BirdWatchers
Das Land der roten Männer
(R: Marco Bechis)
Originaltitel: BirdWatchers - La terra degli uomini rossi, Italien / Brasilien 2008, Buch: Marco Bechis, Luiz Bolognesi, Kamera: Hélcio Alemão Nagamine, Schnitt: Jacopo Quadri, Musik: Andrea Guerra, mit Claudio Santamaria (Roberto), Alicélia Batista Cabreira (Lia), Chiara Caselli (Beatrice), Abrísio da Silva Pedro (Osvaldo), Matheus Nachtergaele (Dimas), Ambrósio Vilhava (Nádio), Ademilson Concianza Verga (Irineu), Leonardo Medeiros (Moreira - the farmer), Eliane Juca da Silva (Mami), Fabiane Pereira da Silva (Maria), 108 Min., Kinostart: 16. Juli 2009
Das Filmprogramm eines Kritikers bringt manchmal Wechselwirkungen mit sich, die der Leser und Zuschauer am anderen Ende der Konsumenten-Hackordnung mitunter nur schwer nachvollziehen kann. Wenn man erst Walk Hard schaut, und kurz darauf I’m not there, so wirkt letztgenannter Film plötzlich ziemlich konservativ in seiner Machart. Was aber den wenigsten Kinozuschauern so vorkommen wird, denn die Starts dieser beiden Filme lagen chronologisch anders herum.
Ende Mai in einigen Kinos Berlins: Innerhalb von wenigen Tagen sah ich vier Filme, deren Kinostarts über mehr als ein Vierteljahr verteilt sind. An Terminator Salvation erinnert sich inzwischen kaum noch jemand (Start: 6. Juni), Che - Part I folgte eine Woche später, Roger Spottiswoodes The Children of Huang Shi / Die Kinder der Seidenstraße hingegen startet hierzulande erst am 24. September. Diese drei Filme verbindet, dass sie im weitesten Sinne Kriegsfilme sind, und mich sehr anödeten. Der Film von Spottiswoode litt darunter am stärksten, denn er wurde als letzter gezeigt, und ich hatte mittlerweile wirklich genug von diesem Genre (wobei ich annehme, dass ich jeden dieser drei Filme für sich genommen auch nicht gut gefunden hätte, aber wenn man drei Jahre lang keine Bohnen mit Speck gegessen hat, werden sie einem besser munden als wenn es schon seit zwei Wochen täglich den selben Fraß gibt).
BirdWatchers gehört nicht unbedingt in die selbe Schublade, denn hier geht es nicht um einen “richtigen” Krieg, und auch ist der Body Count vergleichsweise gering. Doch schon bei den ersten Einstellungen, wenn einige Touristen unter kundiger Führung über einen brasilianischen Fluss schippern, bis sie am Ufer, das gleichzeitig den Waldrand eines Dschungels darstellt, sagenumworbene Eingeborene sehen (wer Wert auf politisch-korrekte Fachtermini legt, kann hier auch den Begriff der “Indigenen” verwenden), erinnert das an zentrale Szenen aus Apocalypse Now, und die Art und Weise, wie sich hier vor dem Hintergrund prächtiger Dschungellandschaften, die die Urgewalt der Natur erfahrbar machen, ein Kampf zwischen industriellen Magnaten und mittellosen Guarani-Kaiowá-Indianern entspinnt, erinnert an die Schonungslosigkeit von Joseph Conrads Heart of Darkness.
Man kann den Film auch mit westlichen Filmwerken über eine ähnliche Problematik vergleichen, wie John Sayles Lone Star oder Robert Redfords The Milagro Beanfield War, doch man merkt dem Film an, dass er nicht nur einen Konflikt filmisch “ausbeuten” will, sondern dass der italienische Regisseur Marco Bechis einerseits fast dokumentarisch an das Thema herangeht - und andererseits versucht, die vom Aussterben bedrohte Kultur der Guarani-Kaiowá-Indianer aus ihrer eigenen Sichtweise darzustellen, wobei er nicht einmal davor zurückschreckt, die “Geisteswelt” mit ähnlichen filmischen Mitteln darzustellen, wie man sie aus Horrorfilmen oder Nicholas Hyntners The Crucible kennt. Und wer jetzt nicht weiß, was ich damit meine, wird es im Film am eigenen Leib erfahren, denn ich schließe mich hier dem Ansatz Bechis’ an, dem uneingeweihten Betrachter nicht immer gleich jeden Zusammenhang mundgerecht bis vorgekaut auf einem Silbertablett zu servieren, sondern ihn sich selbst ein Bild machen zu lassen.
BirdWatchers räumt mit falschen Klischees auf, nimmt den Zuschauer mit in eine fremde Welt, und führt die Argumente beider Konfliktparteien so vor, dass das Resultat umso trauriger stimmt. Denn die weißen Großgrundbesitzer, die auch für die Rodung des Regenwaldes mitverantwortlich sind und auf ihren Feldern natürlich genverändertes Saatgut anbauen, werden hier nicht als Teufel dargestellt, sondern als Menschen, die zwar Fehler machen, aber in vielerlei Hinsicht genauso hilflos sind wie die Indianer. Im übertragenen Sinne stehen die Guarani-Kaiowá-Indianer natürlich auch für Pflanzen- und Tierarten, die einer Profitmaximierung im Wege stehen, und aus dem Weg geschafft werden müssen. Und da ist die Parallele zu Filmen wie Terminator Salvation wieder unübersehbar, nur dass es in BirdWatchers im Gegensatz zu den drei anderen Kriegsfilmen keine gefälligen “guten” und “bösen” Parteien gibt, sondern eher eine traurige industrielle Evolution gezeigt wird, die man nicht nur in Brasilien miterleben kann, sondern überall auf der Welt.