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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




25. Oktober 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Maudie (Aisling Walsh)


Maudie
(Aisling Walsh)

Kanada 2016, Buch: Sherry White, Kamera: Guy Godfree, Schnitt: Stephen O'Connell, Musik: Michael Timmins, mit Sally Hawkins (Maud Lewis), Ethan Hawke (Everett Lewis), Kari Matchett (Sandra), Garielle Rose (Tante Ida), Zachary Bennett (Charles Dowley), Billy Maclellan (Frank), Marthe Bernard (Kay), Lawrence Barry (Mr. Davis), Mike Daly (Mann an der Bar), Nik Sexton (Steven), David Feehan (Paul), Greg Malon (Mr. Hill), 115 Min., Kinostart: 26. Oktober 2017

Nichts in Ethan Hawkes Filmografie hat mich darauf vorbereitet, dass in diesem Jahr zwei Filme mit ihm in einer der Hauptrollen in die deutschen Kinos kommen, die a) zu den besten zehn Filmen des Jahres gehören und b) die mit Abstand besten Biopics der Saison sind. Nach seinem Auftritt als Chet Baker in Born to be Blue ist er nun der Mann an der Seite der naiven Künstlerin Maud Lewis (Sally Hawkins) in Maudie.

Maud erkrankte schon als Kind an rheumatischer Arthritis und ist entsprechend ein gebeugtes, verhutzeltes Weiblein mit zunehmend verrenkten schmerzenden Händen, als die Geschichte damit beginnt, dass sie sich von ihrer sie mit vermutlich guten Absichten bevormundenden Tante Ida und dem Rest der (im übertragenen Sinne) »buckligen Verwandtschaft« emanzipiert und sie trotz großer Schüchternheit als Haushälterin des rauhbeinigen bis menschenverachtenden Fischers Everett anfängt - eine Situation, die schon als bloßes Arbeitsverhältnis deutlich so wirkt, als sei sie zum Scheitern verurteilt (»I'm looking for a woman!!« - »What do you think I am??«).

Maudie (Aisling Walsh)

Foto © Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Doch auf eine ungleich überzeugendere und weniger kitschige Art als der Little Lord Fauntleroy (deutscher Titel Der kleine Lord, ein Rührstück, auf das meine Mutter zur Weihnachtszeit ein Abonnement laufen hat) gelingt es Maud, das Herz des wortkargen Großmauls Everett zu erweichen, denn ob in der Haushaltsführung, in Geschäftsdingen oder sogar im Bett: mit zartem, aber widerständigen Druck macht Maud klar, dass in dem ungleichen Paar überraschenderweise sie diejenige ist, die sich durchzusetzen weiß. Als erstes akzeptieren das Everetts Hunde, die sich sofort an der neuen Rudelführerin orientieren.

Solange sie Everett nur halbwegs den Glauben lässt, dass er natürlich nie klein begeben würde, sondern zumindest die fragile Illusion beibehält, dass als Hausbesitzer er das Sagen hat.

Maudie (Aisling Walsh)

Foto © Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Wie das funktioniert, wird sehr nett daran illustriert, als Maud, die vor vielen Jahren schon einmal gemalt hatte, beginnt, eine Wand der ungastlichen Hütte, die die beiden teilen, zu bemalen. Mit so naiven wie farbenfrohen Blümchen etc. Nachdem Everett unmissverständlich klargemacht hat, dass er dies nicht duldet, ist er doch irgendwie eingenommen von dieser vielleicht töricht bis lächerlich wirkenden, aber liebevollen Verbesserung seines Wohnumfeldes. Und Maud erkennt dies und agiert wie der stete Tropfen, der den Stein (oder das vermeintliche Herz aus Stein) höhlt.

Hawkes dauerhaft verkniffenes Gesicht erinnert ein wenig an Billy Bob Thornton in Sling Blade, aber irgendwie nimmt man ihm die Rolle ab, und Sally Hawkins ist seit Happy-Go-Lucky der Inbegriff der erfahrbaren Lebenslust, die hier nur weitaus sparsamer dosiert wird.

Maudie (Aisling Walsh)

Foto © Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Auch das Umfeld der beiden ist gegen die Vereinigung (»He has you boarded up there like a love slave!« bzw. »So you got yourself a tiny little woman to guard your house ...«) und es gibt auch so manches Problem zwischen den beiden, aber die außergewöhnliche Paardynamik ist wirklich sehenswert. Ein bisschen wie eine heruntergekommene Version von Unsere kleine Farm mit Lenny und George aus Steinbecks Of Mice and Men, nur dass Lenny hier eine Frau ist.

Und nebenbei geht es jetzt um den (bescheidenen) künstlerischen Aufstieg Mauds. Die New Yorkerin Sandra (Kari Matchett) lässt sich für 10 Cent kleine Postkarten malen, man verkauft direkt aus der Hütte an Touristen, und irgendwann outet sich Richard Nixon, der Vizepräsident des Nachbarstaates (Maudie spielt in Nova Scotia, Kanada) als Fan und es gibt sogar einen Fernsehbericht (wobei Maud ganz ähnliche Probleme hat wie Ruth Negga in Loving).

Maudie (Aisling Walsh)

Foto © Duncan Deyoung, Courtesy of Mongrel Media

Ein äußerst interessanter Handlungsstrang bringt zum Ende des Films dann noch mal einiges an Emotionen, aber das mag der geneigte Kinogänger selbst entdecken. Wenn der (nicht unähnliche) God's Own Country mich nicht noch stärker begeistert hätte, wäre Maudie ohne Problem »Film des Monats« geworden, die beiden Filme könnten glatt gezielte Alternativangebote für den von interessanten Kinostarts nur so vollgestopften 26.10. gelten.