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23. August 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Tulpenfieber (Justin Chadwick)


Tulpenfieber
(Justin Chadwick)

Originaltitel: Tulip Fever, USA 2017, Buch: Tom Stoppard, Deborah Moggach, Lit. Vorlage: Deborah Moggach, Kamera: Eigil Bryld, Schnitt: Rick Russell, Musik: Danny Elfman, Kostüme: Michael O'Connor, Production Design: Simon Elliott, Set Decoration: Rebecca Alleway, Supervising Art Director: Bill Crutcher, mit Alicia Vikander (Sophia Sandvoort), Dane DeHaan (Jan Van Loos), Christoph Waltz (Cornelis Sandvoort), Holliday Grainger (Maria), Jack O'Connell (Willem), Judi Dench (The Abbess of St. Ursula), Tom Hollander (Dr. Sorgh), David Harewood (Prater), Zach Galifianakis (Gerrit), Kevin McKidd (Johan De Bye), Cara Delevingne (Annetje), Joanna Scanlan (Mrs. Overvalt), Michael Nardone (Daan the Auctioneer), 107 Min., Kinostart: 24. August 2017

Tom Stoppard, das Mastermind, das einst den zuvor unbesungenen Herren Rosenkrantz und Guildenstern ein eigenes Theaterstück gönnte und (zusammen mit Marc Norman) Ethel, the Pirate's Daughter ersann, hat zusammen mit Deborah Moggach, der Autorin der historischen Schmonzette Tulip Fever, das Drehbuch zur Verfilmung selbigen geschrieben. Entsprechend beginnt der Film mit der soundsovielten Variation der Strandszene aus The Twelfth Night (auch schon im Ethel-Film sehr präsent) und man bietet fortan die bewährte Mischung aus tragisch-kitschigen Liebesgeschichten, possenhaften Verwechslungen und gesellschaftlichen Verschwörungen, die schon der mehrfach oscar-prämierte Ethel-Film bot. Anstelle von Ralph Fiennes bietet Dane DeHaan (der James Dean aus Life) einen fotogen schmachtenden jungen Leonardo DiCaprio, der mit seiner dauerhaften »Mach mal den Leo«-Schnute schon etwas nerven kann. Und Alicia Vikander beweist, dass sie statt mitreißendem Schauspiel auch mal vorrangig nur gut aussehen kann.

Abendfüllend ist das bisher noch nicht, aber die Geschichte des Amsterdamer Tulpenbooms, der nach absurden Preissteigerungen wie eine große Seifenblase platzte, einfach mal im Hintergrund versteckt zu erzählen, während man zwei bis drei große pathosgeschwängerte Liebesgeschichten davor stellt, ist in seiner Perfidität schon recht clever (und findet sich so auch in der nicht unbedingt überzeugenden Romanvorlage).

Tulpenfieber (Justin Chadwick)

© 2017 Prokino Filmverleih GmbH

Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Dienstmagd Maria (Holliday Grainger) als Erzählerin (Erneuerung für den Film), die die zunächst sehr auf Karriere ausgeprägte Geschichte ihrer Herrin Sophia (Vikander) erzählt. Die landete barfuss im Waisenhaus St. Ursula (vorrangig, um Dame Judi Dench eine kleine Nebenrolle zu ermöglichen), verließ die kirchliche Enklave aber in einer stattlichen Kutsche, weil es einem reicher Pfefferhändler (Christoph Waltz) nach einer jungen Ehefrau war, um fleißig einen Stammhalter zu zeugen. Wie das oft so läuft, hintergeht sie den Gatten, der mit seinem nächtlichen Geraune, ob sein »kleiner Soldat« heuer »stramm steht« ebenfalls die Geduld des Betrachters strapaziert, mit einem eher ihrem Alter entsprechenden Porträtmaler (DeHaan), und Putzfee Maria verlustiert sich unterdessen mit dem (natürlich auch überdurchschnittlich jungen und hübschen) Fischverkäufer Willem (Jack O'Connell), bis es zur ultimativen Komödiengrundlage kommt. Die Magd ist schwanger, was keiner erfahren darf, und die andere Dame kommt mit der Schutzbehauptung, schwanger zu sein, um nicht mehr vom Gatten bedrängt zu werden und sich ganz dem jungen Pinselschwinger hingeben zu können.

Möglich macht das Unmögliche der mirakulöse Frauenarzt Dr. Sorgh (Tom Hollander, u.a. bekannt aus Pride & Prejudice oder Stage Beauty), der sich dadurch auszeichnet, dass er gerne mal die weibliche Anatomie erforscht (nicht notwendigerweise aus medizinischen Gründen), seine eigentliche Arbeit aber lieber Hebammen überlässt. Und jederzeit dafür zu haben ist, ein kleines krummes Ding zu drehen. Allein für diesen charmanten angeblichen Frauenversteher, der keine Ohrfeige scheut, lohnt sich der Film, der nach einer gewissen Durststrecke mit viel schmachtendem Kitsch und selten erwähnten Tulpen plötzlich zur Megakomödie abhebt, bei der Frauen in Stereo ihre Geburtsschreie intonieren (»Erst maken Geburt, dann öffnen Korsett!«), bis der Siegeszug einer weiß-rot gestreiften Tulpenzwiebel einem ähnlich suboptimal funktionierenden Lieferdienst (Zach Galifianakis) erliegt wie die unter einem anderen Namen berühmt gewordene Ethel, die sich auch nicht hätte auf den Apotheker verlassen sollen.

Tulpenfieber (Justin Chadwick)

© 2017 Prokino Filmverleih GmbH

Tulip Fever hat mit Justin Chadwick (The Other Boleyn Girl) nicht den allergenialsten Regisseur, der allzu sehr in den Bildern alter Meister schwelgt und auf eine Weise von junger Liebe erzählt, die man vermutlich am ehesten zu schätzen weiß, wenn man noch fünf bis zehn Jahre jünger ist als die jungen, kaum geforderten Hauptdarsteller (einzig Holliday Grainger hat mich wirklich etwas in ihren Bann gezogen). Aber Marketing-Abteilung wie imdb scheinen sich eher für die Winzrolle der reichlich überschätzten Cara Delevingne zu interessieren (in der Printpublikation »Indiekino« behauptet man sogar, sie spiele die Rolle der Kollegin Grainger) - oder für die etwas größere Rolle der einstigen Darstellerin der Queen Elli in diesem Film mit Colin Firth und Ben Affleck). Aber das etwas verschnörkelte Drehbuch zieht die Kastanien aus dem Feuer und die Tulpenoper, die mich ziemlich an Stoppards liebstes Vorbild erinnert (obwohl der Barde nichts damit zu tun hat, sie spielt ja sogar erst nach dessen Tod - genau gesagt von 1631 bis 1642), eignet sich prima dafür, dass der alte Knabe (auch nur drei Jahre jünger als Dame Judi Dench) aus den alten Storymustern - etwas aufgepeppt - noch so manches rausholen kann. Wer ein paar schmachtende Blicke und törichte Mädchentränen verschmerzen kann oder womöglich gar eine Schwäche für Christoph Waltz hat (der unter dem illustren Kreis derer, die zwei Schauspieloscars gewannen, so ziemlich die blödesten Rollen im Jahrzehnt danach aussuchte), der kann sich hier blendend unterhalten. Wenn man nur nicht alles zu ernst nimmt...


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Der Film hat mich ausreichend beschäftigt, dass ich mir anschließend die Literaturvorlage von Deborah Moggach besorgt habe. Ich wollte einfach herausfinden, inwiefern der Humor von Tom Stoppard stammt oder schon im Roman erkennbar ist.

Tulpenfieber (Justin Chadwick)

© 2017 Prokino Filmverleih GmbH

Der erste Eindruck war deutlich. In den ersten drei Kapiteln geht es vorrangig um fleischliches Verlangen. Der Portraitmaler wird auf Seite 2 das erste Mal erwähnt, überall geht es nur um deutliche sexuelle Konnotationen. Sophias eheliche Pflichten werden wie folgt beschrieben:

For three years we have been married and I have not produced a child. This is not for lack of trying. My husband is still a vigorous man in this respect. At night he mounts me; he spreads my legs and I lie there like an upturned beetle pressed down by a shoe. (S. 1-2)

Bereits zuvor erfährt der Leser, dass der Bart des Gatten die junge Frau anzuwidern scheint. Beim ersten Besuch des Malers (Kapitel 3, S. 9ff) ist bereits überdeutlich, dass sich zwischen den beiden etwas abspielen wird, ebenfalls sehr auf Erotik und Sinnlichkeit fokussiert. »As he paints I feel his brush stroking my skin.«

Tulpenfieber (Justin Chadwick)

© 2017 Prokino Filmverleih GmbH

Die Kapitel befassen sich jeweils mit unterschiedlichen Figuren und Blickwinkeln. Kapitel 2 dreht sich um das Hausmädchen Maria, dessen Affäre mit dem Fischverkäufer Willem hier nicht erst mit Verspätung ins Spiel kommt (im Film durch Umstellung einer der ersten frühen Gags). Ihr Wunsch, mit Willem viele Kinder zu haben und ihre Fantasie, irgendwie das Haus der Herrschaft zu »erben«, sind fast die ersten Gedanken, die sie offenbart.

Und so, wie das Spiel mit aufdringlichen sexuellen Metaphern am Mittagstisch der hohen Herrschaften im Vordergrund stand (»I gaze at my roll, lying on the tablecloth. It has split, during baking, and parted like lips.« [...] »The herring lying on my plate, its glistening, scored skin split open to reveal the flesh within; The parted lips of my roll.«) geht es beim »Verkaufsgespräch« zwischen Maria und Willem vor allem um phallusförmige Erzeugnisse wie einen Aal oder die Karotten des Gemüsehändlers.

Wo im Film Wert darauf gelegt wird, zunächst die Herkunft von Sophia zu beschreiben, dann ihre suboptimal glückliche Ehe, hat man beim Buch sofort den Eindruck, dass es hier um eine historische Romanze geht, und zwar von der expliziteren Art.

Die Ergänzung der Rollen von Judi Dench und David Harewood im Drehbuch sind insofern sinnvoll, dass sie die spätere, im Roman vorhandene Wendung geringfügig überzeugender gestalten. Auch hat man im Film das Gefühl, dass die in den Hintergrund gedrängten Vorgänge rund um die Tulpenspekulation einleuchtender und umfassender erklärt werden. Und auch bei der Passage rund um Zach Galifianakis offenbart sich, dass Tom Stoppard einfach ein glücklicheres Händchen für das Setzen von Pointen und das Timing generell hat.

Abschließend kann ich den Film mit Einschränkungen (siehe oben) durchaus empfehlen, während man sich den Roman auf jeden Fall schenken kann.