23. Mai 2008
Felix Giesa
für satt.org

Erlangen 2008

Erlangen 2008
Erster Zwischenbericht

Seit dem gestrigen Fronleichnam-Feiertag ist es endlich wieder soweit – der „13. Internationale Comic-Salon Erlangen“ ist im vollen Gange. satt.org ist seit gestern Nachmittag vor Ort und macht sich ein Bild vom umfangreichen Treiben. Die Besucher werden regelrecht von der Unmenge an Ausstellungen, Podien, Signierstunden und natürlich den Ständen der Verlage erschlagen. Wir haben es ruhig angehen lassen und erst einmal ein Podium zum Thema „Comics statt Schule – Was können Comics an Schulen leisten?“ besucht.

In einer hochkarätigen Expertengruppe wurden die Fragen nach der Möglichkeit des Einsatzes von Comics als Unterrichtsmedium diskutiert, die Frage, ob Comics überhaupt noch zeitgemäß in der Leserealität von Schulkindern sind und schließlich auch, die Möglichkeiten der eigenständigen Produktion von Comics im (Litera­tur-)Unter­richt. Julia Franz vom Anne Frank-Zentrum Berlin wusste von ersten Erfolgen des Einsatzes des Holocaust-Comics „Die Suche“ in Schulklassen der 7. bis 10. Jahrgangsstufen zu berichten. Die SchülerInnen sind dem Gegenstand Comic in der Regel sehr aufgeschlossen und lassen sich durchaus auf eine kritische Auseinandersetzung ein. Das Problem, so Franz, wäre eher der Lehrkörper, der über kaum bis gar keine Kompetenzen im Umgang mit Comics verfügt. Dies wusste auch Peter Schaaff zu berichten, der in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz NRW den Aufklärungscomic „Andi“ geschaffen hat. Mit dem zweiten Teil und bereits mehreren Auflagen sind mittlerweile gut 500.000 (!) Exemplare im Umlauf. Doch stellt der Einsatz von Comics im Unterricht die Schüler auch vor Probleme. So führte René Mounajed von der Universität Göttingen aus, dass „Comiclesen eine gesonderte Kompetenz im Rahmen der Lesekompetenz“ darstellt, die es erst zu erlernen gilt. Dieses aufzugreifen ist teilweise der Ansatz von Stefan Dinters Projekt „Comics machen Schule“. In einführenden Stunden werden den SchülerInnen erst die Grundlagen des Comics vermittelt, bevor diese sich an eine eigene Comicproduktion machen. Über den Erfolg bzw. Nicht-Erfolg dieser Projekte wussten alle Teilnehmer bisher nur wenig zu berichten – der Einsatz von Comics im Unterricht befindet sich gerade einmal in einem Projektstadium und so schloss man auch mit einem Beitrag aus dem Publikum, dass „auch im pädagogischen Comic das Beste für Kinder gereade gut genug“ zu sein hat.

Die ICOM-PreisträgerInnen im Überblick
  • Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Comicpublikation:
    Fil: „Didi & Stulle # 1- 7“ (Reprodukt)
  • Herausragendes Artwork:
    Reinhard Kleist: „Secrets of Coney Island“ (Edition 52)
  • Bester Kurzcomic Funny:
    Oli Ferreira und René Roggmann: daniel & oleg (Zwerchfell)
  • Bester Kurzcomic Realistisch:
    Tobi Dahmen: „Sperrbezirk“ (Schwarzer Turm)
  • Bester Independent Comic:
    Line Hoven: „Liebe schaut weg“ (Reprodukt)
  • Sonderpreis der Jury für eine bemerkenswerte Leistung:
    Burkhard Ihme (Langjähriges Mitglied des ICOM und Geschäftsführer)
  • Lobende Erwähnungen:
    Harald Kuhn: „Shokun“ (Studio Koketsu)
    Spong: „Halbstark“ (Katzenjammer Comics)
    Dirk Schwieger: „Moresukine“ (Reprodukt)
    Hollers Weyrauch: „Kommissar Kötza – Der Tolle von Bölz: Das Harnsteinzimmer“

Wesentlich gelöster von solch wissenschaftlichen Diskursen ging es auf der Verleihung des „ICOM Independent Comic Preises 2008“ zu. In sechs Kategorien wurden Preise für Titel aus dem unabhängigen Verlags- und Untergrundbereich vergeben. Gut gelaunt und vom Publikum herzlich aufgenommen moderierte Harald Havas die Verleihung und die Laudationes. In einem Kunstgriff gestalteten die Jurymitglieder kurzerhand die Kategorien um und so wurden erstmals seit Jahren wieder Preise in den Kategorien „Bester Kurzcomic Funny“ und „Bester Kurzcomic Realsitisch“ als Ersatz für „Bestes Szenario“ vergeben. Ersteren konnten Oli Ferreira und René Roggmann für „daniel & oleg“ einheimsen, letzterer ging an Tobi Dahmen für „Sperrbezirk“. Dahmen wurde gelobt für seine „sensiblem Geschichten über Einsamkeit“, die mutig von Exfreundinnen erzählen und trotzdem optimistisch sind. Besonders eindeutig war diesmal die Entscheidung für den „Besten Independent Comic“ gefallen: Einstimmig entschied sich die Jury für Line Hovens „Liebe schaut weg“. Wenn heute Abend der „Max und Moritz-Preis“ vergeben wird, dann wird es sicherlich wesentlich steifer und moderater zur Sache gehen. Schön, dass auf dem mittlerweile doch sehr etablierten Comic-Salon noch Veranstaltungen mit solch einem Punk-Faktor stattfinden!

Heute Morgen erreichte uns dann eine sehr schlechte Nachricht: Nachdem Alan Moore, der den diesjährigen „Max und Moritz-Preis“ für sein Lebenswerk erhält, bereits abgesagt hatte, wurde nun auch das angekündigte Gespräch mit seiner Frau Melinda Gebbie abgesagt. Bei Cross Cult erschien zum Comic-Salon Moores und Gebbies Opus Magnum „Lost Girls“.

Wir haben uns dann auf der Ausstellungsseite im „Museumswinkel“ umgesehen. Aufgefallen ist besonders die große Hendrik Dorgathen-Retrospektive. In einer abwechslungsreichen Schau wird reichlich „Comicoides“ geboten, immer wieder kehrt dabei das Motiv des Gesichts/ der Maske. Sowohl die eher illustrativen Werke, als auch die Comics leben sehr stark vom Ausdruck der Gesichter – und dem was sich dahinter verbirgt. Die Kombination von Collagen, Comics, Illustrationen und Installationen macht diese Ausstellung zu einer der interessantesten auf dem diesjährigen Salon, da sie im Gegensatz zu anderen Ausstellungen über das reine Aufhängen von Comicseiten, die nun einmal nicht für das Aufhängen an Museumswänden gemacht wurden, hinausgeht. Wird die Präsentation von Line Hovens „Liebe schaut weg“ in der Schau „In die Seele geritzt“ durch die Kombination von Comicseiten mit Familienportraits ergänzt und verleiht dem Gezeigten so eine neues Maß an Authentizität, so langweilt „Epische Reisen“ mit Originalen Christophe Blains den Besucher doch sehr schnell. Lediglich einen regelrechten Haufen von Scribbles und getuschten Seiten aufzuhängen wirkt auf Dauer etwas dröge.

Copyright: Hendrik Dorgathen: Der Stahlgolem. Tusche, digital, 2006
Der Stahlgolem. Tusche, digital, 2006
Copyright: Hendrik Dorgathen

Aber zum Glück warten noch mehr Ausstellungen auf, von denen zwei besonders herausstechen: „Fumetto heute! – Gipi und die neuen italienischen Erzähler“ liefert einen beeindruckenden Einblick in Produktion und Schaffen der hierzulande eher unbekannten Szene. In drei Ringen sind die Stellwände angeordnet, in deren Zentrum sich Originale Gipis, als den Vorreiter der neuen ,Macher’, finden. Von den blau aquarelierten Tuschezeichnungen von Marco Corona über den verspielten Strich von Maurizio Ribidinis Adoleszenzgeschichten bis zu den kräftigen schwarz-weiß Kontrasten der wortlosen Comics von Pasquale Todiso a.k.a. Squaz – diese Geschichten machen Lust auf mehr und man kann sich nur wünschen und hoffen, dass es bald eine Anthologie oder einen verspäteten Katalog zur Ausstellung „Fumetto heute!“ geben wird.

Copyright: Gipi: Die Unschuldigen. Seite 21 – avant-verlag
Die Unschuldigen. Seite 21 – avant-verlag
Copyright: Gipi

Eine Anthologie zu „Pomme d’Amour – 7 Geschichten über die Liebe“ gibt es bereits, schließlich hat diese die Ausstellung mit gleichem Namen bedingt. Wir haben einige Künstlerinnen dieses reinen Frauenprojekts getroffen und werden in den nächsten Tagen in einer Rezension und einem Interview genauer berichten.

Derweil ging es auf dem Podium spannend weiter: In der von Christian Gasser moderierten Sitzung „Comic und Literatur“ ging es zum einem um den nun mehr als virulent umtriebigen Begriff der ,Graphic Novel’, als auch um Comics als Form von Literatur und der Möglichkeiten, sich dem Comic vermittels der Literaturwissenschaft anzunähern.

Fürs erste soll es das gewesen sein. Heute um 21:00 Uhr wird der „Max und Moritz-Preis“ verliehen, was sicherlich den heutigen Höhepunkt darstellen wird!