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Januar 2007 | Thomas Vorwerk für satt.org | |
Nach der Hochzeit
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Wie schon für ihre letzten Film Brødre (dt.: Unter Brüdern) hat Susanne Bier wieder Dänemark verlassen, Efter brylluppet beginnt und endet in Indien. Voller Leidenschaft und Enthusiasmus leitet Jacob (Mads Mikkelsen, noch in jedermanns Erinnerung als Bösewicht in Casino Royale) dort ein Waisenhaus, dem aber wegen Finanzproblemen die Schließung bevorsteht. Jacob soll zurück nach Dänemark, im feinen Anzug jemanden die Hand schütteln und für die Presse fotografiert werden, und die finanzielle Unterstützung könnte folgen. Jacob will zwar keinesfalls den achten Geburtstag seines Lieblingswaisen Pramod (den er fast wie einen Sohn ansieht) verpassen, doch ohne seinen Einsatz müssen vielleicht alle Kinder wieder auf die Strasse, statt bei ihm ein Dach überm Kopf, ein heißes Essen im Bauch und Unterrichtsstunden zu bekommen.
Wenn er Pramod verspricht, zu dessen Geburtstag zurück zu sein, ahnt man als Zuschauer bereits, daß da etwas dazwischen kommen wird. Wie wird Jacob kompromittiert werden? Vielleicht schon durch den unübersehbaren Luxus bei seiner Rückkehr nach Dänemark? In der Limousine oder auf dem Weg ins geräumige Hotelzimmer mit drei Toiletten, einem Jacuzzi, Flachbild-Fernsehen, eigener Sauna und Balkon mit unvergleichbarem Ausblick? Nein, das reicht für Jacob nicht, er ist ein Mann mit Idealen …
Beim Gespräch mit dem reichen Selfmade-Millionär Jørgen (Rolf Lassgård) erfährt Jacob, daß sein Projekt eines der “interessanteren” von fünfen in der engeren Wahl ist, vier jährliche Unterstützungen von je 1 Mio. Dollar wären möglich, dafür trinkt Jacob auch mit dem potentiellen Wohltäter und lässt sich sogar zur Teilnahme an der Hochzeit von dessen Tochter Anne überreden.
Schon in Indien sieht man in einigen Flashbacks, daß es mal eine Frau in Jacobs Leben gegeben haben muß, an deren zärtliche Finger er sich immer noch erinnert. Als sich jedoch herausstellt, daß Helene (Sidse Babett Knudsen aus Alt, Neu, Geliehen und Blau) ausgerechnet Jørgens Gattin ist, ahnt man den unvermeidbaren Konflikt. Doch in einer schönen dänischen Tradition (siehe Das Fest) ist es eine Rede auf dem Familienfest, die alles verändert wird, und diesmal sogar ohne die geringste Spur einer bösen Absicht.
Nach der Hochzeit hat es nicht verdient, daß ich hier ausplaudere, was nach der Hochzeit passiert, ich habe schon genug angedeutet, was während der Hochzeit passiert. Die Blickkontakte zwischen Jacob und Helene sind selbst für Jørgen unübersehbar, hat man schon früh den Eindruck, und der Film, dessen Montage oft bemerkenswert ist, etabliert schon früh ein Stilmittel, das dem Film interessante Interpretationen eröffnet: Das der Detailaufnahmen. Schon vor den Augen von Jacob und Helene sind es die (traurigen? kalten?) Augen von Tieren, von Tröphäen, die sich in den Vordergrund drängen. Lippen, die küssen oder trinken, Blumen, eine Träne, die eine Wange herunterläuft, oder auch mal etwas triviales wie ein Reißverschluß - in diesen überlebensgroß fotografierten Momenten der Intimität entwickelt der Film eine Intensität, die einem seinen Hang zur Melodramatik vergessen macht. Die Filme von Susanne Bier führen oft zu einer “Alles oder Nichts”-Entscheidung (Elsker dig for evigt / Open Hearts ist da noch ein Paradebeispiel), die mitunter etwas dick aufgetragen erscheinen mag. Doch zusammen mit ihrem fähigen Drehbuchautoren Anders Thomas Jensen findet sie auch hier das schwierige Gleichgewicht zwischen Momenten des unbeschreiblichen Glücks und der niederschlagenden Trauer. An dem allumfassenden Happy End, das sich in diesem Film schon bald andeutet, schrappt sie jedenfalls haarscharf vorbei - und dafür ist man dem Film dankbar.
Abgesehen vom zurückhaltend, aber überzeugend spielenden Mads Mikkelsen gibt es diesmal übrigens nicht die übliche dänische All-Star-Besetzung. Sidse Babett Knudsen mag man vielleicht noch aus einer kleinen Rolle in Mifune kennen, doch der Name von Stine Fischer Christensen (die Braut Anna) wirkt etwa nur deshalb bekannt, weil man ihre ältere Schwester Pernille Fischer Christensen kennt, die Regisseurin von En Soap. Und der einzige mir bekannte Film, den ich in der Filmographie von Rolf Lassgård (sehr überzeugend, solange die Gefühle nicht zu sehr in den Vordergrund treten) fand, war The Jungle Book 2, in dessen dänischer Version er den Baloo spricht. Kein Wunder, daß er auch seinen Filmkindern wie ein Bilderbuchvater aus Nils Holgersson vorzulesen weiß.
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