Die Klasse
(R: Laurent Cantet)
Originaltitel: Entre les murs, Frankreich 2008, Buch: François Bégaudeau, Robin Campillo, Laurent Cantet, Lit. Vorlage: François Bégaudeau, Kamera: Pierre Milon, Schnitt: Robin Campillo, mit François Bégaudeau (François Marin), Khalid Amrabt (Nassims Vater), Nassim Amrabt (Nassim), Julie Athenol (Vertrauenslehrerin), Laura Baquela (Laura), Cherif Bounaïdja Rachedi (Cherif), Vincent Caire (Vincent), Juliette Demaille (Juliette), Dalla Doucoure (Dalla), Cheick Baba Doumbia (Souleymanes Bruder), (Olivier Dupeyron (Olivier), Patrick Dureuil (Patrick), Frédéric Faujas (Fred), Adeline Fogel (Arthurs Mutter), Arthur Fogel (Arthur), Damien Gomes (Damien), Louise Grinberg (Louise), Dorothée Guilbot (Rachel), Lingfen Huang (Weis Mutter), Qifei Huang (Qifei), Wei Huang (Wei), Wenlong Huang (Weis Vater), Fatoumata Kanté (Souleymanes Mutter), Franck Keïta (Souleymane), Henriette Kasaruhanda (Henriette), Cécile Lagarde (Cécile), Lucie Landrevie (Lucie), Anne Langlois (Sophie), Agame Malembo-Emene (Agame), Yvette Mournetas (Yvette), Rabah Naït Oufella (Rabah), Carl Nanor (Carl), Esméralda Ouertani (Sandra), Burak Özyilmaz (Burak), Sezer Özyilmaz (Buraks Mutter), Eva Paradiso (Eva), Olivier Pasquier (Finanzverwaltung), Rachel Régulier (Khoumba), Vincent Robert (Hervé), Angélica Sancio (Angélica), Jean-Michel Simonet (Direktor), Samantha Soupirot (Samantha), Boubacar Touré (Boubacar), Anne Wallimann-Charpentier), Justine Wu (Justine), 128 Min., Kinostart: 15. Januar 2009
Immer wenn man bei einem vielversprechenden jungen Regisseur zu glauben meint, man wüsste, wie seine Filme auszusehen haben, sollte er den Zuschauer überraschen - ansonsten sollte man ihn nicht mehr als “vielversprechenden jungen Regisseur” bezeichnen. Laurent Cantet ist zwar seinem Thema, einer den Dardenne-Brüdern nicht unähnlichen Untersuchung der Abgründe des Arbeitsalltags, im weitesten Sinne treu geblieben (die beobachteten Schüler sind natürlich noch keine Arbeiter, aber auf dem Weg dorthin), doch während seine frühen Filme wie Ressources humaines oder L’emploi du temps bis ins Detail durchkomponiert waren, ist Entre les murs, der Gewinner des letzten Festivals in Cannes, mit seinen Laiendarstellern fast dokumentarisch. Man könnte Die Klasse als eine Mischung aus Être et avoir und L’esquive bezeichnen, und auch durch die Besetzung des Autors der Buchvorlage, François Bégaudeau, als Lehrer, wird der dokumentarische Einschlag unterstrichen. Dass die Unterschichts-Schüler mit starkem Migrationshintergrund (7. Klasse im 20. Arrondissement) sich wie in dem Hollywood-Streifen Freedom Writers des Tagebuchs von Anne Frank annehmen (und später Selbstportraits verfassen), wirkt zunächst ein wenig klischiert, aber die Schnittmenge von pädagogischen Geistesblitzen und vorgeschriebenen Lehrplänen lässt wohl nicht allzuviel Freiraum.
Fotos © 2008 Concorde Filmverleih GmbH
Doch der eigentliche Kern des Films (der auch meinen Vergleich zu L’esquive motivierte) ist der Versuch, den Jugendlichen, die gänzlich andere Probleme haben, die korrekte Verwendung der französischen Sprache anzugedeihen. Während diese teilweise nicht mal wissen, wo Österreich liegt, sollen sie nun den Unterschied zwischen Konjunktiv und Indikativ exerzieren, was nicht unerwartet Reaktionen wie die folgende hervorruft: “Niemand redet so. Glauben Sie, ich würde so mit meiner Mutter reden? Nicht mal meine Großmutter redet so.” Den Kontrast zwischen Alltagssprache und Hochsprache demonstriert auch ein später durch den Lehrer leichtfertig benutztes Schimpfwort, dass aufgrund seiner Konnotationen ähnliche Probleme hervorruft wie die “spooks” bei The Human Stain.
Entre les Murs dreht sich um wichtige Probleme der lokalen Erziehungspolitik, von der Einführung eines überzeugenden Strafpunktsystems bis hin zum untragbaren Zustand, dass der Kaffeeautomat im Lehrerzimmer plötzlich 50 statt 40 Cent pro Becher verlangt. Dabei sind es vor allem die Jugendlichen, mehr oder weniger Selbstdarsteller, die immer wieder verwundern, weil sie sich eben nicht auf Stereotypen verkürzen lassen, sondern ganz individuelle Probleme und Lebenseinstellungen haben. “Die Republik” von Plato ist eben kein “Schlampenbuch” und eine Diskussion mit der Mutter eines Schülers führt nicht immer zu den erwünschten Resultaten, wenn der Schüler selbst den Dolmetscher für die aus Mali stammende Mutter geben muss. Und wie an solchen Hindernissen Gremien wie der “Disziplinarrat” scheitern müssen, davon erzählt dieser mitreissende und trotz allem lebensbejahende Film.