lars von Trier.
Was aber noch schwerer wiegt im letztlichen Scheitern von The Neon Demon ist, dass Refn es nicht schafft, das Ziel des »Horror ohne Horror« durchzusetzen. Am Ende des Films gibt es einige schlichtweg überflüssige Schockmomente, die wirken als wären sie eine Konzession an das Genrepublikum, das für die ersten handlungsarmen und zähflüssigen zwei Drittel des Films »entschädigt« werden müssen. Wobei das Detail, dass Refn seinen Film chronologisch drehte und vom ursprünglichen Drehbuch aufgrund bestimmter »Entwicklungen« später abwich, die Neugier auf das »Ur-Drehbuch« erhöht. War dort vielleicht die Handlung deutlicher ausgebaut? Oder die Metaphorik? So, wie der Film jetzt ist, hat man sich zwischen diesen beiden möglichen Zielpunkten verloren. Der Dämon zeigt sich weder richtig noch bleibt er »unfassbar« und nur eine mögliche Deutung. Wobei man auch wieder an Jacques Tourneur und seinen Curse of the Demon denken muss.
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Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wirft Jesse ihren Konkurrentinnen mal abschätzig entgegen, dass sie »hoffen und beten« müssten, ehe sie auch nur eine »second-rate version of me« werden könnten. Auf dem Weg zum Meisterregisseur sollte »NWR« vielleicht auch eine höhere Instanz anrufen ...