»Viele sächsische Bauarbeiter haben sich doch gefreut …«
Im Interview mit
Andreas Gläser & Frank Willmann
Eure BFC-Bücher verkaufen sich überraschend gut, sowohl die Chronik wie auch
die Erzählungen. Ergreift die DDR-Nostalgie jetzt auch noch den
Stasi-Fußballverein?
Frank Willmann & Andreas Gläser |
Andreas Gläser:
Seit es die DDR nicht mehr gibt, wird darüber diskutiert, ob
zu viel oder zu wenig über die DDR geredet wird, ob sie verharmlost wird
oder nicht. Ich war erstaunt über das Interesse an Jana Hensels "Zonenkinder" und an den Film "Good bye, Lenin!". Mein Buch lässt sich gar nicht unter der
Rubrik "Hurra - schon wieder ein DDR-Machwerk!" einordnen. "Der BFC war
schuld am Mauerbau" - das spricht doch eher den Nordosten an, man läuft auch
Gefahr, dass ein Westler damit nichts anfangen kann. Laut den Aussagen
einiger Literaturschnarchnasen werden die wesentlichen Verkaufszahlen im
Südwesten erzielt. Mit meinem Titel haben wir den Ball eher flach gehalten.
Frank Willmann:
Wir sind beide nach Westberlin ausgereist und hatten schon
deswegen mit der DDR nichts mehr am Hut. Andererseits sind wir dort
aufgewachsen, also mit dem Fußball in Berührung gekommen.
Woher kommt aber das Interesse in der Öffentlichkeit? Was macht den BFC so
attraktiv?
Gläser:
Ich denke, dass die eine Hälfte der Käufer mein Buch wegen des
Titels nimmt, die andere wegen des Untertitels, wo es um den schreibenden
Arbeiter geht: "Ein stolzer Sohn des Proletariats erzählt". Als ich 1999
mein Fanzine "BFC-Verherrlichung" unter anderem nach Schwaben verschickte,
bestellte ein Interessent gleich ein BFC-Shirt mit, weil er ursprünglich aus
Thüringen kam und nun die Häuslebauer mit einem "Stasi-Shirt" provozieren
wollte. Entweder bist du so erfolgreich wie Bayern oder so böse wie Dynamo.
Willmann:
Der BFC ist im Osten ein rotes Tuch. Das ist bestimmt ein Grund,
warum "Der Meisterclub" gekauft wird. Ich glaube nicht, dass den damaligen
Funktionären das Buch gefällt.
Aber "Der Meisterclub" nimmt den BFC in Schutz: Er habe aus eigener Kraft so
gut gespielt, dass er den Schmähruf "Schiebermeister" nicht verdient habe.
Bei genauerer Betrachtung hätten die Schiedsrichter auch gar nicht so unfair
zu Gunsten Dynamos gepfiffen, oder zumindest hätten die Schiris vor Dynamo
auch nicht mehr Respekt gehabt als heute vor Bayern München. Und die
Delegierung der besten Spieler zu Dynamo sei auch nichts anderes als das
jetzt übliche Transfergeschäft.
Willmann:
Das ist doch normal, dass die Spieler zu dem Verein gehen, der ihm
am meisten bietet. Das war in der DDR nicht anders, auf der Geldskala lagen
sie ganz oben. Außerdem hat der BFC als Meister den Spielern die Teilnahme
an den europäischen Wettbewerben geboten. Das war wiederum wichtig, um in
die Nationalmannschaft zu kommen.
Gläser:
Viele sächsische Bauarbeiter haben sich doch gefreut, wenn sie mit
der FDJ-Initiative Berlin die Bauten in Hohenschönhausen hochziehen durften
und dort flanieren konnten. Außerdem war die Versorgung dort besser. Warum
sollten ausgerechnet Fußballspieler auf Privilegien verzichten, die waren
alle freiwillig bei uns.
Und die Schiris?
Willmann:
Da muss differenziert werden. Der sehnlichste Wunsch jedes Schiris
ist es, international zu pfeifen. Dafür bewährte man sich durch gute
Leistungen in der Oberliga und durch seine Beziehungen, genau wie in der
Bundesliga. Aber die Schiedsrichter waren natürlich auch bestrebt, es sich
nicht mit den Machthabern zu verscherzen. Einige haben in vorausschauendem
Gehorsam gehandelt und haben unfair gepfiffen. Die waren zum größten Teil
IMs und einige sogar OibEs …
… Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi und Offiziere im besonderen Einsatz
Willmann:
Ja. Die Namen sind auch bekannt. Aber das ändert nichts daran,
dass der BFC die stärkste Mannschaft hatte. Gerade habe ich noch in einem
Archiv entdeckt, zu welchem Ergebnis der Deutschen Fußball-Verband 1986
wegen dieser Vorwürfe gekommen ist. Die haben viele Spiele genau untersucht
und zum Beispiel festgestellt, dass beim Pokalspiel gegen Dynamo Dresden der
Schiri Rossner insgesamt 30 Fehlentscheidungen zugunsten des BFC getroffen
hat. Es gab also Manipulationsversuche, doch man kann nicht beweisen, wie
erfolgreich sie waren. Aber im Buch steht auch, dass jahreslang der
Vorsitzende der Schiedsrichterkommission ein hervorragendes Mitglied des BFC
Dynamo war. Übrigens hat Dresden das Pokalspiel trotzdem gewonnen.
Aber das kann man doch auch anders interpretieren: Der BFC wird personell
aufgeblasen, damit der einzige DDR-Verein nicht ständig bei den europäischen
Wettbewerben in der ersten Runde rausfliegt.
Gläser:
Stimmt nicht. St. Etienne, Aberdeen, Zürich .
Willmann:
Die BFC-Spieler kamen ja gar nicht aus allen Ecken der Republik.
Die allermeisten sind als Jugendliche in Trainingslagern entdeckt und vom
BFC selbst ausgebildet worden. Hinter dem Vereinswechsel der besten Spieler
stand meist ein einfacher Grund. Auch im Westen gibt es ja ein
ungeschriebenes Gesetz, dass Nationalspieler nicht bei einem zweitklassigen
Verein spielen sollen. So kam Mäcki Lauck zum BFC, als Union abstieg, so war
es auch bei Frank Pastor vom HFC Chemie …
Gläser:
… und bei Thomas Doll, der von Rostock kam.
Zwei Fans des 1. FC Union schreiben die Geschichte ihres Konkurrenzvereins BFC Dynamo. Geht das?
Gläser:
Jörn Luther und Frank Willmann hatten mein Vertrauen. Ich fand ihr
Union-Buch gut, weil die Themen vernünftig gewichtet wurde, der ganze
Urschleim aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, nicht nur der
aktuelle Aufstieg. Und wenn das bisschen Häme gegenüber dem BFC nicht drin
gestanden hätte, hätte was gefehlt.
Willmann:
Ich bin kein Union-Fan …
Dietmar Bartz: (lacht)
Gläser: (lacht)
Willmann:
Ich bin ein Fan des FC Carl Zeiss Jena!
Gläser:
Aber du warst seit 84 nicht mehr da?!
Willmann:
Nach der Wende habe ich ungefähr fünf Spiele von denen gesehen!
Der BFC war ein Stasi-Verein. Im "Meisterclub" wird aber betont, dass auch
alle anderen Fußballvereine in der DDR parteikonform sein mussten. Also war
das MfS nichts Spezielles?
Willmann:
Nein. Die Spitzen der Vereine haben alle der gleichen Sippschaft
angehört, egal ob beim BFC oder bei Union, ob bei der Staatssicherheit oder
den Kombinaten, die Union getragen haben. Da gab es nicht die Guten und die
Bösen, die waren alle meine Feinde. Die Funktionäre von Union haben doch
nicht den Widerstand getragen. Und die SED-Bezirksleitung von Berlin ist
lieber zu Union gegangen als zum BFC, weil sie von Mielke nicht ernst
genommen wurden und nicht einmal eine Tribünenkarte bekommen hätten.
Letzlich war das alles ein Gesocks. Funktionäre sind bis heute Gesocks.
Gläser:
Als 12-, 13-Jähriger bin ich zum ersten Mal zum BFC gegangen, weil
das Stadion bei mir um die Ecke war. Aber in meinem BFC-Kiez gingen auch
viele zu Union. Die Köpenicker galten als Underdogs und bekamen schon
deswegen viel Sympathie. Aber die Leute haben nicht automatisch mit ihrem
Bekenntnis zu Union gemeint, dass sie gegen den Staat sind. Das ganze
Anti-Gehabe bei den Union-Fans hatte mit Opposition so viel zu tun, wie die
Rolling Stones mit Punkrock.
Im "Mauerbau"-Buch steht: "Es war naheliegend, zum verachteten Verein zu
gehen". In den 80ern war Union der Club der Langhaarigen, zum BFC gingen
Punks und rechte und linke Glatzen.
Willmann:
Fußballfans sind immer provokant gewesen, immer. Das ändert sich
heute, weil die Spiele immer mehr zum Event umgebastelt werden. Das
proletarische Umfeld ist nicht mehr da, wie es ja auch kaum noch Proletarier
gibt.
Unioner wie BFCer waren gegen die DDR?
Willmann:
Der harte Kern von beiden auf jeden Fall. Zumindest hatten sie
eine große Klappe und trauten sich aus der Masse heraus ein bisschen was,
Rufe wie "Stasi raus!" oder "Deutschland!". Das kam von so
Partisanenhäufchen.
Gläser:
Man war für die Wiedervereinigung, für die Aufstockung der
Bundesliga, unter anderem mit dem BFC. Und auch wenn man randaliert hat,
trug man vielleicht einen Aufnäher mit "Schwerter zu Pflugscharen", obwohl
der aus dem Kirchenumfeld kam, das gegen Gewalt war. Das war alles sehr
zusammengewürfelt. Wenn es nach Thüringen ging, fanden es die mitreisenden
Punks gut, dass sie es dort nur mit alten Bullen zu tun hatten und mal nicht
in Unterzahl waren. Die kamen erst wegen dem Rabatz , wurden dann aber auch
Fußballfans. Später blieben sie weg, weil es zu viele Glatzen gab und auch
einen nationalistischen Schub. Zu der Zeit hatte ich aber schon meinen
ersten Ausreiseantrag gestellt und war nicht mehr so oft da.
Im "Mauerbau"-Buch gibt es den Wortwechsel: "Seid ihr Fußballfans oder
Nazis?" "Ist doch das gleiche!". Im "Meisterclub" steht die Anekdote, wie
der BFC nach Leipzig fuhr. Die Fans dort riefen: "Juden Berlin!", die BFCer
riefen zurück: "Ariel Sharon".
Willmann:
Sowohl bei BFC und wie bei Union war es gang und gäbe, dass sie
außerhalb der Hauptstadt mit "Juden Berlin" begrüßt wurden. In den Provinzen
galt Berlin als Zentrum der Schacherer. Als Jude galt derjenige, der etwas
hatte, auf das man neidisch war, Bananen oder sonst was. "Ariel Sharon"
wurde gerufen, um sich drüber hinwegzusetzen. Der Witz der Berliner hat das
sofort weitergedreht.
Gläser:
Ajax Amsterdam und Tottenham Hotspurs aus London gelten ja auch als
Judenvereine. Da hängen die Fans sogar Israel-Fahnen an den Zaun und setzen
sich diese Kappen auf. Aber wenn einer aus dem BFC-Block eine Israel-Fahne
aufgehängt hat, dann flog die in den Dreck, unter der Zustimmung der
sächsischen Ordner.
Willmann:
Oder der BFC-Block hat gegen die Leipziger gerufen: "Nazis raus!"
Dabei waren doch viele selbst Nazis. Also war alles egal, Hauptsache laut
und provokant, Hauptsache schlechter Geschmack?
Willmann:
Das hat grundsätzlich was mit dem Fußballfan zu tun. Der schlechte
Geschmack ist dem Proleten sowieso zu eigen.
Gläser:
In Plauen kamen so ein paar Vogtländer Fans an unseren Block und
wollten gemeinsam mit den rechten Berlinern unsere "Kommunisten" verprügeln.
Die Sachsenbengels wurden aber gleich von Berliner Hools vertrieben. Die
wollen es nicht, wenn es zu politisch wird. Man spielt mit diesen ganzen
Sprüchen, aber man mag es auch nicht, wenn da Leute mit NPD-Flugblättern und
ähnlichem stehen.
Willmann:
Wenn die Fußballfans eine Regierung wählen würden, gäbe das eine
Koalition aus CDU und NPD, mit einem starken PDS-Anteil. Es gab auch bei
Union Schlägereien mit türkischen Fans, aber das war eher zufällig, aus
Missverständnissen heraus. Beim BFC wurde aber Anfang der 90er Jahre richtig
agitiert. Das ging auch leicht, das waren ja zeitweilig nur noch 50 Fans.
Bei Union waren es zehnmal mehr.
Union-Fans haben sich schon in DDR-Zeiten zum "ewigen Verlieren" bekannt.
Das diente zur Identitätsstiftung. Hatten die BFC-Fans, auch wenn sie gegen
die Stasi und die DDR waren, stattdessen ein verkapptes Elite-Bewusstsein?
Willmann:
Der BFC-Fan hat sich schon immer für was besseres gehalten, und
das ist bis heute so.
In den 80ern kamen 20 Prozent aller festgenommenen BFC-Fans aus Familien der
sozialistischen Intelligenz. Sind die so staatsfeindlich aufgetreten, weil
sie einerseits in den BFC hineingewachsen sind, dort aber auch die Revolte
gegen die Eltern und deren Weltanschauung ausgelebt haben?
Gläser:
Unter den BFCern gab es sowohl Arbeiter als auch Bullen. Zumindest
war das in meinem Umfeld leicht erkennbar, weil die Arbeiterkinder in den
zehngeschossigen Hochhäusern wohnten und die Bullenkinder in den
Fünfgeschossern. Das Elternhaus spielte wohl doch nicht so ne Rolle.
Willmann:
Doch. Die Intelligenz, die Funktionärsebene hat in der DDR nur
zwei Prozent ausgemacht. Es gab eine starke Anziehungskraft für die Kinder
dieser Leute, und die sind eher zum BFC gegangen.
Ist der BFC von heute identisch mit dem BFC von damals?
Gläser:
Ich finde es okay, dort mit 300 oder 500 Leuten zu stehen, mit
alten Opis und so. Ein Verein lebt auch von seinen alten Helden, und die
bringen ihre Söhne mit. Das ist kein Event-Publikum. Wenn ich alle zwei,
drei Jahre mal bei Hertha bin, wo ein Zirkus veranstaltet wird, da tun mir
die 7000 richtigen Hertha-Fans leid, die noch die 2. Bundesliga mitgemacht
haben. Die leiden anscheinend unter dem Spaßvolk, von dem sie jetzt
überrannt werden. Beim BFC ist es viel entspannter, und ich will die
dauernden Spielerwechsel nicht. Von mir aus braucht der BFC gar nicht in der
2. Bundesliga zu spielen.
Bekommen BFC und Union noch mal spielerisch miteinander zu tun?
Gläser:
Das kann schnell gehen, wenn der BFC von der fünften in die vierte
Klasse aufsteigt, sie stehen jetzt auf Platz 3. Tendenz aufwärts. Mit dem
neuen Trainer haben wir endlich jemanden, der an der Linie auch mal den Mund
aufmacht, der nicht nur auf "oben" vertraut, zumal von dort seit ewig nichts
zu erwarten ist. Im Gegenteil: Der Verein sieht sich dieser Tage genötigt,
beim Berliner Fußballverband Schiedsrichterbeobachter anzufordern, damit er
für zwei, drei diskussionswürdige DDR-Meisterschaften nicht mit einem halben
Jahrzehnt Verbandsligazugehörigkeit bezahlen muss.
Willmann:
Und wenn Union absteigt. Dann gibt es so große Finanzprobleme,
dass sie wie Mannheim oder Reutlingen wegen der Lizenz gleich in die vierte Klasse
durchgereicht werden.
Dann haben wir das Derby wieder.