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5. Juli 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Thor: Love and Thunder (Taika Waititi)


Thor: Love
and Thunder
(Taika Waititi)

USA 2022, Buch: Taika Waititi, Comic-Vorlage (u.a.): Stan Lee, Larry Lieber, Jack Kirby, Jason Aaron, Kamera: Barry Baz Idoine, Schnitt: Peter S. Elliot, Tim Roche, Matthew Schmidt, Jennifer Vecchiarello, Musik: Michael Giacchino, Songs: Guns 'n Roses, Enya, Abba u.a., Production Design: Nigel Phelps, Supervising Art Director: Charlie Revai, Kostüme: Mayes C. Rubeo, mit Chris Hemsworth (Thor), Natalie Portman (Jane Foster / Mighty Thor), Tessa Thompson (Valkyrie), Christian Bale (Gorr the God Butcher), Jaimie Alexander (Sif), Russell Crowe (Zeus), Chris Pratt (Peter Quill / Star-Lord), Dave Bautista (Drax), Karen Gillan (Nebula), Pom Klementieff (Mantis), Kat Dennings (Darcy Lewis), Sean Gunn (Kraglin), Stellan Skarsgård (Dr. Erik Selvig), Matt Damon, Luke Hemsworth, Sam Neill, Melissa McCarthy (New Asgardian actors), Idris Elba (Heimdall), Brett Goldstein (Hercules) und den Originalstimmen von Taika Waititi (Korg), Bradley Cooper (Rocket Raccoon), Vin Diesel (Groot), 125 Min., Kinostart: 6. Juli 2022

»Wir möchten Sie im Namen des Kinopublikums herzlich bitten, in Ihren Filmbesprechungen und Social Reactions Spoiler zu vermeiden, d.h. keine wesentlichen Handlungsstränge, Cameos, Charakterentwicklungen oder das Ende des Films zu verraten.«
  • keine wesentlichen Handlungsstränge: Es gibt ein »Teaser-Plakat« zum Film, das zeigt Natalie Portman in einem Thor-Kostüm, sie steht auf einer Bergspitze, reckt einen Hammer, der Mjolnir deutlich ähnelt, gen Himmel, ein Blitz schlägt in den Hammer ein, und dazu gibt es einen Schriftzug »The one is not the only.«
  • Cameos: auf dem Hauptplakat steht, dass Russell Crowe im Film mitspielt (wer sich die Mühe macht, auf imdb zu schauen, wird auch erfahren, in welcher Rolle, vermutlich zerreißt man sich im Internet dazu seit Wochen die Mäuler)

Wer Spoiler verhindern will, hat es heutzutage schwer und sollte Social Media generell meiden. Man muss aber schon extrem dickfellig bis blöd sein, sich vor Sichtung eines Films Filmkritiken anzuschauen, denn selbst mit guten Absichten ist es ja nicht einfach für den Filmschreiberling, seinen Job zu machen, wenn man so gut wie nichts über den Film sagen darf. Thor: Love and Thunder ist ein Superheldenfilm, wie alle Filme von Taika Waititi (Eagle vs. Shark, What we do in the Shadows, Jojo Rabbit) ziemlich witzig und am Schluss des Films gibt es eine Effektorgie, wo sich die Protagonisten gegenseitig verkloppen... Huch, jetzt habe ich ja viel zu viel verraten, auch den Umstand, dass das im Titel vorkommende Wort »Love« tatsächlich eine Bedeutung für die Filmhandlung spielt, könnte ja für manche Leser überraschend kommen. In Haialarm am Müggelsee tauchen ja auch weniger Haie auf, als manche angenommen hatten. Und gerade die Cover zu Comicheften sind ja dafür bekannt, dass sie oft Figuren und Situationen zeigen, die im Heft überhaupt nicht vorkommen. Disney verrät, was sie wollen und was zum Erfolg des Films beiträgt, ich aber soll am liebsten gar nichts verraten. Sorry, aber wer sich die Stabangaben durchliest (die gehören für mich zu einer Filmkritik), soll nicht rumjammern, dass da steht, wer im Film mitspielt, und ich verrate soviel über den Film, wie ich für nötig und hilfreich erachte, um ein Urteil über den Film zu fällen. Ich vermeide Spoiler generell, aber ich will mir nicht vorschreiben lassen, wie ich meinen Job zu machen habe. Wer jetzt weiterliest, ist selber schuld, wenn ich womöglich eine Anspielung fallen lasse zu einem erfolgreichen Film aus dem Jahr 1969, in dem auch das Wort »Love« im Titel vorkommt oder ich meine Kurzzusammenfassung zum Film »Eifersuchtsdrama im Swingerclub« vielleicht etwas detaillierter erklären werde. Ich verspreche, ich werde nicht akribisch Buch darüber führen, wer wann im Film seine oder ihre große Sterbeszene hat und aus welchen Gründen die Figuren dann später doch wieder auftauchen (zum Teil hat mich das auch selbst überfordert). Die meisten, die sich unbedingt über den neuesten Marvel-Film informieren wollen, haben eh längst entschieden, dass sie den auch sehen wollen -> und dann sollten sie vielleicht erst ins Kino gehen und später nachforschen, welche Interpretationsansätze sie möglicherweise übersehen haben oder warum man in China wieder ein paar Szenen rausschneiden musste, weil man vermeiden will, dass das Volk ein befriedigendes, nicht nur auf Vermehrung gezieltes Sexualleben entwickelt.

Thor: Love and Thunder (Taika Waititi)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Mehr Warnung kommt nicht.

Normale Menschen haben fünf Jahre nach dem letzten Thor-Film (das war der mit dem Hulk und Jeff Goldblum) vielleicht vergessen oder verdrängt, was sich im Leben des aus der nordischen Mythologie entnommenen Superhelden alles so verändert hat (vielleicht geschah einiges auch in anderen Marvel-Filmen, in denen Thor im Titel nicht namentlich erwähnt wird). Die Kernhandlung des Films besteht aber darin, dass die vier bis fünf Hauptfiguren sich jeweils dadurch auszeichnen, eine ganz bestimmte Waffe mit sich zu führen und sich dabei so gebärden wie Figuren in bestimmten Filmen von Joss Whedon und Stanley Kubrick. In Dr. Horrible's Sing-Along-Blog, einem Superhelden-Spektakel, das übrigens zuerst gefilmt wurde und erst später auch in Comicform eine minimale Fortsetzung erfuhr, gibt es den von Nathan Fillion (Castle, Slither) gespielten Captain Hammer, der eigentlich lediglich einen Hammer auf seinem Tieschört abgedruckt hat (und damit keine Waschbecken zerdeppert oder ähnliches), der aber in all seinem Macho-Angebertum, das auch in manchem Thor-Film eine Rolle spielt, verkündet »The hammer is my penis.« In Stanley Kubricks Vietnam-Film Full Metal Jacket indes werden die Soldaten des United States Marine Corps während ihrer Ausbildung darauf gedrillt, ihren Schusswaffen, die sie sogar mit ins Bett nehmen, Frauennamen zu geben.

Für diese etwas ungewöhnlichen Beziehungen gibt es in der weitreichenden Buchstabenfolge LGBTQIA+ meines Wissens noch keine eigene Abkürzung, aber Taika Waititi macht sich einen großen Spaß daraus, wie hier der Hammer Mjolnir, die Axt Stormbreaker (oder war's Stormbringer? same difference!), das »Nekrosword« oder ein »Thunderbolt«, mit dem ein Besitzer besonders ausgiebig herumgespielt hat, hier hin und wieder die Besitzer*innen wechseln (für Helena von Troja wurde ein Krieg angezettelt, besonders zimperlich sind die Fetischisten von phallischen Objekten hier auch nicht), und wenn sich dann die Exfreundin besonders gut mit dem Ex-Hammer versteht (wesentlicher Handlungsstrang, vergleiche das oben erwähnte Teaser-Plakat), kann es schon mal dazu kommen, dass Thor sich eine frühere Begleitung zurückwünscht, was wiederum seine Axt zu Eifersuchtsrasereien treibt.

Aus Liebe wird somit quasi Donner (Filmtitel nimmt wesentliche Handlungsstränge vorweg) und wenn jemand einen geliebten Menschen (oder Nicht-Humanoiden... oder den MP3-Player, der wie eine Handgranate aussieht) verliert, kann man dafür schon mal ausgedehnte Rachezüge oder quasi-religiöse Kriege anzetteln. »Ich war mal Batman, aber als Filmschurke im Konkurrenz-Multiversum wird man auch ganz stattlich bezahlt...«

Thor: Love and Thunder (Taika Waititi)

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Als meine Mutter Teile des letzten Taika-Waititi-Films Jojo Rabbit im Fernsehen sah, war sie verstört und fragte, ob manches, was dort gezeigt wurde, überhaupt »erlaubt« sei. So ähnlich läuft es auch im neuen Thor-Film. Taika mischt Themen, die nicht vorrangig zum Sujet von Komödien gehören, respektlos zusammen, und mal geht es um Liebe, um Leben und Tod, um Religionen und Götter, und vor allem natürlich darum, die phallischen Waffen auch einzusetzen und damit andere Körper zu durchbohren oder versuchsweise zu pulverisieren (Love will tear us apart hat es superduperknapp nicht auf den Filmsoundtrack geschafft). Und dann kann man später am besten in einer Therapiegruppe das persönlich erfahrene Leid klagen (aber im Gespräch mit der oder dem »significant other« am besten alles leugnen: »Nein, das ist weder mein Hammer, noch freue ich mich, dich zu sehen...«).

Love and Thunder ist durchaus unterhaltsam, und manches, was man im Film über Beziehungen lernen kann, könnte tatsächlich hilfreich sein. Was man indes über die Belohnungsregeln von Religionen und Götterkulten oder die auf martialische Selbstverteidigung als Kerntugend ausgelegte Kindererziehung erfährt, sollte man lieber nicht so ernst nehmen. (Donald Trump würde sagen: »Gebt jedem Drittklässler eine Magnum, Luger oder Baretta und die Amokläufer werden es sich zweimal überlegen, bevor sie sich unnötig in fremden Schulen rumtreiben...«)

Thor: Love and Thunder (Taika Waititi)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Das ist halt ein Superhelden-Film, und abgesehen von der (durchaus fruchtbaren) Phase um 1986 herum, als man plötzlich meinte, Superhelden müsse man ernst nehmen, psychologisch analysieren und in politische Kontexte setzen, sind diese ganzen Marvel-Filme vor allem ein fettes Unterhaltungs-Imperium, das nur deshalb auch zu diversen wichtigen Themen was zu melden hat, weil das heutzutage halt so erwartet wird.

Früher gab es Comicfiguren wie Plasticman, die sich verändern konnten wie Barbapapa himself (kulturhistorische Chronologien nicht immer gesichert), was man aber fast ausschließlich für visuelle Gags nutzte. Heutzutage muss eine Ms. Marvel mit den selben Superkräften zumindest als weibliches role model herhalten und als weiterführende Existenzgrundlage dem tumben Amerikaner den muslimischen Lebensalltag näherbringen. Dann geht es aber doch um global nicht so unterschiedliche Pubertätsprobleme (die Thor und seine bunte Crew auch noch nicht solange hinter sich gelassen haben).

Nur, dass jemand wie Taika Waititi sich ungefähr so sehr um gesellschaftliche Regeln kümmert wie ich mich um die nett gemeinten Vorschriften des Disney-Konzerns, und da wird dann halt jeder zweite Gag kritisch hinterfragt und aus jeder dritten politischen Botschaft bastelt der Neuseeländer noch einen kleinen Scherz.

Thor: Love and Thunder (Taika Waititi)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Dass man dann am Ende des Film (huch, darüber soll ich doch nicht sprechen!) zum Teil nicht mehr versteht, warum jene Figur sich opfern musste, während eine andere eine zweite Chance erhält (»Ja, ich war vergleichsweise tot, aber es geht mir wieder besser...«), sollte man auch nicht im Politforum diskutieren. Wichtig scheint auch zu sein, auf welche Religion man gesetzt hat, bevor das »Rien ne va plus« erklingt. Mal wird man für das tugendhafte Leben belohnt und landet in »Paradise City«, in dem anderen Club hängst Du im Dschungel fest und / oder wirst vom November-Regen durchnässt.

Hauptsache ist, dass man sich nicht langweilt, vielleicht haben dann sogar Religionen einen Sinn.

Comics und Marvel-Filme sind auch sowas wie Religionen (gab's da nicht so einen Marx-Spruch mit irgendwas zum Rauchen?). Auf jeden Fall gibt es da meistens ein Leben nach dem Tod. Oder frei nach Sepp Herberger: Nach dem Marvel-Film ist vor dem Marvel-Film. Fragt sich nur, ob das Stan Lee und Chadwick Boseman wirklich weiterhilft.

So, den Thor-Film habe ich euch jetzt komplett versaut. Nichts darin kann euch jetzt noch überraschen. Nicht mal der neugewählte Name von Heimdalls Sohn.