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Mai 2008
Robert Mießner
für satt.org

Keine Gewinner

Johnny Dowd ist 60. Matt und milde gibt er sich auf »A Drunkard’s Masterpiece« noch lange nicht.

  Johnny Dowd: A Drunkard’s Masterpiece


Johnny Dowd
(Fotos © Kat Dalton)

Johnny Dowd Band
v.l.n.r.: Michael Stark, Willie B, Johnny Dowd, Kim Sherwood-Caso

 Johnny Dowd : A Drunkard’s Masterpiece

Willie B ist zur Zeit mit Jamie Lidell auf Tour und an vier Abenden in Deutschland zu hören:
  • 10. Mai 2008 20.00 Uhr: Admiralspalast Berlin
  • 11. Mai 2008 20:00 Uhr: Mousonturm Frankfurt am Main
  • 12. Mai 2008 20.00 Uhr: Übel & Gefährlich Hamburg
  • 15. Mai 2008 20.00 Uhr: Die Registratur München

Jeden Tag schließt in Ithaca, US-Bundesstaat New York ein grauhaariger, eher schmaler Mann mit markanten Gesichtszügen die Tür zu seinem Umzugsunternehmen auf, sorgt dafür, dass anderer Menschen Hausrat pünktlich und vollzählig von A nach B gelangt. Ist die Arbeit getan, knöpft er sich den amerikanischen Traum vor. Der Mann heißt Johnny Dowd, und was er da sieht ist, so abgedroschen das klingt, ein Alptraum, ein Tunnel, in dem das Licht in immer weitere Ferne rückt. Es gäbe Intensität, und es gäbe Johnny Dowd, meint Time Out London und spricht von Dowd als Nick Cave mit einem Kater. Einem sehr schlimmen, möchte man ergänzen. Ähnlich Cave ist Dowd aber nicht einfach dunkler Barde, sondern verfügt ebenso über grimmigen Humor und Groove. Er ist auch einer der selten gewordenen Menschen, die sich nicht zieren (auf »Cruel Words«, 2006), das Wort Arbeiterklasse zu gebrauchen. Als er vor zwei Jahren im Deutschen Theater auftrat, hatte die Hauptstadtpresse für den Abend fälschlicherweise Tschechow angekündigt. Dowd und seine großartige Band, Michael Stark an den Tasten und Willie B, Drummer und Basspedale, eigentlich und im Ernst heißt er Brian Wilson, brachten stattdessen die wilden Geister von Black Sabbath, James Brown und Thelonious Monk in den edlen Saal. Dowd sollte am nächsten Tag seinen Geburtstag feiern. Ein Fan stellte ihm eine Flasche Wein auf die Bühne, die dann fast noch zu Bruch gegangen wäre. Passiert ja normalerweise nur in der Volksbühne.

Ende März ist Dowd 60 geworden. Während die Jugend früh vergreist erscheint, hat er, der sein Debütalbum mit 50 veröffentlichte, jetzt eine Platte gemacht, die so kühn, witzig und wehmütig ist, dass man am sie am liebsten im Dutzend kaufen und verschenken möchte. Dowds Musik hat sich über die Jahre von eher archaischem Countryblues in einen ziemlich überdrehten, durch Jazz, Metal und Progrock gebrochenen Funk verwandelt. Auf »Union of Idiots«, das unsichtbare Band zwischen Publikum und Künstler ansprechend, wird Deep Purples »Smoke on the Water« zitiert. Befragt nach dem tieferen Sinn hinter »A Drunkard’s Masterpiece«, antwortet er mit dem Krieg der Geschlechter. Und der kenne keine Gewinner, nur Überlebende. »A Drunkard’s Masterpiece« ist an mehreren Stellen ein reichlich frivoles Album. »Caboose«, ein schelmischer Song mit Kim Sherwood-Caso, im bürgerlichen Beruf Friseurin und nach längerer Pause wieder fest in Dowds Band, meint natürlich weder Dienstwagen noch Kombüse, sondern das Hinterteil der Besungenen.

Es gibt durchaus so etwas wie einen trotzigen Frohsinn auf diesem einzigartigen Konzeptalbum, von Dowd als Dreiteiler präsentiert. Jeden Part leitet er mit kurzen Spoken-Word-Schnipseln ein. »Everybody wants to go to heaven, but nobody wants to die«, erfahren wir. »Putting lipstick on a pig« heißt es später. Und blasphemisch: »Thou shalt not covet thy neighbor’s ass«. In den Songs werden Ehen gebrochen, wissen Menschen, nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen und vertrauen weder Anwälten noch Priestern. Sie denken besser nicht mehr über ihre Lage nach. Ihre Erinnerung ist ein einziger Schmerz. Es ist die Welt, in der wir leben. Ohne zu zögern, sollte man Dowds Texte als sozialen Realismus bezeichnen. Schwer vorzustellen, dass er über iPods, Haarschnitte und Partywochenenden singt. In die Geschichten aus der privaten Hölle, wie zum Hohn haben gerade die Zeugen Jehovas an meiner Tür geklingelt, webt er Berichte aus der größeren. Männer treten auf, deren Tod nur noch eine Formalität ist. Gestorben sind sie bereits in Vietnam. »Adultress« ist einer von vielen Songs, die Kim Sherwood-Caso alleine am Mikrofon bestreitet. Selten wurde so von Müdigkeit und Verzweiflung gesungen, wie es Sherwood-Caso hier tut. Sie hat auch das letzte Wort auf »A Drunkard’s Masterpiece«. Vorher zählt sie noch in »Maybe Brazil« den halben Erdball auf, wenn es darum geht, einfach nur noch abhauen zu wollen. Hauptsache weit weg. Wir sind alle Amerikaner.



» www.johnnydowd.com
» myspace.com/johnnydowdband

Johnny Dowd auf satt.org:
» Cruel Words (2006)
» Hellwood – Chainsaw of Life (2006)
» Tzar (Willie B und Michael Stark) – s/t (2007)