Wettbewerb, außer Konkurrenz
Zhou Yus Zug
Zhou Yu de huoche
Bei diesem Film handelt es sich nicht um den vierten Berlinale-Film von Tony Leung Chiu-wai neben "
Infernal Affairs", "
Hero" und "
Chinese Odyssey 2002", denn der Hauptdarsteller hier heißt Tony Leung Ka-wei und ist allenfalls aus Jean-Jacques Annauds "L'Amant" bekannt. Allerdings wird ihm auch durch Gong Li, eine der bekanntesten chinesischen Schauspielerinnen ("Rote Laterne", "Qiu Ju", "Farewell, my Concubine"), die Show gestohlen, denn letztere tritt in einer Doppelrolle auf, was sehr zur Mysteriösität des Films beiträgt …
"To get to your heart, sometimes my voice becomes fragile,
Gentle breeze caresses the eel-shaped ice crack.
Lake Celestial, the enchanted celadon,
Melting in my hands soft as your skin …
She brims over my Lake Celestial
Completely filled, just you, filled completely."
'My Lake Celestial' dedicated to Zhou Yu by Chen Ching
[dem Pressematerial entnommen, in den Untertiteln heißt der "Lake Celestial" Kwan Ha oder so ähnlich …]
Die junge Xiu reflektiert über ihre Beziehung zu dem Dichter Chen Ching und deckt dabei die Geschichte ihrer Vorgängerin Zhou Yu auf. In einem Gedichtband mit dem Titel "Zhou Yus Zug" erfährt sie von der Liebesgeschichte zwischen dem Bibliothekar und der Porzellanmalerin, die durch Zhou Yus Verehrung von Chen Chings Gedichte beginnt. Regelmäßig nimmt sie eine lange und beschwerliche Zugfahrt auf sich, um ihren Geliebten zu treffen, doch als jener erfährt, daß sie vor allem den Dichter und weniger den Mann liebt (unter anderem veranstaltet sie eine desaströse Lesung und veröffentlicht mit ihrem eigenen Geld eine Gedichtsammlung), nutzt Chen Ching die Chance, in eine entlegene buddhistische Bibliothek versetzt zu werden. Die beiden sehen sich nie wieder, für Chen Ching das perfekte Ende einer überirdischen Liebe, doch Zhou Yu trifft darauf den lebenslustigen Tierarzt Zhang (Sun Honglei, bekannt aus Zhang Yimous "The Road Home"), mit dem sie sich nach anfänglichem Zögern auch in eine Affäre stürzt. Und das Schicksal Zhangs spiegelt stark das der Xiu, was sogar soweit führt, daß er ihr schließlich folgt, als sie ein letztes Mal mit dem Zug in die Stadt fahren will, in der Chen Ching längst nicht mehr lebt. Kurzfristig steigt sie aber aus, und der später zurückkehrende Zhang erzählt ihr, daß er Chen Ching bei einer Lesung, die ein großer Erfolg war, erstmals sah. Dieses Happy End, das er für sie erfindet, verbessert ihren Zustand aber nicht. Schließlich fährt sie einmal mit dem Autobus statt dem Zug, wohl um Zhang zu verlassen und Chen Ching bei seinem Arbeitsplatz in den Bergen wiederzusehen, doch der Bus verunglückt in einer nicht völlig real erscheinenden Szene.
Xiu liest währenddessen in Zhou Yus Zug die Gedichtsammlung und sieht für einige Momente die irgendwie geisterhaft erscheinende Zhou Yu ihr gegenübersitzend. Als sie ihrerseits ihrem Geliebten davon erzählt, klärt dieser sie auf, daß das unmöglich ist, weil Zhou Yu bei einem Autounfall starb.
Der Film ist ähnlich fragmentarisch/lyrisch inszeniert wie ein Gedicht. Es gibt wiederkehrende Bilder, die in eine Narration gedrängt Flashback oder Flash Forwards sein könnten (die zerbrochenen Paar-Schalen), und schon durch die Doppelbesetzung der weiblichen Protagonisten drängt sich das Gefühl auf, daß die Geschichte der Zhou Yu eine Projektion Xius sein könnte. Aber man kann den Film auch völlig real verstehen, es wird (wie in einem Gedicht) nicht wirklich aufgeklärt, ob die Geschichte der Zhou Yu (insbesondere die Liebe zu Zhang) direkt aus den Gedichten Chen Chings entnommen ist. Auch das Geheimnis um den nebelverwobenen womöglich nicht existierenden See, mit dem der Dichter seine Geliebte vergleicht, trägt zur Verwirrung und poetischen Mehrdeutigkeit bei.
Zu der hochkarätigen Crew des Films gehören etwa der Kameramann von "Suzhou River" und Komponist und Cutter von "In the Mood for Love". Und diese tragen auch stark zu der Faszination des Films bei. Aber abgesehen von der Enttäuschung, daß Tony Leung plötzlich so anders aussieht, trug wohl auch die irrationale Narration des Films dazu bei, daß ich das Kino nicht wirklich begeistert verließ. Gerade die Idee einer zweideutigen weiblichen Doppelrolle war für mich in "Suzhou River", "Lost Highway" oder natürlich "Vertigo" bereits besser ausgearbeitet, und die überirdische Leidenschaft zwischen Zhou Yu und Chen Chings übertrug sich eher schleppend auf mich, wahrscheinlich führte auch die parallel erzählte, eher bodenständige Love Story mit Zhang dazu. Und im Gegensatz zu etwa "Suzhou River" gab ich viel zu früh auf, in die fragmentarisch-verwirrende Geschichte Ordnung hereinbringen zu wollen. Was ja letztendlich wohl auch richtig war, denn der Film will ja gar nicht bis ins letzte verstanden sein, sondern entzieht sich einer strikten Narration. Was sicher interessant ist, aber einen bei dieser nicht wirklich innovativen Geschichte und nach zehn Tagen Berlinale nicht mehr aus dem Kinosessel reißt.