Renfield
(Chris McKay)
USA 2023, Buch: Ryan Ridley, Lit. Vorlage / Hauptfiguren: Bram Stoker, Kamera: Mitchell Amundsen, Schnitt: Zene Baker, Ryan Folsey, Giancarlo Ganziano, Musik: Marco Beltrami, Kostüme: Lisa Lovaas, Szenenbild: Alec Hammond, mit Nicholas Hoult (R.M. Renfield), Nicolas Cage (Count Dracula), Awkwafina (Rebecca), Ben Schwartz (Teddy Lobo), Shohreh Aghdashloo (Bella-Francesca), Adrian Martinez (Chris), Camille Chen (Kate), Brandon Scott Jones (Mark), Dave Davis (Mitch Flaherty), Keith Brooks (Doug Dobie), 94 Min., Kinostart: 25. Mai 2023
Beziehungsfilme gibt es viele und sehr unterschiedliche. Aber Renfield setzt sich nochmal ab von den bekannten Klassikern wie Kramer vs. Kramer, Turner & Hooch, Angst essen Seele auf, The Dresser und wie sie alle heißen. Denn auch, wenn Beziehungsfilme sich von den deutlich populäreren Liebesfilmen dadurch unterscheiden, dass es weniger um den Beginn als den (durchaus mal problematischen) Verlauf einer Beziehung geht, so sucht kaum eine Filmfigur so aktiv das Ende der Beziehung (na gut, für Julia Roberts in Sleeping with the Enemy läuft es ähnlich.)
Die literarisch geneigten Leser können den Namen Renfield sofort einordnen, bei den anderen sollte man an die bisher wohl bekannteste Filmversion erinnern, in Bram Stoker's Dracula spielt Tom Waits den Bediensteten des berüchtigten Vampirfürsten, der sich u.a. um Schlafstätten kümmert, wenn der Boss mal wieder auf Tour ist. Die deutlichste Veränderung zum literarischen Vorbild besteht darin, dass der für seine ungewöhnlichen Ernährungsvorlieben bekannte Renfield hier quasi Superkräfte entwickelt, nachdem er sich an Käfern, Fliegen oder anderem Krabbelgetier labte. Also wie das Spinat bei Popeye oder die Erdnüsse bei Supergoof.
Warum ich schon wieder mal bei Comics lande: die Idee zur Variation der Vampirgeschichte stammt von Robert Kirkman, dem Comicautor, der vor allem durch das Cross-Media-Phänomen The Walking Dead große Bekanntheit erreichte, mir persönlich aber eher durch seine Comicarbeiten ans Herz wuchs (z.B. Fire Power) als durch seine Popularität darüber hinaus. Seine mit prominenten Schauspielern gespickte Dokuserie Robert Kirkman's Secret History of Comics finde ich in ihrer fast gänzlich auf US-amerikanische Superhelden limitierten Perspektive nach wie vor grenzwertig. Aber da Kirkman außer der Idee und Produzentenrolle den Film in meiner Wahrnehmung nicht umfassend geprägt hat (man achte auch hier auf die Umsetzung ins abgeschwächte Superheldengenre) will ich lieber zurückkommen zur Titelfigur, die sich ja immerhin vom bekannteren Mantelträger zu emanzipieren scheint. Also jetzt erstmal rein titelmäßig.
© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.
Renfield findet sich in einer toxischen Beziehung und landet deshalb schon zu Beginn des Films in einer entsprechenden Selbsthilfegruppe. Nachdem man damit das Genre quasi umstülpt, folgt dann eine unterhaltsame Nacherzählung der bisherigen Eckpunkte der Geschichte (der Film spielt heutzutage), und in putzigen Schwarzweißbildern orientiert man sich vor allem an der Bela-Lugosi-Version des oft verwendeten Filmstoffs. (Ich muss in solchen Fällen immer an die oft aufstrebenden Pläne denken, die klassischen Universal-Monster wiederzubeleben, wie zuletzt kurz vor der Corona-Pandemie in Leigh Whannells The Invisible Man oder zuvor den Kampf von Tom Cruise gegen eine bekannte Mumie.)
Der schon in der lose auf Shakespeares Romeo and Juliet basierenden Zombie-Schmonzette Warm Bodies als blutarmer Umtoter auftauchende Nicholas Hoult, den man auch als X-Man »Hank McCoy« aus immerhin drei Filmen kennen könnte (oder als den Knaben aus About a Boy, macht aus dem etwas unterwürfigen Igor-Verschnitt* einen veritablen und gutaussehenden Filmhelden, der nicht mehr nur dienen will und dabei von seinem von Narzissmus gezeichneten Meister (Nicolas Cage ganz in seinem Element) nicht wirklich gewürdigt wird. Dadurch, dass man die Synergie dieses selsamen Paares ganz auf die Beziehungskomponente konzentriert, schafft man eine leicht zugängliche popkultuläre Klammer und kann dann mit einer reichlich überdrehten Horrorgeschichte im Gangstermilieu überzogene Dinge ausprobieren. Da man Renfields Probleme nie wirklich ernst nehmen kann, stört man sich auch nicht daran, dass dann wahnwitzige Figuren wie der Mafia-Sprößling Teddy (Ben Schwartz) oder die mit einem unübersehbaren Aggressionsproblem belastete Polizistin Rebecca (Awkwafina) auftauchen. Renfield klotzt mit Blut und Gewalt, wo andere Filme zaghaft auftreten oder sich um Realitätsansprüche bemühen. Und wenn man als Zuschauer kein grundlegendes Problem mit dieser Herangehensweise hat, wird man sich auch unterhalten lassen können.
*Ich bin mir der historischen Ungenauigkeit dieser Bemerkung deutlich bewusst.
© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.
Wobei ich die Vorbehalte meiner Kinobegleitung teile, dass es sich hier keineswegs um »große Kunst« handelt. Aber bei einer knallbunten Superhelden-Variation eines Vampirstoffs wird das auch kaum jemand erwarten. Selbst der zu Ende des 20. Jahrhunderts auf hohe literarische Authentizität und eine kunsthistorische Aussage bedachte Francis Ford Coppola (oder noch viel früher Friedrich Wilhelm Murnau) wusste, dass es bei solch einem Genre-Stoff selbst bei höchsten Ansprüchen um Populärunterhaltung geht. Und Renfield würde ich nicht einmal besondere Ambitionen unterstellen. Die Therapieleistung des Films mag mancher Betrachter auf seine eigenen Paarprobleme ummünzen, aber das ist nie auch nur im Ansatz eine echte Existenzgrundlage dieses Films.
Wo immer man kleckern könnte, klotzt der Film. Subtile Zurückhaltung ist nicht das Forte von Regisseur Chris McKay, der leider einiges an Potential verschenkt und stattdessen auf Nebenschauplätze ausweicht. Awkwafina als Polizistin Rebecca bekommt eine kompliziert eingearbeitete Rolle in der Mafia-Geschichte (Familie, Rache und sowas), viel spannender ist aber das unterkühlte Knistern zwischen ihr und Renfield. Die beiden bewundern sich gegenseitig, aber für einen love interest fehlte wohl die Zeit. Ähnlich ist es zwischen dem Grafen und der Mafia-Matriarchin (Shohreh Aghdashloo aus The Expanse): zwei ganz interessante Figuren, deren Beziehung man durchaus untersuchen könnte, aber auch hier entscheiden sich die Filmemacher anders.
© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.
Stattdessen gibt es viele Action- und Splatter-Sequenzen, die aber immer nur knapp dem Schicksal entgehen, aufgesetzt und überflüssig zu wirken. Das Herz ist aber nie drin in diesen Szenen. Viel zu oft erkennt man, dass mehr möglich war, man sich aber dagegen entschied. Das ist schade und prägt den Film, kann aber den insgesamt positiven Eindruck nicht völlig kaputtmachen.
Fakt ist nämlich, dass man auch mit Gags von geringem Niveau das Publikum unterhalten kann. Warum viel Geld, Fachkräfte und Anstrengung aufbringen, wenn die Pastelltöne eines Pullovers oder ein running gag, der sich im Grund auf die Wortmeldung »Fuck you, Kyle!« beschränkt, Unterhaltung bieten? Hier und da ein Therapiebuch mit gut gewähltem Titel, Scherze über unterschiedlich geeignete Opfer für den Vampirfürsten oder komplett random wirkende Gespräche über Ska-Musik. Reicht ja.
»Do you know who the fuck I am? I'm Teddy fuckin' Lobo!«
»I'm Count Dracula.«
»You win.«
Ich muss sagen, einige Entscheidungen gegen Ende des Films waren wirklich nicht sehr überzeugend. Ich weiß ja, wie so eine Kinodramaturgie nach dem Lehrbuch zu funktionieren hat, aber wenn man die Hindernisse so überzogen aufbläst und ihre Überwindung letztlich auch noch den geringen Realitätsanspruch des Films pulverisiert bzw. Figuren, in die man anderthalb Stunden Emotionen investiert haben, gegen Ende wie Pappfiguren behandelt werden, tut man sich keinen Gefallen als Filmemacher.
© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.
Fun Facts
- Nicholas (Hoult) spielte schon mal den Sohn von Nicolas (Cage), und zwar in The Weather Man
- Echte Renfield-Fans erfahren im Film auch seine zwei Vornamen. Bei Stoker heißt er nur R.M. Renfield, im Film heißt er Robert Montague. Shiny!
- Vielleicht liegt es an mir, aber wenn das Schuhwerk von Dracula / Nicolas Cage gezeigt wird, muss ich immer an seine Schlangenleder-Treter in Wild at Heart denken.
Bonus-Liste: Gevatter Vorwerks
Lieblingsbücher aus den Neunzigern
- Dracula (Bram Stoker, 1897)
- Frühlings Erwachen (Frank Wedekind, 1891)
- Reigen (Arthur Schnitzler, 1897)
- Tess of the D'Urbervilles (Thomas Hardy, 1891)
- Die Traumdeutung (Sigmund Freud, 1899)
- The Picture of Dorian Gray (Oscar Wilde, 1891)
- The Complete Poems (Emily Dickinson, 1890 [posthum])
- Die Möwe (Anton Tschechow, 1895)
- The Island of Dr. Moreau (H.G. Wells, 1896)
- Hedda Gabler (Henrik Ibsen, 1890)
- Heart of Darkness (Joseph Conrad, 1899)
- The Jungle Book (Rudyard Kipling, 1894)
- The War of the Worlds (H.G. Wells, 1894)
- The Yellow Wallpaper* (Charlotte Perkins Gilman, 1892)
- Trilby (George Du Maurier, 1894)
*Okay, »Buch« ist etwas übertrieben...
Nicht in die Liste geschafft (alphabetisch): The Invisible Man, Liebelei, The Time Machine, The Turn of the Screw und diverse Theaterstücke von Oscar Wilde.
Leider noch nicht gelesen: The Awakening, The Awkward Age, Baumeister Solness, Cyrano de Bergerac, Effi Briest, Heidi, Jude the Obscure, Onkel Wanja, The Sign of the Four und What Maisie knew.