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15. August 2011
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Felix Giesa
für satt.org |
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Mögest Du in interessanten Zeiten leben …Bereits vor ein paar Jahren wurde im Feuilleton das vermehrte Aufkommen von Biographien durchbuchstabiert und kommentiert. In der FAZ etwa wurde zu den Über Ich-Büchern festgestellt, dass sie besonders ob erlebnisarmer Zeiten zunehmend Absatz fänden. Für den Comic galt und gilt dies natürlich in gleicher Weise, eine Schiller-Comicbiographie gab es natürlich zeitgleich zu erwähntem Artikel auch; doch schwamm diese wohl eher auf dem Erfolg der gesamten Schillerwelle mit. Inzwischen jedoch hat sich die Comicbiographie einen festen Platz erarbeitet: Die kleinen Comicbiographien des Zeichners Willi Blöß erscheinen nun seit bald fünfzehn Jahren und die Gesellschaft für Comicforschung widmet ihre diesjährige Tagung diesem und angrenzenden Phänomenen (Reportagecomics. Dokumentarische Comics. Comicbiographien. Passau 11.-12. November 2011. Das es für die Comicbiographie so kam, hat sicherlich mit einigen herausragenden und sehr erfolgreichen Titeln zu tun. Ein erstes Wetterleuchten dieses sich ankündigenden Trends könnte vielleicht Igorts und Sampayos Fats Waller gewesen sein. Der italienische Comicmeister und sein argentinischer Szenarist entwerfen eine Biographie des begnadeten Jazzmusikers Waller, die nicht einfach nur Biographie ist. Sampayo versteht es ausgezeichnet, die Improvisation des Jazz in seiner gewundenen Handlung für den Comic zu adaptieren, wenn er nicht nur dem Hauptthema – also Fats Wallers Leben – folgt, sondern immer wieder weitere Stränge hinzufügt, ausprobiert, andeutet. Letztlich entsteht so nicht nur eine Biographie Wallers, sondern auch eine seiner Generation, des Zeitgeistes. Im Extrem findet sich das wohl in Tardis Elendem Krieg, der, wenn man so möchte, anhand einer fiktiven Biographie, die Biographie einer ganzen Menschheitskohorte zeichnet. So gesehen ist Fats Waller mit seiner Verbindung von faktisch-biographischem mit fiktiver Handlung eine Blaupause für viele nachkommende Comicbiographien, die sich häufig ebendieses Prinzip auf die eine oder andere Weise nutzbar machen. So bedient sich Peer Meter bei Gift einer jungen Frau, die lediglich auf der Durchreise ist, um die Geschichte der Gesche Gottfried zu erzählen.
Für sein großes Kuba-Abenteuer geht Reinhard Kleist ebenso vor. Nach einem Aufenthalt auf Kuba, beschloss Kleist, eine Biographie über Fidel Castro zu zeichnen. Der fiktive deutsche Journalist Karl Mertens dient ihm dabei als Erzähler, als Berichterstatter über Fidels Leben. Als junger Mann kommt Mertens, angelockt von den anstehenden geschichtlichen Umwälzungen, nach Kuba, um über Fidels Revolution zu berichten. Er kommt ihm nahe, wird von ihm eingenommen und bleibt letztlich für immer im ‚kommunistischen Paradies’. Der Gewinn dieses Vorgehens liegt schnell auf der Hand: Kleist gelingt so eine hoch subjektive Darstellung des ‚Máximo Líder’, auch und gerade, da es sich bei Mertens um einen Journalisten handelt. Er kann ein Heldenbild malen und muss sich nicht zu sehr mit Kritik an Castro aufhalten. Dass diese dennoch vorhanden ist, erklärt sich auch an der porträtierten Figur. Castro ist eine Popikone, sein Konterfei fast so bekannt wie das seines ehemaligen Kompanions Che Guevara. Und wie ein Popstar hat Castro natürlich auch Unmengen Schwächen und Fehler, die ein Anhänger aber gerne verzeiht. Das es sich um die Lebenserinnerungen eines Zeitgenossen Castros handeln soll, transportiert Kleist visuell mit einem Strich, der viel lockerere, freiere Linien erlaubt, als man das von ihm kennt. Cash oder auch frühere, meist ja schwarz-weiße Arbeiten, wie Das Grauen im Gemäuer, sind wesentlich strenger, klarer in ihrer Ausführung. Hier nun transportiert das mäandernde der ziselierten Linien den romantisierenden Rückblick eines alten Mannes auf (s)ein abenteuerliches Leben im Schatten des großen Revolutionärs. Im Ansatz streng biographisch wie etwa in Kleists letzter großen Biographie I see a Darkness und sich ebenfalls auch mit Musik befassend geht dagegen Arne Bellstorf vor. Nach seinem durchaus erfolgreichen Debüt Acht, Neun, Zehn, liegt mit Baby’s in Black. The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe Bellstorffs zweite eigenständige Comicerzählung vor. Streng biographisch ist sie deswegen, weil er hauptsächlich bei seinen Figuren bleibt, sich höchstens auf biographisch relevante Nebenfiguren einlässt. Die Geschichte um die deutsche Fotografin Astrid Kirchherr und den verlorenen Beatle Sutcliff, die sich im Hamburg der beginnenden 1960er Jahre kennen und lieben lernten, zählt für Beatlefans sicherlich zum Kanon dessen, was man über die Band weiß. Ansonsten ist die Episode eher unbekannt. Denn tatsächlich handelt Baby’s in Black herzlich wenig von Musik und das obwohl die Beatles entscheidenden Anteil an ihr haben. Dazu passt streng genommen, dass Bellstorff kürzlich in einem Interview bekannte, man könne Musik gar nicht im Comic abbilden. Hätte er das gewollt, Baby’s in Black wäre wohl ein vollkommen anderer Comic geworden. Doch ‚die Geschichte von Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe’ handelt viel mehr von Kunst. Die Fotografin und ihr Ex-Freund Klaus, der sie überhaupt erst zu einem Beatles-Konzert mitnimmt, sind beide ehemalige Studenten der Meisterschule für Gestaltung in Hamburg und in ihren Gesprächen dringt immer wieder die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten durch. Genau diese Suche nach einer künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit ist auch Stuarts Antrieb. Der künstlerisch ambitionierte und durchaus begabte Beatle findet in Astrid genau die Person, die an diesen Trieb glaubt und ihm zu einem Meisterstipendium an der Hamburger Kunsthochschule verhilft. Somit ist es aber nun auch kein Comic nur über Kunst, sondern mehr noch über den künstlerischen Schaffensprozess des einzelnen. Da sich Bellstorff wie gesagt auf seine beiden Hauptfiguren konzentriert, erfahren wir natürlich auch eine Menge über das menschliche Geflecht hinter diesem künstlerischen Prozess. Und dass es ihm genau darum geht, erkennt man daran, dass er die Produkte dieses Prozesses, also Stuarts Gemälde, nicht zeigt. Der Diskurs über die Kunst steht im Vordergrund. Um dem auch graphisch gerecht zu werden, hat Bellstorff sich weit von den analytisch unterkühlten Zeichnungen seiner Adoleszenzgeschichte Acht, Neun, Zehn entfernt. Schwarz, wie das, mit dem Stuart für seine Kunst experimentiert, ist die beherrschende Farbe, abgestuft durch Weiß und Grau. Dabei ist die Umgebung streng geometrisch, wirkt oft einengend, wohingegen die Figuren flüchtig und grob erscheinen. So wie auch Stuarts Leben nur sehr flüchtig war. Geblieben ist seine Kunst und also Erinnerungen.
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