"The Stratosphere Girl blends European storytelling with Japanese anime cartoon power into a stylized action-mystery. With a stunning visual concept, director M. X. Oberg and cinematographer Michael Mieke vividly capture an alienating world."
Soweit der Werbetext, der schon ein wenig skeptisch macht. Ich werde mal versuchen, diese Versprechungen in eine angemessene Erwartungshaltung zu übersetzen.
"European storytelling" bedeutet, daß der Film Produzenten in nicht weniger als sechs europäischen Ländern hat, darüber hinaus Darsteller aus weiteren Ländern vorweisen kann (etwa die Schwedin Tuva Novotny aus Jalla! Jalla! oder den Belgier Filip Peeters aus Baby), und die Story zu allem Übel von einem von der Hauptdarstellerin gesprochenen Off-Kommentar begleitet wird, der klarmacht, daß Englisch zwar die Europa verbindende Sprache ist, aber sich nicht in jedem europäischem Staat gleich gut anhört.
"Japanese anime cartoon power" ist die sehr euphemistische Beschreibung des Hobbys der Hauptfigur Angela, die gerne zeichnet, und den Film mit ihren nur in wenigen Momenten irgendwie an Manga (so heißen die japanischen Comics, mit Animationsfilmen hat der Film gar nichts zu tun, die Verwechslung von Anime und Manga scheint sich aber nicht ausrotten zu lassen) erinnern.
"A stylized action-mystery" bezieht sich auf die in einem japanischen Nobel-"Club" stattfindende Story über Angela und ihre zumeist europäischen Hostessen-Kolleginnen, von denen eine vor Angelas Eintreffen in Japan verschwunden ist. Allzuviel
action sollte man allerdings nicht erwarten, weder im herkömmlichen Sinne noch den offensichtlich sehr gut bezahlten Hostessenjob betreffend, der hier bis an die Grenze der Lächerlichkeit romantisiert (oder verharmlost) wird. Und auch der
mystery-Aspekt leidet darunter, daß beispielsweise Filip Peeters als Bösewicht irgendwo zwischen Atze Schröder und Dennis Potter mehr erheiter als erschreckt.
Das "stunning visual concept" erschöpft sich größtenteils in den Überblendungen von Angelas Zeichnungen zu gefilmten Bilder und wieder zurück, was mich sehr an die Anfänge der Karriere von Morten Harket erinnert hat (juchhu, noch ein europäisches Land mehr im Rezept). Ansonsten lebt der Film aber natürlich auch von seiner location Tokyo (wir kommen ganz nebenbei zum Teil "vividly capture an alienating world"), wobei mir der wahrscheinlich fast parallel zu Lost in Translation gedrehte Film klargemacht hat, wie viele der mir dort positiv aufgefallenen visuellen Ideen wohl eher einem kollektivem Bildbewußtsein entlehnt sind, das westliche Filmtouristen in Japan schnellstens zu entwickeln scheinen. Besonders auffallend:
- Blick auf einen Protagonisten in einem fahrenden Auto. Auf der Fensterscheibe spiegeln sich die nächtlichen Lichtreklamen.
- Bei der Fahrt mit der U-Bahn entdeckt die Kamera halb schockiert einen Japaner, der ein Sex-Manga liest (Comic-Experten wissen, daß es in westlichen Ländern auch eine florierende Sex-Comic-Industrie gibt, nur mit dem Unterschied, daß die verklemmten Leser diese Werke niemals in der U-Bahn lesen würden …)
- Regen in Tokyo, Ikebana, karikierte japanische Businessmänner in teuren Anzügen, Karaoke (hier natürlich Madonnas Like a Virgin)
Meine Version der Kurzbeschreibung des Films lautet also wie folgt:
Euro-Pudding trifft auf hilflose "Manga"-Zeichnungen. The Stratosphere Girl erzählt von einer selbstkreierten Superheldin, die in Tokyo die fiesen Machenschaften hinter der skurrilen Hostessen-Szene aufdecken will. Die Kleinmädchenversion eines David Lynch-Thrillers, stark an Lost in Translation, den a-ha-Video Take on Me und eine Version von Lilja 4-ever erinnernd, die ein rating "frei ab 6" bekommen könnte.
Zu den absoluten Tiefpunkten des Films gehören für einen Comic-Enthusiasten wie mich natürlich frühe Statements wie "Every comic has a hero" oder "Most comics begin in faraway places or even distant galaxies".
(Es hätte dem Film sicher gut getan, wenn irgendjemand im Team einen Schimmer von dem Medium Comic gehabt hätte, das hier nur wieder als Sex, Gewalt, Science-Fiction und Superhelden zusammengefasst wird, was nicht zufällig auch in der Filmbranche vorherrschende Themen sind.)
Zu den Momenten, wo sich intelligente Kinozuschauer früh hervortun können, gehört ein weiterer Off-Kommentar "I didn't realize that the beginning would be so linked to the end", der eigentlich schon alles verrät.
Und zu den wenigen (meist skurrilen oder unfreiwillig komischen) Höhepunkten des Films zähle ich die wirklich gelungene zeichnerische Umsetzung des "look into infinity" (hier hat man sogar darauf geachtet, jenes in Japan streng tabuisierte Bildelement auszusparen) und die irgendwie damit in Zusammenhang stehende stupide erscheinende Beschäftigung einer Hostess im Sailor-Moon-Outfit.