Nicholas Artsrunik: Franz Ferdinand Schwarzkopf & Schwarzkopf 2006 127 S., 9,90 € » amazon
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Diese satt.org-Musikbücherschau ist, sagen wir, heterogen, also bunt gemischt. Aber der Frühling da draußen kümmert sich ja auch nicht darum, ob die Blüten vom Apfelbaum farblich gut zur Kastanie oder zu den Krokussen passen. Vielfalt is King – los geht's mit dem graphisch gewagten (= looks like Bravo in den frühen Achtzigern), aber inhaltlich unzweifelhaften Buch von Nicholas Artsrunik über Franz Ferdinand. Man kann sich natürlich fragen, weshalb über eine Band, die erst zwei Alben veröffentlicht hat, bereits die ersten Bücher verfaßt werden, aber FF sind selbstredend eine Ausnahmeband. Alex Kapranos, Nicholas McCarthy, Paul Thomson und Robert Hardy definierten den Britpop neu: Keine andere Band verknüpft Artschool und Rock`n`Roll, Style und Sound besser und schlüssiger als die Glasgower. Mit ihrem Debütalbum und dem Nachfolger You Could Have It So Much Better überzeugten sie nicht nur Millionen von Fans, sondern wurden auch zum oft kopierten Vorbild für andere junge Bands. Ihre exponierte Stellung in der Poplandschaft rechtfertigt also durchaus die Beschäftigung und Rezeption in Buchform. Autor Artsrunik ist unüberlesbar großer Fan, viele Anekdoten werden erzählt, Details ausgebreitet, aber nie auf Kosten der Fakten. Jede Menge Interviewausschnitte, Fotos, Konzertflyer runden das Buch ab und liefern ein stimmiges Bild der superfantastiken Band.
Philippe Elan & Jean-Marie Potiez: A Tribute to Frida Schwarzkopf & Schwarzkopf 2006 155 S., 29,90 € » amazon
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Kaum eine Gruppe ist auch Jahrzehnte nach ihrer Trennung so konsensfähig wie ABBA – fast jeder hat ein persönliches ABBA-Lieblingslied, bei Chiquitita bekommen alle vom Banker bis zum Indie-Hipster feuchte Augen und Waterloo kann jeder Altersheiminsasse fehlerfrei mitsingen.
Im kollektiven Gedächtnis unauslöschbar verankert sind auch die Images der Bandmitglieder – ABBA gelten als Vertreter des originären Siebzigerstyles mit ihren glitzernden Overalls, Plateauschuhen und zweifelhaften Frisuren. Ich persönlich mochte ABBA nie so richtig gern, nicht zuletzt, weil mich das eine Pärchen, Benny und Frida, optisch entfernt an meine Eltern erinnerte. Schon als Kind war mir offenbar klar, daß Popstars nicht so aussehen sollten wie die eigenen Erziehungsberechtigten. Unbestreitbar ist allerdings die außergewöhnliche Schönheit von Anni-Frid Synni Lyngstad aka Frida, weshalb die Autoren Philippe Elan und Jean-Marie Potiez einen prallen Bildband mit jeder Menge biografischer Details über die Siebzigerikone zusammengestellt haben. Das Buch ist für ABBA- und/oder Frida-Fans natürlich ein Must, aber auch für Pophistoriker und Seventiesfreaks. Und aktuelle Fotos gibt es auch.
John Robb, Oliver Craske (Ed.): Punk Rock. An Oral History Ebury Press 2006 576 S., 24,90 € » amazon
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Noch nicht auf Deutsch erschienen ist Punk Rock. An Oral History (Hg. John Robb), was den interessierten Fan aber nicht von der Lektüre abhalten sollte. Dieser 600-Seiter ist das ultimative (um auch mal dieses verabscheuungswürdige Wort zu verwenden) Werk über die Entstehung von Punk in Great Britain, in dem die Protagonisten selbst zu Wort kommen – seltsamerweise gab es das noch nicht. Vorbilder in Sachen „Erzähle Geschichte durch Interviews“ gibt es hingegen schon seit einer ganzen Weile: Legs McNeils' Please Kill Me kümmerte sich um Punk in den USA und Jürgen Teipel hat mit Verschwende Deine Jugend eine authentische Zusammenschau des deutschen Punk verfaßt. Bücher über britischen Punk gibt es natürlich, monumental und unerreicht ist Jon Savages' England's Dreaming, das sehr spät in deutscher Übersetzung erschien (Edition Tiamat), doch bisher keine oral history, die nun bei Ebury Press erschienen ist. John Robb qualifiziert sich für die Herausgeberschaft schon allein durch die Tatsache, daß er Sänger der Membranes war, einer Punkband der ersten Stunde, die es leider nicht zu nachhaltigem Ruhm brachte.
Punk Rock ist prall gefüllt mit Anekdoten, altbekannten Geschichten – neu erzählt, und jeder Menge Nerdwissen. Robb hat -zig Überlebende der Punkära interviewt, als besonders eloquent und auskunftsfreudig erweisen sich John Lydon (wer hätt's gedacht), Mick Jones, Ari Up (Sängerin der Slits) und Marco Pirroni (spielte unter anderem bei Adam & the Ants). Dank Don Letts (Filmemacher, Multitasker) wird man darüber aufgeklärt, daß The Look of Punk keineswegs nur durch Vivienne Westwoods und Malcolm McLarens notorischen Sex-Shop auf Londons Kings Road bestimmt wurde: im nur wenige Meter entfernten Acme Attractions verkaufte Don Letts die unverzichtbaren Punk-Accessoires an Leute wie Sid Vicious und Joe Strummer. Letts ist auch einer der Ersten gewesen, der die Punks mit Reggae bekannt machte, als Schwarzer identifizierte er sich sowohl mit Reggae (the real rebel music) als auch dem antigsellschaftlichen Ansatz der größtenteils weißen Punks. Bands wie The Clash vereinten später auf ihren Platten die beiden Pole Punk und Reggae. Robbs Interviewsammlung wirft auf viele vermeintlich bekannte Überlieferungen und Mythen einen frischen Blick und erzählt die Punk History zum Teil wirklich neu. Liest man vorher oder nachher noch Simon Reynolds' Rip it Up and Start Again (Faber & Faber, bald in deutscher Übersetzung erhältlich!), kommt man bestimmt nicht mehr auf die Idee, die Siebziger und Achtziger seien grauenvolle Jahre für die Popmusik gewesen.
Jörg Metelmann (Hg.): Porno Pop. Sex in der Oberflächenwelt Königshausen & Neumann 2006 208 S., 16,80 € » amazon
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Von Punk Rock ist es nur ein kleiner Schritt zu Porno Pop, zumindest vom Klang der Begriffe ausgehend. Der Kulturwissenschaftler und Germanist Jörg Metelmann versammelt in diesem Reader verschiedene Texte rund um die Fragestellungen was ist Pop?, was ist Porno? und wie eng diese Bereiche miteinander verzahnt sind. Dabei spielt Popmusik eine eher untergeordnete Rolle, die Autoren behandeln die Themenbereiche Politik & Öffentlichkeit, Krieg & Gewalt, Kunst, Theater, Literatur & Film und zum Schluß Music, Television & Clipworld. Die Ansätze könnten unterschiedlicher nicht sein und lassen sich nicht auf die Formel Pop = Porno (oder umgekehrt) bringen. Autoren wie Clemens Pornschlegel (sic!) beschäftigen sich mit umfassenderen Fragestellungen wie dem sexuellen Machtanspruch der Konsumgesellschaften; Nikolai Wojtko untersucht das „pornoisierte Bild der Gewalt“ in Nachrichten und TV, und Svenja Flaßpöhler sieht – durch Künstlerinnen wie Peaches – im PornoPop durchaus eine Chance für die Populärkultur. Personen wie Jenna Jameson (siehe auch ihre Biografie bei Heyne Hardcore, PornoStar), verkörpern buchstäblich die Symbiose von Popkultur und Pornobusiness – um sie und andere Pornodarstellerinnen, aber auch um den Einsatz pornografischer Mittel in der Werbung dreht sich der Artikel des Herausgebers Metelmann, Flesh for Fantasy. Das Porno-Pop-Format.
TV-Sender wie MTV und HipHopper wie Eminem werden im Pornopop-Kontext häufig genannt; ebenso der unlängst entstandene Wirbel im Blätterwald, entfesselt durch Küsse, die Mama Madonna an ihre Ziehtöchter Britney Spears und Christina Aguilera während einer MTV-Awards-Verleihung verteilte. Schaut man sich die „skandalöse“ Szene nochmal an, wird klar, wie lächerlich und übertrieben der mediale Aufschrei angesichts der fake-lesbian-Küßchen war. Porno Pop bietet wenige Antworten auf „Fragen, die Sie niemals zu stellen wagten“, liefert aber wichtige neue Ansätze und Einblicke rund um den medialen Ge- und Mißbrauch von Körpern und Sex.